Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Wandel durch Vernunft: Ein vergessener Aspekt in der Transformationsdebatte

Dr. Alexandra Hildebrandt

In unserer Zeit wird heute vielfach gegen die Gesetze der Vernunft verstoßen.

Für den Aufklärer Immanuel Kant, der mit seiner Philosophie unser Welt- und Menschenbild bis heute prägte, war Vernunft keine Selbstverständlichkeit, sondern eine herausfordernde Erinnerung an unsere Selbstachtung, unseren Mut zum Selberdenken und das Bewusstsein darüber, was richtig und falsch ist. Im Zentrum seiner Philosophie steht die Emanzipation des Denkens: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Aufklärung bezeichnet allgemein jegliche weltanschauliche Transformation von der Dunkelheit zum Licht oder vom Mythos zum Logos. Als transhistorischer Universalbegriff ist Aufklärung ein Synonym für Entmythisierung und bezeichnet als Übersetzung von lateinisch „serenitas“ das „Durchbrechen der Sonne bei bedecktem Himmel“. Die heute damit assoziierte Bedeutung von „aufhellen“, „klarmachen“ und „aufdecken“ eines bestimmten Sachverhalts verbindet sich damit seit 1720. An die Stelle etablierter Institutionen setzte Kant die Autorität der Vernunft – das geistige Vermögen, Zusammenhänge zu erkennen, zu beurteilen und sich sinnvoll und zweckmäßig zu verhalten. Sein erkenntnistheoretisches Hauptwerk ist die „Kritik der reinen Vernunft“, in dem er die Basis für seine Transzendentalphilosophie liefert. Kant schrieb sie als erste seiner drei „Kritiken“: Es folgten die „Kritik der praktischen Vernunft“ und die „Kritik der Urteilskraft“. In all diesen Werken erscheint der Mensch als vernunftbegabtes Wesen, das selbstständig denken und frei entscheiden kann. Er soll verantwortungsbewusst, respektvoll und friedensbereit handeln.

Zu Lebzeiten Kants wurden seine philosophischen Bücher allerdings kaum verkauft. Schnell ausverkauft war nur sein kleines Buch „Zum ewigen Frieden“. Kant bemerkte darin, dass es gut wäre, wenn alle Länder und Völker einen gemeinsamen Bund schließen würden, in dem Grenzen und Soldaten keine Rolle mehr spielen sollten. Als Student hatte es auch der amerikanische Präsident Woodrow Wilson gelesen und war tief beeindruckt. Er wurde zum Mitbegründer des Völkerbundes, heute UNO, die versucht, weltweit Kriege zu verhindern oder zu beenden. Auch Erich Kästner, der sich als Aufklärer und Moralist verstand, war zeitlebens von Kant und der historischen Aufklärung beeinflusst. So finden sich in seinem Roman „Fabian“ Spuren von ihr sowie in seiner Dissertation über Friedrich II. „Lyrische Imperative“ des Autors sind vermehrt in einem Band „Kurz und bündig“ (1950) enthalten. Darin findet sich auch sein viel zitierter Satz, der darauf verweist, dass uns erst durch eine Handlung das sprichwörtliche Licht aufgeht:

„Moral

Es gibt nichts Gutes

außer: Man tut es.“

Dieses Epigramm ist allerdings schon 1936 in „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ enthalten (mit kleingeschriebenen „man“ und Ausrufezeichen am Ende). 

Richtig denken heißt auch, richtig zu leben und zu handeln – im Sinne des Friedens. 

So schließen in Kästners Kinderroman „Die Konferenz der Tiere“ die vernünftigen Tiere mit den unvernünftigen Menschen einen Friedensvertrag. Darin heißt es:

„1. Alle Grenzpfähle und Grenzwachen werden beseitigt. Es gibt keine Grenzen mehr.

2. Das Militär und alle Schuss- und Sprengwaffen werden abgeschafft. Es gibt keine Kriege mehr.“

Davon handelt auch „Das Märchen von der Vernunft“ (1948). Hier bittet ein alter die Staatshäupter der Welt, die Krisen und Nöte aus der Welt zu schaffen und den Frieden zu sichern. Doch sie fragten sich nur, was er mit seiner „dummen Vernunft“ wieder vorhat. In diesen Kontext gehört auch Kästners Gedicht „Ein alter Herr geht vorüber“:

Vernunft muß ein jeder selbst erwerben,

und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.

