Hochwasser in Süddeutschland „Nichtstun wird teurer – und tödlicher“

Schutzwände werden in der Regensburger Altstadt am Donauufer aufgebaut. Nach den ergiebigen Regenfällen der letzten Tage wird Hochwasser erwartet. Quelle: dpa

Land unter in Süddeutschland: 40.000 Helfer sind im Einsatz, es gibt Tote und Verletzte. Durch den Klimawandel werden solche Extremwetter wahrscheinlicher – und Städte und Gemeinden sind nicht vorbereitet.

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Bäche, die sich innerhalb von Minuten in Sturzfluten verwandeln. Dämme, die den Wassermassen nicht mehr standhalten. Überspülte Autobahnen und evakuierte Dörfer. Süddeutschland erlebt dramatische Tage: Rund 40.000 Helfer sind aktuell im Einsatz, um noch Schlimmeres zu verhindern. Aber nach mehreren Tagen Dauerregen gehen die Kräfte zur Neige. In manchen Regionen fiel so viel Regen wie sonst in einem halben Jahr. Einzelne Behörden in Bayern und Baden-Württemberg sprechen mittlerweile von einem „Jahrhunderthochwasser“.

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von drei Jahren, dass Deutschland in einem solchen Ausmaß von Extremwettereignissen betroffen ist. Das letzte Mal traf es das Ahrtal besonders schwer. Dass solche Katastrophen durch den ungebremsten Klimawandel bald eher zur Regel als zur Ausnahme werden könnten, zeigen auch diese Zahlen: In Europa gab es von 2000 bis 2009 drei Gewitterstürme mit Schadensummen jenseits einer Milliarde. Seit 2020 sind es bereits sechs. Hinzu kommen Gefahren durch zunehmende Hitzewellen und Wassermangel.

Die wachsenden Klima-Risiken zwingen Deutschland dazu, anders zu bauen – und sich sogar umzubauen. Zu diesem Ergebnis kam im Mai eine Studie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Sie sei als „Weckruf“ zu verstehen, um Städte und Gemeinden in Deutschland auf zunehmende Klimarisiken vorzubereiten, sagt Studienautor Theo Schmitt. Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben. Im Interview erklärt er die größten Herausforderungen.

Theo Schmitt Quelle: PR

Zur Person

WirtschaftsWoche: Herr Professor Schmitt, Ihre Studie liest sich wie eine Anklage. Sie sehen massive Versäumnisse bei Städten und Gemeinden, sich auf Extremwetterereignisse vorzubereiten.
Theo Schmitt: Es ist eine Analyse, keine Anklage. Anlass für die Studie war, dass der Bundestag im vergangenen Jahr das sogenannte Klimaanpassungsgesetz beschlossen hat. Das zeigt die Notwendigkeit zum Handeln. Und das Gesetz nimmt vor allem Städte und Gemeinden in die Pflicht – und die sind bei der Anpassung an Klimarisiken wie Starkregen, Hitze und Trockenheit noch nicht so weit, wie es notwendig wäre.

Dasselbe gilt für die Begrenzung der Klimakrise. Das 1,5-Grad-Ziel scheint nicht mehr realistisch. Umso dringender wäre es, sich zumindest an die Folgen anzupassen.
Richtig. Der Januar, der Februar, der März und jetzt der April waren durchweg die jeweils wärmsten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland. Und weltweit liegt die Durchschnittstemperatur erstmals über 1,6 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Das alles bedeutet eine rasante Zunahme von Extremwetterereignissen, auf die wir hierzulande nur unzureichend vorbereitet sind.

Wie könnten sich Städte und Gemeinden denn vorbereiten?
Wir müssen unsere Siedlungen und unsere Infrastruktur anders planen und bauen. Es geht darum, sich sowohl auf Flutereignisse als auch auf Phasen von extremer Dürre vorzubereiten. Dafür gibt es die bekannten Stichworte: die Stadt als Schwamm, mehr Rückhaltegebiete für das Wasser, Renaturierungen und geplante Überschwemmungsflächen.

In Ihrer Studie sprechen sie neben Starkregen noch zwei weitere Gefahren an: Hitze und Trockenheit. Welche Regionen sind davon besonders betroffen?
Der Oberrheingraben mit den Städten Karlsruhe, Mannheim, Ludwigshafen ist in den Sommermonaten besonders von hohen Temperaturen weit der 30 Grad Celsius betroffen. Und in Teilen von Brandenburg herrscht schon heute teilweise extreme Wasserknappheit. Hier brauchen wir auf regionaler Ebene eine Analyse, wie man damit umgehen will – und wem, zum Beispiel, als Erstes das Wasser abgedreht wird.

