Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

"Muss ich über Leichen gehen?" 6 Tipps für Ihre Karriere mit Kopf statt Ellenbogen

Bild: gratisography.com

"Wieviel Ellenbogen muss ich für meine Karriere einsetzen und sollte ich unter Kollegen auch mal über Leichen gehen, um im Unternehmen voranzukommen?", fragte mich neulich eine Klientin (29) im Coaching. Es frustriert sie, dass sie vier Jahre nach ihrem Master-Abschluss und Berufseinstieg bei ihrem aktuellen Arbeitgeber einfach nicht weiterkommt. Ihr Chef sehe ihre Leistungen nicht und auch die Kollegen würden ihre Hilfsbereitschaft inzwischen mehr ausnutzen als wertschätzen, so ihr Eindruck. In der Zwischenzeit seien zwei Kollegen aus ihrem Team an ihr vorbei befördert worden, dabei sei die eine Kollegin weniger lange dort, egoistisch und bei allen unbeliebt. "Muss ich etwa auch so werden?", möchte sie von mir wissen.  

Ich antwortete ihr spontan - mit einem Lächeln, dass sie unbedingt schnleunigst einen Kurs in Nahkampfsport belegen und ihre Ellenbogen hart trainieren müsse, um die gefährlichsten Kollegen und ärgsten Konkurrenten im Rennen um die beste Karriere aus der Bahn zu kicken. Beliebt war gestern, ab sofort sei rücksichtsloser Kampf angesagt. Ok, es war wohl sehr offensichtlich, dass ich das nicht ernst meinte und wir mussten beide lachen. 

Spaß beiseite. Meine Klientin hat es erlebt, wer befördert wird: Die Kollegin, die lauthals ihre Meinung sagt, sich bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund spielt, schlecht über andere Kollegen hinter deren Rücken spricht und die Fehler der anderen bei ihrem Chef ankreidet. Die, die ihre Arbeit mehr schlecht als recht erledigt und Lästiges auch gerne mal Schwächeren aufs Auge drückt. Gehasst von jedem im Team, befördert vom Chef. "Wie kann der nur so blind sein?" ist die bohrende Frage, die meiner Klientin jeden Tag aufs Neue durch den Kopf geht. 

Karriere mit Ellenbogen macht, wer's nötig hat

Wenn Sie mir bereits länger hier folgen und einige meiner Texte gelesen haben - oder wir uns sogar persönlich kennen, dann wissen Sie, dass mir Klarheit, Augenhöhe und Leichtigkeit sehr wichtig sind. Nicht nur mir als "Bernd" in meinem Leben, sondern auch als Karriere-Coach bei meiner Arbeit mit Jobwechslern, Bewerbern und Führungskräften. Ich bin überzeugt, dass Leben und Arbeit kein ständig harter Kampf sein müssen, sondern privates Glück und beruflicher Erfolg auch leicht sein dürfen. 

Auch wenn meine Klientin in diesem Moment mit einer emotionalen Mischung aus Wut, Frustration und Neid auf die beförderte Kollegin blickte, so tut sie ihr gleichzeitig auch leid. Denn sie sitzt einsam Mittags in der Kantine und selbst die Kolleginnen und Kollegen im neuen Team wissen, welch falsches Spiel sie spielt. In Meetings plustert sie sich wichtig auf, doch kaum jemand nimmt sie noch ernst. "Das habe sie nicht nötig und so wolle sie auf keinen Fall enden", ist sich mein Gegenüber vollkommen sicher. 

Ellenbogen-Karrieren haben in einer modernen Arbeitswelt nichts mehr zu suchen

Ich bin der Meinung, dass Karrieren als Konsequenz und Belohnung von Macht, falschem Taktik-Spiel und egoistischem über Leichen gehen der Vergangenheit angehören müssen. Nicht nur, weil ich einige dieser Karrieren in den letzten Jahren beobachtet habe und sie alle genauso schnell endeten, wie sie begonnen haben, sondern auch und insbesondere, weil sie heute viele höchst motiverte Angestellte aus Unternehmen und Organisationen vergraulen, die eine derartige Beförderungskultur als unehrlich und ungerecht empfinden. Das ganze Team meiner Klienten schiebt jedenfalls seit diesem "Vorfall" Dienst nach Vorschrift. Das kann sich eigentlich kein Arbeitgeber mehr leisten - ganz zu schweigen von der Außenwirkung auf Arbeitgeberbewertungsplattformen.  

