Krankenhausreform Unnötige Operationen und schlecht ausgelastete Kliniken

Karl Lauterbach will die Krankenhausreform durch das Kabinett bringen. Doch es gibt viel Kritik. Quelle: Marijan Murat/dpa

Deutschland hat ein Luxusproblem: zu viele Krankenhausbetten und Stationen – mit teils durchwachsener Qualität. Doch der Umbau von Gesundheitsminister Lauterbach hat viele Kritiker. Auch den Chef der größten deutschen Krankenkasse, TK-Vorstand Jens Baas.

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Oft verschoben und heftig umstritten: Das Kabinett hat an diesem Mittwoch die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg gebracht. In Kraft ist sie damit noch nicht, auch weil alle Bundesländer vereint gegen die Pläne sind. Der Vorstandschef der größten Krankenkasse, der Techniker (TK) mit 11,5 Millionen Versicherten, Jens Baas, hält eine Schließung von Kliniken und zugleich bessere OP-Ergebnisse für erreichbar. Doch auch er kritisiert Karl Lauterbach.

Geht es um den Maßstab für eine gelungene Klinikreform, zieht TK-Chef Jens Baas die Brille eines Kranken auf. „Als Patient will ich doch bei schweren Eingriffen die gleichen Überlebenschancen haben – egal in welcher Region ich einen Notfall erleide“, beschreibt er im Interview mit der WirtschaftsWoche. Dazu müssten Kliniken, die nach einer Reform übrigblieben, besser ausgestattet sein. Zurzeit seien zu viele Medizinerinnen und Pflegekräfte in Häusern mit schlechter Auslastung und durch unnötige Operationen gebunden, zeichnet Baas ein Bild der zurzeit knapp 1800 Akutkrankenhäuser im Land. Denn Chirurgie lohne sich, egal wie sinnvoll ein Eingriff sei.

„In Deutschland lohnt es sich finanziell für die Krankenhäuser, sich im Zweifelsfall eher für als gegen eine Operation zu entscheiden. Deshalb wird teilweise auch unnötig operiert“, so Baas. Die TK hat dafür eigene Zahlen. Wer unter den Versicherten vor einer Rücken-Operation eine Zweitmeinung eingeholt habe, bleibe zu 88 Prozent ohne OP. „Das sind erschreckende Zahlen“, urteilt Baas. „Vielen Patientinnen und Patienten könnte man ohne den Griff zum Messer – zum Beispiel durch Muskelaufbau – helfen.“ Doch die bisher geltenden Fallpauschalen setzten Kliniken unter enormem wirtschaftlichem Druck. „Wenn eine Klinik zu viele leerstehende Betten hat und gleichzeitig rote Zahlen schreibt, dann ist es schwer, mögliche Gewinne hinter gute Medizin zu stellen.

Jens Baas. Quelle: imago images/Metodi Popow

Da setzt der Bundesgesundheitsminister an, der die heutige Bezahlweise mit Fallpauschalen für jede Diagnose einst vor rund 20 Jahren als Berater der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt selbst vorangetrieben hatte. Die Pauschalen verleiten aber zu vielen und teils unnötigen Eingriffen, die nicht immer in gut dafür ausgerüsteten Kliniken vorgenommen werden. Allein die gesetzlichen Kassen zahlen rund 90 Milliarden Euro für Klinikbehandlungen im Jahr, rund ein Drittel der insgesamt 275 Milliarden Euro Leistungsausgaben im Jahr.

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Nun also sollen mit der Reform zwei Dinge erreicht werden: Lokal wichtige Hospitäler sollen zum Teil für die Vorhaltung bestimmter Ausrüstung und nicht nur für erbrachte Leistungen bezahlt werden. Außerdem dürfen künftig nur noch Häuser spezialisierte Leistungen und OPs erbringen, die eine angemessene Ausstattung dafür haben. Das wird zu Schließungen führen: Weder Lauterbach noch die Landesminister wollen allerdings sagen, wo Kliniken mit welcher Ausstattung sein sollen. Sie fürchten den Frust von Menschen auf dem Land, wo Fachärzte rar sind und die medizinische Versorgung schwindet. Die Länder bemängeln, dass die Finanzierung zum Umbau in Schwerpunkthäuser nicht ausreiche und wichtige Kliniken in abgelegenen Regionen nicht abgesichert würden.

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Einheitliche Kriterien für erhaltenswerte Hospitäler verlangt auch TK-Chef Baas. Wo welche Versorgung angeboten werde, brauche „aktive Krankenhausplanung“ und mehr Spezialisierung. „Dabei müssen klare und einheitliche Kriterien gelten.“ Die Kliniken in Deutschland seien dauerhaft nur zu 70 Prozent ausgelastet, das sei zu teuer. „Die brauchen wir längst nicht alle.“ Außerdem könne das knappe Fachpersonal besser in weniger und größeren Einheiten eingesetzt werden. All das hebe die Qualität.   

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Dann kommt Baas auf einen Konflikt, der mit der Reform Lauterbachs ausgebrochen ist. Bund und Länder sind bei den Krankenhäusern aufeinander angewiesen, aber uneins. „Die Krankenhausplanung ist in Deutschland zunächst einmal Aufgabe der Bundesländer.“ Die Länder bezahlen für Beton und aufgestellte Betten. Der Bund bestimmt, wie die Kliniken von den Versicherungen für ihre Leistungen bezahlt werden. Die von Lauterbach beauftragte Expertenkommission schätzt, dass sich die Zahl der Menschen, die mehr als 30 Minuten mit dem Auto zur Klinik brauchen, von einer auf über fünf Millionen erhöhen könnte.

Baas verlangt eine klare Orientierung. „Die Kliniklandschaft muss sich auch am tatsächlichen Bedarf orientieren. Das bedeutet auch, dass man um Zusammenlegungen und Schließungen nicht herumkommen wird.“ Nicht nur die Länder haben deshalb gegen das Vorgehen Lauterbachs ohne Einbeziehung des Bundesrates Widerstand angekündigt. Auch Baas erwartet noch Änderungen, weil Lauterbach einen Teil der „Transformation“ von kleineren hin zu spezialisierten, größeren Einheiten mit Geld der Versicherten bezahlen will.

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Immer mehr Aufgaben müssten nach den Plänen von den Beitragszahlenden bezahlt werden, für die die Krankenversicherung nicht zuständig sei, so der TK-Chef. „Allein der Transformationsfonds soll die Krankenkassen perspektivisch 25 Milliarden Euro kosten.“ Das schlage dann auch auf die Beiträge nieder. Nach der Faustformel bedeuteten 1,8 Milliarden Euro Ausgaben mehr im Jahr etwa 0,1 zusätzliche Beitragssatzpunkte.

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