Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

ESG-Regulatorik: Dringender Handlungsbedarf bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung im deutschen Mittelstand

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Lieferkettengesetz, Klimareporting, zunehmende Auskunftspflicht oder Nachhaltigkeitsberichterstattung – die Anforderungen an Informationen steigen in immer mehr Unternehmen. Unternehmen sind aufgrund strenger EU-Regulatorik verpflichtet, Daten zu erheben und gleichzeitig international wettbewerbsfähig bleiben. Für das Geschäftsjahr 2025 werden mehr als 15.000 Unternehmen in Deutschland verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen und prüfen zu lassen. Doch die Ergebnisse der aktuellen Studie „ESG Pulse Check Mittelstand 2024“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton in Zusammenarbeit mit YouGov Deutschland zeigen, dass es im Prozess der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der EU-Taxonomie-Verordnung und der CSRD an das eigene Unternehmen großen Handlungsbedarf im deutschen Mittelstand gibt. Ende März/Anfang April 2024 wurden online 501 Unternehmensentscheider:innen (mindestens mittleres Management) in Deutschland befragt.

Die zentralen Ergebnisse im Überblick:

  • 48 Prozent der befragten Unternehmen haben entweder gerade erst damit begonnen oder befinden sich aktuell mitten im Prozess der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der EU-Taxonomie-Verordnung und der CSRD an das eigene Unternehmen.
  • 20 % der Unternehmen sieht die kommende Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts als Chance.
  • Die Hälfte der Unternehmen gibt an, derzeit kein dezidiertes ESG-Controlling zu betreiben. 45 Prozent der Befragten planen, spezielle Software für die ESG-Datenerhebung und Nachhaltigkeitsberichterstattung einzuführen. 
  • Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Unternehmen und der tatsächlichen ESG-Readiness. Unternehmen sind angehalten, sich mit der Materie strategisch auseinander zu setzen.
  • 43 Prozent der befragten Unternehmen haben keine Vorstellung bezüglich einer Schätzung der intern anzusetzenden Kosten für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichterstattung. 13 % planen für die Umsetzung Budgets von weniger als 10.000 Euro ein, 16 % rechnen mit 10.001 bis 100.000 Euro und 14 % mit 100.001 bis 250.000 Euro.
  • Es braucht eine Veränderung im Mindset von Unternehmen: Das Bewusstsein, dass die CSRD auch Wettbewerbsvorteile, neues und nachhaltiges Wachstum bringen kann, muss noch stärker in den Köpfen verankert werden. 
  • Bei der Bewertung und dem Verständnis der Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts sehen 26 Prozent der Befragten die Erstellung als bürokratischen Aufwand und 22 Prozent als Problem.
  • 38 Prozent des deutschen Mittelstands haben sich noch nicht eingehend mit der ESG-Regulatorik beschäftigt. Auch bei Mittelständlern, die sich mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie der EU-Taxonomie-Verordnung sowie den daraus für sie geltenden Anforderungen auseinandergesetzt haben, gibt es eine hohe Diskrepanz zwischen ESG-Readiness und tatsächlicher Umsetzung.
  • 62 % der befragten Unternehmen geben an, keine Umsetzungs-Roadmap für die CSRD zu haben. Von den 24 Prozent der Befragten, die angeben, einer Umsetzungs-Roadmap zu folgen, ist knapp die Hälfte noch in der Planungsphase der Wesentlichkeitsanalyse (Materialitätsanalyse), in der Nachhaltigkeitsthemen identifiziert und hinsichtlich ihrer Auswirkungen und finanziellen Bedeutung für das Unternehmen bewertet werden.
  • 64 Prozent sind bezüglich ihrer Vorbereitung auf die Anforderungen an Nachhaltigkeit und den damit verbundenen Berichtspflichten als mindestens "befriedigend" aufgestellt (8 % sehr gut, 24 % gut, 32 % befriedigend).

Unternehmen laufen Gefahr, in eine Kostenfalle zu tappen, wenn sie nicht frühzeitig strukturelle, prozessuale und finanzielle Maßnahmen zur Umsetzung der CSRD ergreifen. Dazu gehören neben der Berichterstattung auch Klimarisikoanalysen. Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat ihren Bericht European Climate Risk Assessment im März 2024 veröffentlicht. Darin wird die Gesamtlage in Europa anhand von 36 zentralen Klimarisiken beschrieben und bewertet. Das hat auch Auswirkungen auf Unternehmen.

Die zentralen Ergebnisse der Europäischen Klimarisikoanalyse (EUCRA) im Überblick:

  • Es wird ein wachsender Bedarf an transformativen Anpassungsmaßnahmen gesehen. Die europäischen, nationalen und lokalen Anpassungsaktivitäten sollten besser aufeinander abgestimmt werden.
  • Europa und Deutschland sind noch nicht ausreichend für die Klimarisiken in allen Bereichen vorbereitet. Ein umfangreicheres und schnelleres Handeln ist dringlich, um Menschen vor Hitze und Infrastruktur vor Überschwemmungen zu schützen sowie die Tragfähigkeit europäischer Solidaritätsmechanismen bei Naturkatastrophen zu bewahren.
  • Für die lokale Ebene und den privaten Sektor ist eine verstärkte finanzielle Unterstützung durch die EU erforderlich, vor allem für Investitionen in die Infrastruktur und das Gesundheitssystem
  • Die Klimarisiken für Europa decken sich größtenteils mit denjenigen, die in der deutschen Klimarisikoanalyse von 2021 für Deutschland identifiziert wurden.
  • Es ist eine stärkere Einbeziehung von ⁠Anpassung an den Klimawandel⁠ in alle relevanten EU-Politiken sowie mehr konkrete politische Maßnahmen auf verschiedenen politischen Ebenen erforderlich (vor allem sind politische Maßnahmen betroffen, die sich auf Klimarisiken für Umwelt und Gesundheit beziehen).

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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