Durch ihre Fans haben Hollywood-Stars und Influencer Reichweite, Einfluss – und aktuell eine ziemlich harte Zeit. Nutzer auf TikTok und Instagram werfen den Reichen und Schönen vor, zu unpolitisch zu sein. Statt mit ihrer Reichweite auf die Krisen und Kriege dieser Welt aufmerksam zu machen, würden sie lieber ihre Privilegien zur Schau stellen.
Was sich Follower jahrelang gerne angeschaut haben, wird jetzt zum Aufreger: „Unsere Aufmerksamkeit, unsere Zeit, unser Geld gibt ihnen erst den Einfluss, den sie haben“, sagt TikTok-User Blakeley, der sich laut Profil als nicht-binär identifiziert, in einem Video. Damit soll jetzt Schluss sein.
Denn Nutzer wie Blakeley sind die Initiatoren der sogenannten Block-Bewegung. Unter dem Hashtag #Blockout2024 teilen Tausende Nutzer sogenannte Blocklisten. Darauf stehen Stars, Influencer und Marken. Treffen soll es diejenigen, die sich im Nahost-Konflikt nicht öffentlich gegen Israel positionieren. Ohne irgendwelche Selbstzweifel bezeichnen sie ihre Aktion als „digitale Guillotine“, die für den „Fall der Eliten“ sorgt.
Wie das Fallbeil während der Französischen Revolution für einen schnellen Tod sorgte, soll die Block-Aktion der Internetgeneration den Influencern und Stars ihre wirtschaftliche Existenz nehmen. Blockieren Nutzer einen Account, werden ihnen dessen Inhalte nicht mehr ausgespielt. Für Accounts mit großer Online-Reichweite ist das fatal, denn Klicks, Views und Likes sind hier die Erfolgswerte mit direkten ökonomischen Folgen. Je höher Reichweite und Follower-Zahl, desto höher der Erlös einer Werbekooperation.
Auslöser der Bewegung: die alljährliche Met-Gala in der vergangenen Woche. Unter dem Motto „The Garden of Time“, schwebten die Reichsten und Schönsten, ausgewählt von „Vogue“-Chefin Anna Wintour persönlich, über den Teppich des Metropolitan Museums in New York. Am selben Tag, 9000 Kilometer östlich, rief das israelische Militär die Bewohner von Rafah im südlichen Gaza-Streifen zur Evakuierung auf, was die Sorge vor einer humanitären Katastrophe steigen ließ.
Israel befindet sich seit dem Massaker am 7. Oktober 2023, bei dem die Terrororganisation über 1200 Menschen ermordete, im Krieg gegen die Hamas. Auf Social Media verbreiten pro-palästinensische Aktivisten immer wieder den unbelegten Vorwurf, Israel würde einen Genozid gegen die Menschen im Gaza-Streifen verüben, so auch nach der Evakuierungsaufforderung an die Menschen in Rafah.
Die US-Influencerin Haley Kalil nahm am Rande der Met-Gala in einem geblümten Kostüm, inspiriert von Marie Antoinette, für ihre fast zehn Millionen TikTok-Follower ein Video auf. Ihre Lippen bewegt sie darin synchron zu dem eingespielten Audioschnipsel „Let them eat cake“, also „Sollen sie Kuchen essen“. Das Video erreichte schnell mehrere Millionen Aufrufe und fast 20.000 Kommentare, in denen der Beitrag als Zeichen der Ignoranz gegenüber der Lage im Nahen Osten interpretiert wird. Vor Kalil verwendeten bereits Hunderttausende dasselbe Audio in Schmink- und Fashion-Videos.
„Wir blockieren jeden einzelnen Prominenten, der an der verschwenderischen Met-Gala teilgenommen hat, während parallel eine ganze Nation von Menschen vernichtet wird“, schäumt ein Nutzer auf der Meta-Plattform Threads. Tausende Aktivisten folgten Aufrufen wie diesem und erstellten Listen mit Namen vermeintlich feiger Prominenter, die „den Genozid nicht verurteilen“.
Neben Hailey Kalil tauchen dort Superstars wie Beyonce, Shakira oder Selena Gomez auf – selbst jedermanns Liebling Taylor Swift ist vor dem cancelwillgen Internet-Mob nicht sicher.
Ganz besonders im Fokus der Aktivisten steht die Unternehmerin Kim Kardashian, die seit Jahren zum festen Inventar der Met-Gala gehört. Es gibt beinahe keine Blockliste, auf der sie und ihre Familie nicht vertreten sind. Bereits nach dem 7. Oktober zog sie den Hass der pro-palästinensischen Internet-Aktivisten auf sich, nachdem sie ihr Mitgefühl für die Opfer des Terrorangriffs äußerte.
Einen Tag nach der Met-Gala trat sie in Hamburg beim Online-Marketing-Rockstars-Festival auf, wo sie von „Free Palestine“-Rufen unterbrochen wurde. „Ich sympathisiere mit den Menschen in Israel und mit denen in Palästina. Ich sympathisiere mit allen“, versuchte Kardashian die Wogen zu glätten. Sie selbst habe „Freunde auf beiden Seiten“. Eine Antwort, die das Internet nur noch mehr erzürnte. „Ich kann diese Frau nicht mehr ernst nehmen“, regt sich eine Nutzerin auf TikTok auf.
Die Blockout-Bewegung hat auch die deutsche Influencer-Szene erreicht. Das versetzt vor allem diejenigen in Panik, deren Existenz von dem Erfolg ihrer Social-Media-Präsenz abhängiger ist, als etwa Kim Kardashian, deren zahlreiche Unternehmen Millionenumsätze erwirtschaften.
So hatte die deutsche TikTokerin Yana Clare das Gefühl, schnell reagieren zu müssen, als sie am Samstag auf den ersten Blocklisten auftauchte. Mit unterwürfigem Blick beichtete sie ihren 1,3 Millionen Followern, dass sie nun verstanden habe, wie sie ihre Plattform nutzen müsse, um auf wichtige Themen aufmerksam zu machen. „Meine Meinung zum Gaza-Konflikt ist klar. Es ist schrecklich, was da passiert. Dass so viele Männer, Frauen und Kinder sterben.“ Über eine Million Mal wurde das Video angesehen, doch die Community hat den Braten gerochen: „Ausgerechnet heute …“ Und: „Schon ein großer Zufall, dass sie erst jetzt darüber spricht“, lauten hunderte Kommentare.
TikTokerin Yasmin wählt einen anderen Weg. Üblicherweise postet sie Schminkvideos oder zeigt ihre Tattoos. Am Samstag unterbrach sie den Strom der Gute-Laune-Videos mit einer jähen Durchsage: „Falls ihr es noch nicht mitbekommen habt, es findet gerade ein Genozid statt, bei dem 35.000 Menschen im Gaza-Streifen ermordet werden.“
Das komme einem doch bekannt vor, sagte sie ihren 900.000 Followern: „Geschichte wiederholt sich.“ Auf Instagram postet sie eine Texttafel mit der Aufschrift, eine ganze Bevölkerungsgruppe werde „offen vor der Welt ausgelöscht“. In den Kommentaren wird die Holocaust-Relativierung goutiert. Drei Herzchen-Emojis und zwei Palästina-Flaggen spendiert ein Nutzer, eine anderer kommentiert: „So wichtig.“ Und setzt fünf Ausrufezeichen dahinter.