Sven Hannawald

Sven Hannawald

für Work Life Balance, Corporate Health

Burn-out? Ich doch nicht! An diesem Punkt solltest Du handeln, bevor es zu spät ist

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Alle super!?

Die eine Extrameile gehe ich noch … kommt Dir bekannt vor? Warum das ganz schnell schieflaufen kann und wie Du einem Burn-out vorbeugst, weiß Ex-Skispringer und TV-Experte Sven Hannawald.

Die Skisprungsaison ist beendet, und das bedeutet für mich, wieder mehr Zeit für Familie, Freunde, Projekte und Erholung zu haben. Die Wochen, in denen ich als Experte für die ARD an der Sprungschanze kommentiere, sind immer ein großer Spaß – aber auch intensiv und fordernd. Heute weiß ich, eine kleine Auszeit danach ist nötig, um die Akkus aufzuladen und Energie zu tanken.

Ich vermute, Ihr kennt das aus euren Berufen: Es gibt Phasen, da läuft man auf Hochtouren, ist voller Energie, leistet mehr als gewöhnlich und ist in einem positiven Flow. Weil ein neues Projekt ansteht, ein neuer Kunde gewonnen werden soll, ein Change im Unternehmen ansteht oder man seinen Vorgesetzten einen guten Grund für die Gehaltserhöhung liefern möchte. So weit, so gut.

Stress ist per se nicht Dein Feind

Aus der Psychologie wissen wir, dass Stress und Anstrengung über einen gewissen Zeitraum sogar glücklich machen. Nämlich dann, wenn wir die Situation als Herausforderung und nicht als Problem empfinden, dem wir hilflos gegenüberstehen. Forschungen belegen, dass die Natur uns nicht mit Stressreaktionen ausgestattet hat, um uns zu schaden, sondern um unsere Überlebenschancen, unsere Gesundheit, Heilung und Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Wenn wir stressige Phasen überwinden, wird uns klar, dass wir die Klippen des Lebens bewältigen können, dass Momente, die zunächst überfordernd scheinen, uns motivieren und nach vorn bringen.

Aus dem Flow wird oft ein No-Go

Aus eigener Erfahrung weiß ich aber eben auch, dass dieser positive Flow sich ins Gegenteil umkehren kann. Nämlich dann, wenn wir die Grenzen unseres Körpers und unseres Geistes zu oft und zu lange ausreizen. Ich erlebte diesen Punkt auf dem Gipfel meiner Karriere als Leistungssportler. Mit buchstäblich Vollgas war ich 2002 nach meinem Sieg alle vier Wettbewerbe der Vierschanzentournee geradewegs in ein Burn-out geschlittert.

Die Diagnose nach etlichen Arztbesuchen war damals für mich eine Erlösung. Seither achte ich sehr bewusst darauf, mich nicht zu überfordern und auf die Signale meines Körpers zu hören – was nicht immer leicht ist für jemanden, dem Perfektionismus und Ehrgeiz in die Wiege gelegt wurden.

Folgende Learnings möchte ich gern an Euch weitergeben – vielleicht helfen sie an der einen oder anderen Stelle, Bewusstsein für die eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu schaffen. Und dafür, den Mut zu haben, die Reißleine im Job zu ziehen, wenn nötig.

Erste Anzeichen

Mit bleierner Müdigkeit bei gleichzeitig ständiger innerer Unruhe geht es oft los. Häufig ist der Nachtschlaf gestört, frühes Aufwachen, Gedankenkreisen und das Gefühl, am Morgen genauso kaputt zu sein wie am Abend zuvor, sind oft Vorboten eines Burn-outs. Selbst Urlaube bringen keine Erholung, nach wenigen Tagen im Job fühlt man sich wieder kraftlos und leer, man hangelt sich von Wochenende zu Wochenende. Weil das Energielevel niedrig ist, möchte man sich zurückziehen, sehnt sich nach Ruhe und hat immer weniger Lust, sich mit anderen zu treffen oder etwas zu unternehmen.

Die Ärzte finden nichts

Bevor mir geholfen werden konnte, habe ich etliche Ärzte aufgesucht. Die Blutbilder waren unauffällig, ebenso Ultraschall und organische Befunde. Auch Pfeiffersches Drüsenfieber wurde ausgeschlossen. Immer hieß es: „Sie sind kerngesund.“ Ich war verzweifelt, weil mir niemand helfen konnte. Eineinhalb Jahre lang zog sich das hin, nagte an mir und meiner Psyche. Bis ich einen Psychosomatiker aufsuchte, der nicht nur den Körper betrachtete, sondern meinen mentalen Zustand mit meinen physischen Beschwerden in Zusammenhang setzen konnte. Heute empfehle ich, nicht nur körperliche Ursachen in Betracht zu ziehen, sondern sich auch frühzeitig Psychologen oder Therapeuten anzuvertrauen.

