Viele Vorschriften, wenig echte Typen – Boateng: “Fußball über 90 Minuten ist für die junge Generation langweilig geworden”

Boateng (r.) coacht mit Diyar Acar die Käfigtiger bei der Baller League. Immer dabei: Das Kreuz um seinen Hals (Foto: Robin Wemmers).

Interview: Anika Gottschalk

Ex-Fußballprofi Kevin-Prince Boateng spricht im XING Interview Klartext: Warum Käfigfußball sein Ding ist, der deutsche Fußball spannender werden muss und warum Liverpool-Coach Jürgen Klopp der perfekte Chef ist. 

XING: Was fasziniert dich am Baller League Konzept und wie haben die Macher dich überredet, mitzumachen?
 
Kevin Prince Boateng:
Mich zu überreden war nicht so schwer. Das ist Käfigfußball, wie ich ihn liebe. Ich bin im Käfig groß geworden, kann man sagen. Und jetzt gibt es dafür eine eigene Liga, elegant gemacht mit Kunstrasen – das gefällt mir ich richtig gut. Die Idee, Straßenfußball mit Entertainment zu vereinen, hat mich sofort überzeugt. Wobei der Fokus stark auf dem Sport liegt.
 
Nun bist du in der Trainerrolle und spielst gar nicht selbst. Wie fühlt sich das an?
 
Boateng: Es hat schon in den Beinen gekribbelt und ich hätte am liebsten mitgespielt. Aber mal gucken, was noch passiert, wir haben ja noch ein paar Spieltage vor uns.

Dürft ihr euch selbst einwechseln?
 
Boateng: Wer weiß… Es wird auf jeden Fall einige Überraschungen geben.
 
Was ist denn für dich ein richtiger Straßenfußballer?
 
Boateng: Das ist ein Spieler, der mit jeder Situation umgehen kann und sich auf jedem Untergrund zurechtfindet. Im Straßenfußball ist es egal, wie alt du bist, was du wiegst und welche Erfahrung du hast. Jeder kann das spielen. Es geht darum, sich durchzusetzen, immer der Beste zu sein, flexibel und schnell auf alles reagieren zu können.

Muss der traditionelle Fußball auch flexibler werden und womöglich mehr Entertainment für junge Zielgruppen bieten, um langfristig attraktiv zu bleiben?
 
Boateng: Zu 100 Prozent. Wenn sich alle diese Fragen immer wieder stellen und auch öffentlich darüber diskutiert wird, muss ja etwas dran sein. Der normale Fußball über 90 Minuten, das muss man schon ehrlich so sagen, ist mitunter etwas langweilig geworden. Bei manchen Mannschaften oder Spielen ist es schwierig, die ganze Zeit vor dem Fernseher sitzen zu bleiben. Mehr Entertainment würde dem traditionellen Fußball guttun – und wenn es nur das Programm rund um das Spiel ist.
 
Bekommen wir das in Deutschland hin?

 
Boateng: Schwer. In Amerika machen die das gut, da ist jedes Spiel ein Event für die ganze Familie. Da gehst du am Wochenende hin und am Montag sprechen alle drüber. Auf der Arbeit, in der Schule… Man muss auch sagen, dass die Spieler nicht mehr so unterhaltsam sind wie früher. Weil es auch viel mehr Vorschriften und weniger echte Typen gibt. Heute heißt es, „du darfst das nicht öffentlich sagen“, „du darfst diesen Haarschnitt nicht tragen“ – es ist alles ein bisschen langweilig geworden.
 
Glaubst du, dass Spieler mit einer sehr großen Reichweite in den sozialen Netzwerken, wie beispielsweise Hertha-Profi Nader Jindaoui, zunehmend interessant sind für Vereine wegen ihrer großen Followerschaft?
 
Boateng: Auf dem Platz zählt am Ende die Leistung. Egal, wie viele Follower du hast. Bist du schlecht, spielst du nicht. Das wird auch so bleiben. Klar ist es super als Verein, wenn du einen top Spieler hast, der auch noch eine top Reichweite hat. Was zählt ist aber am Ende der sportliche Erfolg.
 
Wie hat sich das Thema Social Media in Vereinen und speziell in der Kabine in den letzten Jahren aus deiner Sicht verändert?
 
Boateng: Es gibt viele, die Handys am liebsten verbannen würden. Verbieten kann man das natürlich keinem mehr. Man sollte die sozialen Netzwerke und die damit verbundenen Chancen als Verein richtig nutzen. Und genau das liegt oft das Problem, weil sich viele Trainer, Präsidenten und Entscheider gar nicht wirklich mit TikTok, Instgram etc. auseinandersetzen und weniger davon verstehen als die jungen Leute. Wenn du es gut machst, kannst du einen Spieler über Social Media zum Star machen. Du verkaufst mehr Trikots, begeisterst neue Zuschauer und Leute beginnen, deinen Verein zu lieben.
 
 
Wo bist du selbst denn im unterwegs im Netz, hast du Lieblingsaccounts?
 