Vor drei Jahren gab es die Flutkatastrophe im Ahrtal. Wäre sie durch eine entsprechende Anpassung zu verhindern gewesen?
Ich glaube nicht, dass man diese Katastrophe vollständig hätte verhindern können. Aber es gab sicher Faktoren, die das Unglück verstärkt haben. Zum Beispiel wurden von einem Campingplatz im oberen Bereich des Flusses mehrere Wohnmobile fortgespült, welche dann das Hochwasser an einer Brücke zusätzlich aufgestaut haben. Auch dadurch konnte die Flutwelle dieses furchtbare Ausmaß erreichen.

Und die Lehre daraus?
Dass etwa solche großen, sperrigen Teile, die bei Starkregen fortgerissen werden, sich nicht in einem Überflutungsbereich befinden dürfen. Städte und Gemeinde müssen solche Verstärkungsrisiken kennen und dementsprechende Pläne erstellen. Und natürlich wurden viele Häuser im Ahrtal an Stellen gebaut, an denen – aus heutiger Sicht – die Überschwemmungsrisiken viel zu groß sind.

Dennoch wurden viele Häuser exakt dort wiederaufgebaut, wo die Flut sie 2021 weggerissen hat.
Ich habe gelesen, dass Eigentümer, die eine Elementarschadenversicherung hatten, nur dann entschädigt wurden, wenn sie ihr Haus an der gleichen Stelle wieder errichten. Wenn das tatsächlich so ist, dann wäre das eine Bedingung, die zwingend geändert werden müsste. Der Hochwasserschaden zeigt schließlich eindrücklich, dass dort kein geeigneter Standort für ein Wohngebäude ist.

Wie können sich denn private Hausbesitzer gegen Extremwetter wappnen?
Dafür würde sich eine detaillierte Karte empfehlen, die die Klimarisiken vor Ort bezeichnet. In vielen Gemeinden gibt es das schon. In von Starkregen gefährdeten Gebieten sollten man über einen Umbau nachdenken – und zum Beispiel Kellerabgänge oder Lichtschächte gegen Überflutungen schützen.

Das geht beim Neubau, beim Bestand ist das deutlich schwieriger – und vor allem teurer. Wer soll diese Kosten tragen?
Unsere Nachbarn machen es vor. Die Stadt Kopenhagen wurde 2011 nach einem Starkregen überschwemmt. Daraufhin hat man die Stadt umgebaut: Parks und Innenhöfe wurden zu großen Regenauffangbecken; das gesammelte Regenwasser wird für Bewässerung und Straßenreinigung genutzt. Innerhalb von zehn Jahren hat man dort schon eine Menge erreicht.

Und wie wurde das finanziert?
Mit einer Art Wassereuro. Bei den Wassergebühren gibt es nun einen Aufschlag, mit der Begründung, dass der neue Schutz allen in der Stadt zugutekommt. Man begreift die Klimaanpassungen als solidarische Vorsorgemaßnahme.

Halten Sie das auch hierzulande für umsetzbar?
Grundsätzlich gibt es so etwas auch bei uns. Denken Sie an die Kanalisation: wenn irgendwo ein Kanal neu verlegt wird, müssen die Kosten auch alle Bürger der Stadt bezahlen und nicht nur die angrenzenden Häuser. Trotzdem bin ich aktuell skeptisch, dass sich die regierenden Politiker trauen, den Bürgern noch mehr zuzumuten. 

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Die Schäden der Flutkatastrophe im Ahrtal werden mittlerweile auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Wie teuer wäre denn ein Umbau der Städte und der Infrastruktur, um sich gegen zukünftige Extremwettereignisse zu rüsten?
Ich traue mich nicht konkrete Zahlen zu nennen. Es gibt schlicht noch zu wenige Projekte, um die Kosten auch nur annähernd schätzen oder skalieren zu können. Klar ist für mich: Nichtstun wird auf alle Fälle teurer. Und, wie im Ahrtal gesehen, auch tödlicher.

Hinweis: Das Interview wurde erstmals nach Bekanntgabe der Studie am 18. Mai 2024 bei der WirtschaftsWoche veröffentlicht. Aufgrund der aktuellen Ereignisse haben wir es aktualisiert und zeigen es erneut.

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