Streiks in der Bauwirtschaft „Die Stimmung am Bau ist jetzt wirklich unter null“

Nachdem Tarifverhandlungen gescheitert und ein Schiedsspruch von der Arbeitgeberseite abgelehnt wurde, startet die IG BAU am Montag mit Streiks. Quelle: Julian Stratenschulte/dpa

Lange boomte die Bauwirtschaft. Jetzt klagen Arbeitgeber über zu wenige Aufträge und Arbeitnehmer über zu wenig Geld. Nun wird gar gestreikt. Woran es aus seiner Sicht hakt, erklärt IG-BAU-Chef Robert Feiger.

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WirtschaftsWoche: Herr Feiger, Sie wollen für die Beschäftigten der Baubranche mehr Geld durchboxen. In den Verhandlungsrunden konnten sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverbände aber nicht einigen. Deswegen kam es zum Schlichterspruch: 250 Euro mehr für alle Beschäftigten ab Mai, nach elf Monaten sollten nochmal 4,15 Prozent im Westen und 4,95 Prozent im Osten dazukommen. Die IG BAU stimmte zu, die Arbeitgeber nicht. Warum hat es bisher nicht geklappt?
Robert Feiger: Es gibt erheblichen Nachholbedarf für die Baubeschäftigten, denn den letzten Tarifabschluss hatten wir 2021. Danach ging es los mit der Inflation, dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise. Aber diesen Nachholbedarf verneinen die Arbeitgeber. Der Schlichterspruch wäre ein Stück weit den Vorstellungen beider Seiten gerecht geworden. Aber er wurde abgelehnt, obwohl die Arbeitgeberseite ihn mit ganz großer Mehrheit in den Verbänden angenommen hatte.

Wie kann das sein?
Die Arbeitgeber haben sich ein Quorum von 85 Prozent auferlegt, um den Schlichterspruch durchzuwinken. Auf deren Seite gibt es zwei Verbände, die eine Tarifgemeinschaft bilden: die Bauindustrie und das Bauhandwerk. Die Industrie hat bundesweit einstimmig für den Vorschlag votiert, beim Handwerk waren mit der Ablehnung des Landesverbandes Niedersachsen insgesamt nur 82 Prozent dafür. Wenn 82 Prozent aber keine ausreichende Mehrheit sind, verstehe ich die Welt nicht mehr.

Wie viel Zustimmung bedurfte es denn auf Arbeitnehmerseite?
Bei unserer Bundestarifkommission reicht eine einfache Mehrheit. Die war beim Schlichterspruch deutlich gegeben.

Zur Person

Die Arbeitgeberverbände kritisierten den Schlichterspruch, weil er etwa gegen das Berufsbildungsgesetz verstoßen hätte: So würde ein Auszubildender im technisch-kaufmännischen Bereich in Zukunft im ersten Ausbildungsjahr mehr verdienen als im zweiten. Warum hat die Arbeitnehmerseite trotzdem wissentlich zugestimmt?
Der Schlichter macht nur einen Vorschlag. Es ist üblich, dass im Anschluss an die Gespräche die jeweiligen Hausjuristen zusammensitzen und die Details regeln. Für mich sieht es so aus, als ob die Arbeitgeber mit dem Schlichter einen Dritten als Schuldigen suchen, um es nicht selbst zu sein. Insofern kann ich da nur mit dem Kopf schütteln, wenn es heißt, man hätte nicht sauber gearbeitet.

Jetzt kommt die IG BAU zurück zu ihrer ursprünglichen Forderung: 500 Euro mehr im Monat für alle Beschäftigten – und streikt dafür sogar. Zuerst in Niedersachsen…
Der niedersächsische Baugewerbeverband, also die dortige Handwerksvertretung, hat als einziges Bundesland den Schlichtungsvorschlag abgelehnt und dieses ganze Chaos damit verursacht. Deswegen sollen die niedersächsischen Unternehmen zuerst fühlen, dass die Beschäftigten am Bau zutiefst unzufrieden und empört sind.