Boateng: Nein, eigentlich habe ich die nicht. Aktuell scrolle ich viel zu Jesus, informiere mich über das Christentum, die Bibel. Alles andere tritt in den Hintergrund gerade.
 
Du hast dich kürzlich taufen lassen und, wie du sagst, zu Gott gefunden. Gab es einen Schlüsselmoment für dich?
 
Boateng: Das war in einer Kirche in Sidney. Unser Leben bestimmen nicht wir, sondern Gott, wenn man ihm erlaubt, unser Leben zu steuern und zu navigieren. Er hat genau den Moment abgewartet, in dem ich mit dem Fußball aufgehört habe und raus bin aus dieser Bubble. In diesem Moment hat Gott mein Herz erobert.
 
War es denn schwer für dich aufzuhören, den Fußball nach so vielen Jahren als Profi loszulassen?
 
Boateng: Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Aber ich konnte mich drauf vorbereiten, einige andere Standbeine aufbauen. Es ist mir nicht so schwergefallen. Aber auch, weil der Fußball so geworden ist, wie er ist.
 
Was planst du denn jetzt für die Zeit nach der Fußballkarriere?
 
Boateng: Eigentlich öffnet sich jeden Tag gerade eine neue Tür. Mit der FIFA arbeite ich zusammen an einem großen Projekt. Dabei geht es um das Thema Mental Health und um die Frage, wie man Fußballer•innen mit mentalen Problemen helfen kann. Denn ein Großteil der Spieler•innen ist betroffen, redet aber nicht darüber. Wir wollen eine Plattform schaffen und einen geschützten, professionellen Raum, wo Gespräche stattfinden können und es konkrete Hilfe gibt.
 
Du sprichst aus eigener Erfahrung?
 
Boateng: Ja, ich hatte selbst Depressionen und habe mir auch mal einen Rat vom Psychologen geholt. Ich weiß, dass 80 Prozent der Spieler Erfahrungen mit mentalen Belastungen gemacht haben. Drucksituationen, Depressionen, Panikattacken – da gibt es großen Bedarf und da setzen wir gerade etwas auf.


 
Du hast mit dem kürzlich überraschend verstorbenen Präsidenten von Hertha Berlin, Kay Bernstein, zusammengearbeitet. War sein plötzlicher Tod ein Schock für dich?
 
Boateng: Das war eine schlimme Nachricht, ich habe ihn kurz zuvor noch gesehen. Aber auch hier hilft mir mein Glaube. Ich bin überzeugt davon, dass Gott unsere Geschicke lenkt und für alles einen Plan hat. Das gibt mir in solchen Momenten Kraft und Halt.
 
Was würdest du mit deiner Erfahrung und deinem Wissen jungen Spielern raten, die ganz nach oben wollen?
 
Boateng: Mein Rat ist: Höre nicht auf das Drumherum. Gehe deinen eigenen Weg. Denn im Drumherum wünscht dir keiner wirklich was Gutes, das tun nur du und der liebe Gott. Ob es dann dritte Liga, erste Liga, Champions League oder die Regionalliga wird, ist total egal. Wenn du nach Hause kommst und weißt, du hast alles gegeben und dann zufrieden ins Bett fällst, dann hast du alles richtig gemacht.
 
Wenn du dich heute nochmal für einen Job bewerben müsstest. Welcher wäre das?

 
Boateng: Ich würde Musik machen. Singen, rappen. Im Studio sein, Beats hören, kreativ sein. Das würde ich ganz cool finden.
 
Wenn du dir nochmal einen Chef aussuchen könntest, wer wäre das?
 
Boateng: Mein bester Trainer war Roberto De Zerbi vom englischen Erstligisten Brighton & Hove Albion. Als Chef und Trainer war auch Jürgen Klopp großartig.
 
Was schätzt du an Jürgen Klopp?
 
Boateng: Klopp weiß, wie er Menschen zu nehmen hat. Unabhängig vom Fußball begreift er die Leute, weiß, wie er mit wem zu reden hat, wen er mal umarmen muss oder wer auch mal Feuer unterm Arsch braucht. Das ist seine große Stärke. Und er als Boss mit seinem speziellen Humor ist Entertainment pur.

Hat dich die Nachricht überrascht, dass Jürgen Klopp sein Ende in Liverpool bekannt gegeben hat oder hast du damit gerechnet?

Boateng: Er weiß, was er tut. Immer. Ich bin mir sicher, dass wir ihn wiedersehen werden. 
 
Welche Eigenschaften hätte der perfekte Kollege für dich?
 
Boateng: Ich mag offene und ehrliche Menschen, die respektvoll ihre Meinung sagen. Das ist für mich das Wichtigste.
 
Du hast in Ländern wie England, Spanien, Italien, Türkei gewohnt und gespielt.
Wo hat es dir am besten gefallen?

 
Alles war richtig zu der jeweiligen Zeit. Mein heutiges Mindset ist anders. Heute möchte ich weit weg von der Stadt auf meiner Farm in Sydney leben, Kühe und Hühner vor mir sehen, mein eigenes Essen anbauen, einen eigenen Wassertank haben und mich selbst versorgen.

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