Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Restposten: Sind unsere Jobs noch zu retten?

Benevento
Cover-Ausschnitt des Buches von Michael Opoczynski: Restposten. Sind unsere Jobs noch zu retten? Benevento Verlag 2020.

Die Arbeitswelt befand sich schon vor Corona in einem radikalen Umbruch.

In seinem aktuellen Buch „Restposten. Sind unsere Jobs noch zu retten?“ schreibt Michael Opoczynski, dass wir immer mehr zu Zeitarbeitern, Freelancern und digitalen Tagelöhnern werden: „Corona funktionierte da wie ein Brandbeschleuniger, der die dramatische Lage erst recht entzündete und sogar beschleunigte.“ Opoczynski, geboren 1948, studierte Politikwissenschaften, war Assistent von Hans Matthöfer, Pressesprecher der SPD in Hessen und Redakteur beim ZDF. Dort war er zuletzt Leiter der Wirtschaftsredaktion und Moderator der Sendung WiSo sowie Chef-Kommentator für Wirtschaftsfragen.

Der Wirtschaftspublizist spricht in seinem Buch aus, was sich die meisten von uns wohl wünschen: dass wir in einem kurzen schlechten Traum sind, und „dass in der Arbeitswelt bald alles irgendwie weiter seinen Gang gehen wird. Oder dass Veränderungen so langsam kommen, dass sie uns nicht wehtun. Oder dass wir genug Zeit haben werden, uns auf Veränderungen einzustellen.“ Doch alles ist anders, und die eigene Zukunft ist ungewisser denn je. Michael Opoczynski plädiert dafür, genauer hinzusehen, auch wenn der Anblick wehtut. „Wer berufstätig ist, als Angestellter oder Arbeiter sein Gehalt bezieht und noch ein paar Jahre vor sich hat, der wird mit einer veränderten Arbeitsumgebung, einer veränderten Arbeitsweise und neuen Einkommensquellen konfrontiert werden.“

Nur wer sich auf diese Veränderungen vorbereitet, wird weiter nachhaltig arbeiten können, denn die digitale Transformation verändert das Wettbewerbsumfeld für Unternehmen in rasendem Tempo. „Die riesigen Werksgelände sind Vergangenheit, die Hallen mit den vielen Arbeitern und mit dem Drei-Schicht-Betrieb sind die Ruinen der Zukunft“, so Opoczynski über eine Schlüsselindustrie, die ihre Dominanz verloren hat. Doch es fallen nicht nur Arbeitsstellen in den Autofabriken weg. Auch Zulieferer verlieren ihr Geschäftsmodell. Die Basis, auf der viele Global Player über Jahrzehnte hinweg erfolgreich waren, erodiert.

Digitalisierung fördert atypische Beschäftigungsmodelle wie flexible Teilzeitarbeit, Intrapreneurship sowie neue Arbeitsformen wie Crowdsourcing und Clickworking.

„Mit ein paar Klicks auf dem Smartphone Geld verdienen. Wie schön.“, schreibt der Wirtschaftspublizist über sogenannte Plattformen, die Kunden und Jobber zusammenführen und dabei viel Geld machen: AppJobber, Crowd Flower, Crowd Guru, StreetSpotr, aber auch Mechanical Turk von Amazon. Die Crowd und ihre Crowdworker. „Da geht es um Menschen, die als Gruppe gemeinsam arbeiten. Theoretisch. Aber was sich da sprachlich schönmacht, beschreibt in Wirklichkeit einen undurchschaubaren Zustand, bei dem Unsicherheit und Konkurrenz die Lage bestimmen. Es sind jede Menge Konkurrenten und Fremde in der Crowd, keine Partner, keine Freunde … Wenn man sein Angebot für ein Projekt abgegeben hat, kann man nur hoffen oder beten. Vielleicht bekommt man den Job (dann überlegt man, ob man vielleicht zu billig war), vielleicht wird man abgelehnt. Dann bleiben Fragen: War ich viel zu teuer – oder nur ein bisschen? Liegt’s an meiner Qualifikation?“

Die alte Arbeitswelt war durch feste Berufsstrukturen und eine fachspezifische Aus- und Weiterbildung gekennzeichnet.