In unserer modernen durch die Digitalisierung geprägten Arbeitswelt gewinnt das Miteinander immer mehr an Bedeutung: Ob in zunehmender Projektorganisation, agilem Arbeiten oder in der Vision des Chefs als Mentor und Sparringspartner für seine Mitarbeiter - oder gänzlich ohne Hierarchie und Führung. Hartes Gegeneinander und Ellenbogen-Mentalität passen nicht hierher. Unsere  gesellschaftlichen Werte und das, was uns als Individuum im Beruf wichtig ist, haben sich wie auch die Formen der Zusammenarbeit in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wo früher noch Macht und Status Erfolg und Geld versprachen, sind es heute mehrheitlich Sinn und Freiheit, Entwicklung und Selbstverwirklichung, das Arbeitnehmer inzwischen Generationen übergreifend in ihren Berufen motiviert. 

Mischung aus kollegialem Wir und selbstverantwortlichem Ich

Ich habe meiner Klientin geraten, ihre Ellenbogen lieber in guter Absicht zu nutzen, um Hand in Hand gemeinsam als erfolgreiches Team Ziele zu erreichen. Doch was hier erst einmal nach Kuschelkurs und nett kollegialem Miteinander klingt, wird ihr und Ihnen allein noch nicht das Weiterkommen im Beruf ebnen. Wer als netter und jederzeit hilfsbereiter Kollege im Team untergeht, es allen anderen mehr als sich selbst recht macht und sich für die gemeinsame Sache hingebungsvoll aufopfert, der wird sich nicht für weiterführende Aufgaben oder die Übernahme von mehr Verantwortung sichtbar machen und nach oben empfehlen.

Verpulvern Sie also weder Ihre Energie im Nahkampf mit Chef und Kollegen, noch sollten Sie sich selbst im Job vor lauter Spaß im Team vergessen. Es kommt vielmehr auf die richtige Mischung von kollegialem Wir für den gemeinsamen Erfolg als Team sowie die eigenverantwortliche Steuerung der individuellen beruflichen Entwicklung an. 

Karriere macht, wer als Teil eines erfolgreichen Teams sichtbar ist und als Chef des eigenen Lebens Verantwortung für seine berufliche Entwicklung übernimmt.

Sechs Tipps für Ihre Karriere mit Kopf statt Ellenbogen

  1. Nehmen Sie eine Rolle bei einem Arbeitgeber und eine Funktion in einem Team ein, die Ihren Stärken, Talenten und auch Ihrer Persönlichkeit entspricht und Sie so wirkungsvoll zum gemeinsamen Erfolg beitragen können.
  2. Machen Sie Ihre Stärken und Potenziale sowie Ihre Leistungen und Erfolge für Ihren Chef und andere Entscheider im Unternehmen sichtbar. Zeigen Sie, was Sie als Team erreicht haben und sprechen Sie darüber, welchen Anteil Sie daran haben.
  3. Positionieren Sie sich als Experte für ein Thema oder Aufgabengebiet, bringen Sie sich aktiv in interessante Projekte ein und erschließen Sie sich Themen, die für Ihren Arbeitgeber auch zukünftig von Bedeutung sein werden.
  4. Arbeiten Sie kontinuierlich an Ihren sozialen Kompetenzen und qualifizieren Sie sich so für Führungspositionen oder Aufgaben mit größerer Verantwortung.
  5. Schaffen Sie für sich selbst Klarheit über Ihre persönlichen Werte und Ziele im Beruf und sprechen Sie mit Ihrer Führungskraft regelmäßig über Entwicklungsmöglichkeiten, die für Sie in den nächsten Jahren attraktiv und zu Ihrer Lebenssituation passend erscheinen.
  6. Vernetzen Sie sich innerhalb und außerhalb des Unternehmens mit interessanten Menschen, um Ihren Horizont zu erweitern und ein wertvolles Netzwerk für Ihre berufliche Zukunft aufzubauen.

Es ist Ihre Entscheidung, ob Erfolg im Beruf ein ewiger Kampf mit harten Bandagen auf steinigem Weg sein muss oder ob Sie das gemeinsame Erreichen von Zielen im Team mit mehr Leichtigkeit und Freude einen gesünderen Schritt weiter in Ihrer persönlichen beruflichen Entwicklung führt. 

Was denken Sie? Sind Kampf und "Ellenbogen" heute noch angesagt oder sogar erforderlich, um Karriere zu machen? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung und Erfahrungen in den Kommentaren. 

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Weitere Beiträge rund um neue Karrieren, Bewerbung auf Augenhöhe und gesunde Führung finden Sie in meinem Karriereblog "Perspektivwechsel" sowie in meiner Artikelsammlung hier auf XING.

www.bernd-slaghuis.de

Wer schreibt hier?

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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