Ab Dienstag soll dann punktuell im ganzen Bundesgebiet die Arbeit niedergelegt werden. Das Bauhauptgewerbe beschäftigt über 900.000 Menschen in Deutschland, die IG BAU hat aber nur etwas über 200.000 Mitglieder. Wie viele von denen werden überhaupt mitmachen?
Wir werden vorab keine Zahlen preisgeben. Die Arbeitgeberseite hat nun die Möglichkeit, ein Angebot auf den Tisch zu legen, das im Volumen über den Schlichtervorschlag hinausgeht. Das ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt weiter zu verhandeln. Wir wissen, wo wir sie treffen müssen, damit es wehtut.

Wo denn?
Mit welchen Betrieben, Baustellen oder Objekten es losgeht, werden wir auch nicht vorher bekanntgeben. Wir müssen uns den Überraschungseffekt bewahren. Aber es gibt viele Projekte im Straßen- oder klassischen Wohnungsbau, wo die Unternehmen unter Termindruck stehen. Seien Sie versichert, dass wir uns die Richtigen raussuchen.



Wie groß ist der Frust bei den Beschäftigten?
Die Stimmung ist jetzt wirklich unter null: Es sind knallharte Jobs auf den Baustellen. Körperliche Arbeit bei Wind und Wetter, oft wechselnde Baustellen und damit unterschiedliche Anfahrtszeiten und Aufwände. Bei dem Fachkräftemangel, den ja auch die Arbeitgeberseite benennt, müssen wir da schon ordentliche Arbeitsbedingungen und Löhne bieten. In anderen Bereichen – sei es der öffentliche Dienst, die Bahn oder auch das Lufthansa-Bodenpersonal – wurde bereits nachgelegt. Bei uns nicht.

Wenn die Bauwirtschaft streikt, werden noch weniger Häuser und Wohnungen fertig als ohnehin schon. Inwiefern befürchten Sie damit, die Gesellschaft, die dringend Wohnraum braucht, gegen sich selbst aufzubringen?
Von außen wird an uns herangetragen, dass auch der Bauarbeiter eine anständige Vergütung verdient hat. Nach unserer Wahrnehmung ist die Akzeptanz dafür enorm hoch.

Nach einigen guten Jahren geht es der Bauwirtschaft schlecht, zumindest teilweise. Inwiefern kommt die Forderung nach mehr Geld zur rechten Zeit? Immerhin kritisierten die Arbeitgeberverbände auch, dass die Konjunkturlage in den Verhandlungen ignoriert worden wäre.
Die Bauunternehmen haben in den letzten sechs, sieben Jahren hervorragend verdient. Und auch jetzt geht es der Bauwirtschaft insgesamt gut. Ja, es gibt eine kleine Delle im Wohnungsneubau, aber wir haben etwa eine hervorragende wirtschaftliche Situation im Verkehrsinfrastrukturbau oder dem Brückenbau. Außerdem macht der Wohnungsneubau nur 30 Prozent vom Wohnungsbau aus. Und der ist ja auch nur ein Teil der Bauwirtschaft. Und es steht ohnehin ein neuer Tarifvertrag an. Nochmal zu Erinnerung: Den letzten gab es 2021.

Inwiefern ist die „kleine Delle“ dafür der richtige Begriff? Immerhin klagt über die Hälfte der Wohnungsbauer über fehlende Aufträge. Fast 20 Prozent melden, dass bestehende Projekte wegbrechen.
Das liegt vor allem an der Zinsentwicklung, die Finanzierungskosten haben sich in der Vergangenheit teilweise vervierfacht. Das ist aber schon wieder rückläufig. Und wenn die EZB den Leitzins senkt, sinken die Bauzinsen auch wieder. Wer auf unsere Arbeitsmarktzahlen schaut, sieht auch nicht, dass die Kurzarbeit steigt oder die Beschäftigtenzahl rückläufig ist. Man darf auch nicht vergessen: Viele bestehende Projekte werden ja auch gerade noch abgearbeitet.

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Wann rechnen Sie damit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren?
Aktuell bieten die Arbeitgeber weniger als das, was sie beim Schlichter noch selbst abgelehnt haben. Das wird nicht dazu führen, dass wir uns mit denen an einen Tisch setzen. Wir sind dann bereit zu reden, wenn sie ein Angebot abgeben, das über dem des Schlichterspruches lag. Bis dahin werden wir ihnen in den kommenden Tagen sehr deutlich machen, dass diese Streiks nur der Anfang sind.

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