In der durch die Digitalisierung geprägten Arbeitswelt ist das Erlernen und die Ausübung eines Berufs immer seltener anzutreffen. „Was früher der Koch war, wird in den Berufsschulen Fachfrau oder Fachmann für Systemgastronomie genannt. Klingt eindrucksvoll, aber dahinter verbirgt sich eine schlichte Ausbildung zum Hamburgerbräter oder Spaghettikocher, es geht um begrenzte Fähigkeiten am Herd oder an der Theke, mehr sollen und dürfen sie nicht können, die Systemgastronomen. Die Ausbildung zum richtigen Koch gibt es daneben auch noch, sie dauert aber deutlich länger.“

In anderen Bereichen sieht es ähnlich aus: Die Zukunft von Logistik und Verkehr liegt in den Händen der Roboter, es wird noch wenige Banker geben, weil nur ein paar Manager und IT-Spezialisten die Arbeit erledigen. Auch Kassiererinnen und Regaleinräumer werden überflüssig. „Nur noch in exklusiven Geschäften oder bei Marktständen werden Menschen gebraucht. Gesucht werden auch künftig Arbeitnehmer in Leitungsfunktionen: Filialleiter, Verkaufsleiter, aber auch hier wird es zahlenmäßig immer weniger Arbeitsplätze geben.“ Opoczynski kritisiert zu Recht, dass die „amtliche Berufsausbildung“ dennoch unverdrossen die einzelnen Ausbildungsberufe bewirbt, als habe sich nichts getan und als werde sich auch künftig nichts ändern.

Um die aktuellen Herausforderungen nachhaltig zu meistern, sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

• Frühzeitige Vorbereitung auf die Möglichkeiten, Chancen und Risiken einer beruflichen Selbstständigkeit.

• Neue Möglichkeiten der Anschubfinanzierung für Gründer und der Beratung bei Gründungs- und Selbstmanagement – unabhängig vom Qualifizierungsniveau der Gründer.

• Unterstützung des Trends zu mehr Selbstorganisation und Selbstvermarktung durch neue Möglichkeiten der Qualifizierung.

• Aufbau zentraler Zertifizierungsinstanzen, die für eine branchenübergreifende Gültigkeit von Zertifikaten sorgen.

• Vermittlung allgemeiner IT-Kompetenzen auf allen Qualifizierungsstufen und bessere Verfügbarkeit von Endgeräten sowie ein Zugang zum schnellen Breitband-Internet.

• Nachhaltigkeit im Kerngeschäft verankern.

Mut tut uns gut!

Mit dem Beispiel der Unternehmerin Dr. Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des familieneigenen Unternehmens VAUDE Sport GmbH & Co. KG in Tettnang, gibt Opoczynski nicht nur „Nachhilfe in zukunftsfähigem Wirtschaften“, sondern auch Hoffnung. Kennengelernt hat er sie in einer Klosterkirche. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau, Volker Jung, hatte in das Frankfurter Dominikanerkloster eingeladen. „Was Leben erfolgreich macht“ lautete der Titel ihres Vortrags. „Sie erreicht das überwiegend evangelische, gläubige Publikum durch ihre Nähe und Authentizität. In klaren Worten spricht sie über ihre Ziele und Aufgaben. Als konventionelle Chefin, als Unternehmerin, als Managerin würde man sie in einer ZDF-Vorabendserie eher nicht besetzen. Das spricht für sie. Und gegen meine Vorurteile.“

Nach ihrem Studium der Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau baute von Dewitz als Produktmanagerin den Produktbereich „Packs ‘n Bags" bei VAUDE auf und verantwortete die PR, Internet und Mediaplanung im Unternehmen. Zwischen 2002 und 2005 promovierte und arbeitete sie am Stiftungslehrstuhl Entrepreneurship an der Universität Hohenheim. Im Rahmen ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit dem Thema „Leistungsstarke Arbeitsverhältnisse in kleinen und mittelständischen Unternehmen“. 2005 kehrte sie als Marketingleiterin zu VAUDE zurück. 2009 übernahm sie die Geschäftsführung von ihrem Vater Albrecht von Dewitz, der bereits den Grundstein für die ökologische und soziale Verantwortung des Unternehmens legte.

Einige der spezialisierten Produktionsstätten, die das Unternehmen für die Herstellung funktioneller Outdoor-Bekleidung benötigt, gibt es nicht in Deutschland. Deshalb liegt der Fokus derzeit auf der Frage, „wie wir es schaffen, in Asien faire Arbeitsbedingungen zu garantieren, hinter denen wir mit unseren Werten stehen können.“ Seit 2001 arbeitet VAUDE mit dem strengen Umweltstandard bluesign. 2008 wurde VAUDE als erstes Outdoor-Unternehmen nach EMAS zertifiziert. Seit 2012 ist der Firmenstandort Tettnang und alle dort hergestellten Produkte klimaneutral. Mit der VAUDE Green Shape-Garantie werden Produkte gekennzeichnet, die besonders umweltfreundlich und ressourcenschonend hergestellt werden.

