„Stille Reserve“ Warum 3,2 Millionen Menschen in Deutschland nicht arbeiten, obwohl sie es gern würden

3,2 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Job-Wunsch Quelle: Monika Skolimowska/dpa

Millionen von nicht erwerbstätigen Männern und Frauen in Deutschland würden gern eine Arbeit aufnehmen, eine Großzahl ist sogar gut qualifiziert. Welche Gründe die sogenannte „Stille Reserve“ zurückhalten.

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Millionen Menschen in Deutschland würden gerne arbeiten, tun dies aber aus verschiedenen Gründen nicht. Im vergangenen Jahr wünschten sich fast 3,2 Millionen nicht erwerbstätige Personen im Alter von 15 bis 74 Jahren Arbeit, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Das entspricht knapp 17 Prozent aller Nichterwerbspersonen. Für den Standort Deutschland ist diese Zahl in Zeiten des Fachkräftemangels ein Problem.

Denn deutsche Unternehmen und Betriebe beklagen die schwierige Suche nach Arbeitskräften. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zählte im vierten Quartal 2023 noch gut 1,7 Millionen offene Stellen. Zeitgleich waren im vergangenen Jahr hierzulande fast 46 Millionen Menschen erwerbstätig – so viele wie noch nie seit der deutschen Vereinigung 1990, meldete das Statistische Bundesamt.

Die sogenannte „Stille Reserve“ umfasst Personen ohne Arbeit, die zwar kurzfristig nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar sind oder nicht aktiv nach Stellen Ausschau halten, sich aber trotzdem einen Job wünschen. Sie gehören deshalb nicht zu den knapp 1,4 Millionen Erwerbslosen. Sie werden stattdessen als gesonderte Gruppe gezählt, „die weiteres ungenutztes Arbeitskräftepotenzial aufzeigt“, erklärten die Statistiker.

Von ihnen gaben 372.000 Personen an, dass sie zwar Arbeit suchen, jedoch zum Beispiel aufgrund von Betreuungspflichten kurzfristig – innerhalb von zwei Wochen – keine Tätigkeit aufnehmen können. Weitere 945.000 gaben an, dass sie prinzipiell verfügbar sind, aber im Moment keine Stelle suchen, weil sie zum Beispiel glauben, keine passende Tätigkeit finden zu können. Die dritte Gruppe umfasst 1,85 Millionen Personen. Diese suchen zwar weder einen Job noch sind sie kurzfristig verfügbar, äußern aber einen generellen Arbeitswunsch.

57 Prozent der Stillen Reserve sind Frauen

Im vergangenen Jahr stellten Frauen 57 Prozent der Stillen Reserve. Deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigten sich bei den Hauptgründen für die Inaktivität auf dem Arbeitsmarkt in der Altersgruppe der 25- bis 59-Jährigen: So gaben 32 Prozent oder 383.000 der Frauen an, dass sie aufgrund von Betreuungspflichten derzeit nicht arbeiten können. Bei den gleichaltrigen Männern werden dagegen von rund 32.000 die Betreuungspflichten als Hauptgrund genannt. Das sind knapp vier Prozent.

Begründet werden kann das unter anderem mit dem immer noch hohen Gender-Care-Gap in Deutschland – also der Lücke, die den unterschiedlichen Zeitaufwand beschreibt, den Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen. Dieser liegt laut Statistischem Bundesamt bei 44,3 Prozent: Frauen bringen täglich also 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Umgerechnet sind das 79 Minuten Unterschied pro Tag. Das ist Zeit, die Frauen für die Erwerbsarbeit fehlt und Auswirkungen auf ihre Entlohnung, ihre beruflichen Chancen, ihre ökonomische Eigenständigkeit und ihre Alterssicherung hat.

Bettina Kohlrausch von der Hans-Böckler-Stiftung sagte anlässlich des Equal-Care-Days im Februar gegenüber der WirtschaftsWoche, dass Familien immer noch zu Rollenverteilungen neigen. „Das liegt zum Teil daran daran, dass Frauen immer noch weniger verdienen, da sie häufiger in schlecht bezahlten Branchen arbeiten“, so Kohlrausch, „Da macht es mehr Sinn, auf das Gehalt der Frau zu verzichten“. Dafür müssen nicht nur Männer mehr Sorgearbeit übernehmen, sondern auch das Betreuungsangebot ausgebaut werden: „Das Kita-Angebot reicht nicht aus und wo es da ist, kann es formal faktisch nicht eingehalten werden“.

Gesundheitliche Einschränkungen spielen dagegen für beide Geschlechter eine bedeutende Rolle: für 35 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen in der Stillen Reserve war dies der Hauptgrund ihrer Inaktivität am Arbeitsmarkt.

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Ein Großteil der Stillen Reserve hat mindestens mittleres Qualifikationsniveau

Über die Hälfte der Personen in der Stillen Reserve ist dabei gut ausgebildet. 58 Prozent der Menschen hatte 2023 mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung oder die Fachhochschulreife. Bei den Frauen waren es ein wenig mehr als bei den Männern: 61 Prozent der Frauen und 54 Prozent der Männer weisen eine mittlere oder hohe Qualifikation auf.

Mit Material von Reuters.

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