Ambulante Therapie oder Klinik

Die Diagnose Burn-out-Syndrom war für mich eine Erleichterung. Ich hatte einen Namen für meinen Zustand. Und es gab Wege, wieder gesund zu werden. Dafür musste ich eine Entscheidung treffen: Ich befolgte den Rat, eine Klinik aufzusuchen. Für mich hätte eine ambulante Therapie nicht funktioniert. Sobald ich die Praxis verlassen hätte, wäre ich zurück in mein normales Leben gegangen – mit allen Themen und alten Mustern. Die Klinik war ein neutraler Ort, an dem ich mein Leben und mich neu justieren konnte. Es gab viele Gespräche, die emotional und mit Tränen verbunden waren. Das hat sich gut und befreiend angefühlt und bereits innerhalb weniger Wochen geholfen. Ich konnte mich selbst wieder spüren und dieses Gefühl dann für einen Neuanfang mit in meine alte Welt nehmen.

Rückschläge gehören dazu

Es gab Momente, in denen ich überzeugt war, über den Berg zu sein. Und am Tag drauf saß ich wieder in einem dunklen Tal. Das war frustrierend und nicht selten wollte ich alles hinwerfen. Durch die Gespräche mit den Therapeuten habe ich gelernt, damit umzugehen. Wenn mir heute etwas richtig auf den Sack geht, dann kann ich mich selbst beruhigen. Ich weiß, dass ich mich nicht so reinsteigern darf und es vorübergeht.

Vergleiche bringen nichts – vor allem nicht Betroffenen

Jeder Mensch ist anders. Vielleicht hast Du schon mal gedacht: „Mein Kollege macht das Gleiche wie ich im Job und hat jetzt Burn-out. Warum habe ich das nicht?“ Für Deinen betroffenen Kollegen ist wichtig, nicht abgestempelt zu werden und mit einem Burnout oder gar einer Depression ernst genommen zu werden. Vor allem Menschen, die sehr ehrgeizig sind, immer das Gefühl haben, nicht genug zu leisten, sind gefährdet, auszubrennen.

Grenzen ziehen – aber wie?

Ich habe damals die Entscheidung getroffen, meine Karriere zu beenden und etwas Neues zu beginnen. Das war nicht einfach und mit existenziellen Ängsten verbunden. Im Nachhinein war es meine Rettung, wieder auf mein Bauchgefühl zu hören. Mir ist klar, dass nicht jeder seinen Job einfach so hinschmeißen kann. Aber eine gesunde Abgrenzung kann helfen. Gesteht Euch ein, dass es anstrengend ist, wenn man von morgens bis abends im Büro sitzt und auf der Tastatur rumtippt. Dauernd auf Empfang und ständig erreichbar sein, ist Stress. Unser Gehirn braucht Pausen, um regenerieren zu können. So banal es klingt: Handy-aus-Zeiten, Social-Media-Pausen, stumm geschaltete Notifications und ausreichend Zeit an der frischen Luft – fernab von digitalen Themen – brauchen wir, um wirklich abschalten zu können.

Hilfe annehmen bedeutet, auf sich selbst aufzupassen

Ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich selbst einzugestehen, wenn man nicht mehr kann und dringend Hilfe braucht. Unsere Welt ist unfassbar schnell, laut und komplex geworden – wer nicht funktioniert, hat schnell ein Problem. Ich habe mittlerweile in vielen Unternehmen Vorträge gehalten und Workshops zum Thema mentale Gesundheit durchgeführt. Viele Führungskräfte und Mitarbeitende meinen, dass sie zum „Schneller, höher, weiter“ verpflichtet sind. Ich kann dieses Gefühl vollkommen nachempfinden und deshalb sagen: Es endet nicht gut, wenn nicht irgendwann die Reißleine gezogen und Hilfe von außen angenommen wird. 

Das ist nicht schwach, sondern bedeutet, dass man als erwachsener Mensch dazu in der Lage ist, auf sich selbst aufzupassen und Verantwortung für die eigene Gesundheit und Lebensqualität zu übernehmen … und wenn diese im Gleichgewicht sind, machen Rekorde auch wieder Spaß.

Wie passt Du im Job auf Dich auf, und wird in Deinem Unternehmen auf mentale Gesundheit geachtet? Schreib gern in die Kommentare.

Dein Sven Hannawald

Wer schreibt hier?

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Sven Hannawald

TV-Experte, ARD

für Work Life Balance, Corporate Health

Weltmeister und Olympiasieger Sven Hannawald gewährt Einblicke in die Meilensteine seines weltweit einzigartigen sportlichen Erfolgs, seine psychische Erkrankung (Burn Out) und die heute wiedererlangte Work-Life-Balance im Leben nach der Karriere als Buchautor, Unternehmensberater, ARD TV-Experte.
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