Mit dem service iRentit by VAUDE haben Outdoor-Begeisterte die Möglichkeit, Ausrüstung wie Rucksäcke, Zelte, Fahrradtaschen oder Reisegepäck unkompliziert zu mieten und nach Gebrauch einfach wieder zurückzugeben. Das Unternehmen ist auch Mitglied der Fair Wear Foundation (FWF). Die Mitglieder dieser europäischen Multi-Stakeholder-Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie akzeptieren den „FWF-Code of Labor Practise“. FWF kontrolliert, zertifiziert und unterstützt seine Mitglieder in diesem Bereich. Als erstes Unternehmen der Outdoor-Branche veröffentlichte VAUDE eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz, die neben ökonomischen vor allem auch ökologische und soziale Faktoren bewertet. VAUDE ist damit ein Pionierunternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), einer Initiative, die sich für ein Umdenken in der Wirtschaft zugunsten des Gemeinwohls einsetzt.

In ihrem Buch „Mut steht uns gut“ beschreibt die Unternehmerin und Mutter von vier Kindern das Betriebsgelände, das „idyllisch eingebettet zwischen sanften Hügeln, grünen Nadelwäldern und den kleinen Dörfern Unter- und Obereisenbach, zehn Kilometer vom Bodensee entfernt“ liegt. Der Blick aus den Bürofenstern zeigt, „je nach Etage und Blickrichtung, wahlweise die Dorfkirche, Kühe, wiesen, Hopfenfelder oder in der Ferne sogar die die Alpen.“ Darauf bezieht sich auch Opoczynski: „Wenn man das Landleben liebt, ist man hier richtig und sagt: wie idyllisch! Wer städtische Vielfalt sucht, wird hier trübsinnig und denkt: Oh je!“ Doch um die richtigen Mitarbeiter zu finden, zu halten, zu motivieren, lässt sich die Geschäftsführerin immer etwas einfallen: So hat sich VAUDE gemeinsam mit dem Tettnanger Unternehmen ifm dafür eingesetzt, dass der Firmenstandort an das öffentliche Busnetz angebunden wird.

Hervorzuheben ist auch die Bio-Zertifizierung für das betriebseigene Café und den Kiosk am Firmenstandort Tettnang-Obereisenbach: Alle Speisen und Getränke stammen aus biologischer Herstellung, vom Fair Trade Kaffee über das Bio-Fleisch und die Eier aus regionaler Bio-Haltung bis hin zum Bio-Bier einer Familienbrauerei in nächster Nähe. Etwa die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeitet in Teilzeit. Mobiles Arbeiten und Homeoffice wurden schon vor der Krise gefördert. Für Stellenausschreibungen wird hier meistens nur ein minimales Budget benötigt, denn das Unternehmen erhält immer eine Vielzahl an Initiativbewerbungen von Menschen, die gern hier anfangen möchten und sich mit der Familienphilosophie identifizieren.

Das Buch der Unternehmerin entstand vor der Corona-Krise. Besonders lesenswert ist deshalb das VAUDE-Kapitel bei Michael Opoczynski, der darauf verweist, dass im März 2020 gleich zwei der zwanzig wichtigsten Händler des Unternehmens dicht machten. Zwar übernimmt die Forderungsausfälle ihre Versicherung, doch die Händler werden trotzdem fehlen. Auch gibt es bei den Zulieferern aus Fernost gibt es Insolvenzen. Die Lieferkette droht zu reißen. Dennoch lässt sich das Unternehmen nicht ins Wanken bringen, weil es sich nie auf den Massenmarkt eingelassen hat – ein enormer Vorteil in Krisenzeiten. Das von Michael Opoczynski ausgewählte Zitat von Antje von Dewitz zeigt, worauf es heute ankommt: „Es gibt da draußen größere Krisen als Corona, den Klimawandel und das Artensterben etwa.“

Weiterführende Literatur:

Michael Opoczynski: Restposten. Sind unsere Jobs noch zu retten? Benevento Verlag, Salzburg, München 2020.

Antje von Dewitz: MUT STEHT UNS GUT! Nachhaltig, menschlich, fair – mit Haltung zum Erfolg. Benevento Verlag, salzburg, München 2020.

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
Dr. Alexandra Hildebrandt

Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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