Die Welt besteht aus Neid und Streit und Leid.

Und meistens ist es schade um die Zeit.

Wir haben 2024 ein großes Kant- und Kästner-Jubiläum. Jeder wird separat gewürdigt, Bekanntes wird wiederholt – doch was fehlt, ist das Aufzeigen von Zusammenhängen. Kant ist eine wichtige Folie, durch die auch Kästners Werk durchscheint. Beide wiederum bringen Licht ins Dunkel unserer Gegenwart. Auch im Unternehmenskontext können sie wichtige Impulse liefern. Um den Kurs in eine nachhaltige Zukunft abzustecken, müssen sich Vernunft und gründlichem Nachdenken verbinden und immer wieder rückgekoppelt werden. Dazu braucht es eine tiefere Ebene des eigenen Gewissens, einen Maßstab, der dabei hilft, richtig zu navigieren und Gelegenheiten auch dann zu erkennen, wenn es schwierig wird.

Intuition ist ein unbewusstes Werkzeug zum Nachdenken.

Um sich auf sie zu verlassen, ist es wichtig, sich zuvor mit dem Gegenstand der Entscheidung vertraut gemacht zu haben. In der Moralpsychologie kommt die Intuition immer vor dem logischen Denken. Kopf und Bauch, Logik und Irrationales gehören zusammen. Es geht um ein ausgewogenes Zusammenspiel aus der Klugheit der Vernunft und der Klugheit der Gefühle. Im Herausgeberband „Bauchgefühl im Management“ wird anhand von zahlreichen Erfahrungsberichten gezeigt, dass erst diese Verbindung dafür sorgt, unsere Urteilsfähigkeit zu schärfen, um klare Entscheidungen treffen zu können: Ist der Verstand eingeschaltet, zeigt sich, ob die vom Bauch ausgesendeten Signale gut und richtig sind. „Bewahren wir also einen kühlen Kopf, werden wir vernünftig – und vertrauen unserer Intuition, also uns selbst“, schreibt der Publizist Wolf Lotter, der dafür plädiert, dass Intuition Grundlage für Entscheidungen sein sollte. Der „große Bruder der Intuition“ (auch noch jung, aber bereits erwachsen) ist nach Dr. Robert Nehring der gesunde Menschenverstand (auch Common Sense), kein Sinn, kein Instinkt, aber auch keine Intuition.“ Er hat mit „einfacher Vernunft, bereits brauchbaren Alltagserfahrungen“ zu tun.

In ihrem Buchbeitrag „Wie viel Gefühl steckt in künstlicher Intelligenz?“ beziehen sich die jungen Unternehmensgründer Helen Landhäußer und Florian Feltes auf Immanuel Kants Grundpfeiler moralischen Handelns, das sich mit seinem kategorischen Imperativ definiert: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Diese Maxime sind in subjektiver Ausprägung von Person zu Person verschieden. Es gibt keine Allgemeingültigkeit für das, was Menschen als ihre Maxime festlegen. Sie folgern, dass bei allen Entscheidungen, die getroffen werden (auch die Personal- und Managemententscheidungen) die subjektive Einschätzung einen großen Einfluss hat. Dies formt nach Kant die individuelle Einschätzung dafür, was richtig ist. Da für beide Instinkt und Bauchgefühl subjektive Einschätzungen ermöglichen, „unterstützt das Bauchgefühl also stark darin, den Instinkt für das, was richtig ist, nicht zu verlieren. Bei beidem verlässt man sich auf ein Gefühl, das durch den inneren Kompass der Moral beeinflusst wird.“ Die Moral stellt die Gesamtheit der gesellschaftlichen Werte und Normen dar. Vorbildliche, verantwortungsvolle Unternehmen können zur Moral der sozialen Marktwirtschaft beitragen. 

Die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit von Unternehmensverantwortlichen entscheidet über die öffentliche Beurteilung unternehmerischer Aktivitäten. 

Bislang wurde ethische Führung überwiegend dem Bereich Organisationsmanagement zugeordnet und dabei als unternehmensinterne Erscheinung betrachtet. Das ist allerdings nicht mehr zeitgemäß: Führung findet heute nicht nur (nach) innen statt. Informationen dringen schnell nach außen und hinterlassen dort einen entsprechenden Eindruck. Wenn Informationen über unmoralisches Verhalten auf Konsumenten treffen, greift das Phänomen der Selbstkongruenz. Unternehmen müssen ihr eigenes moralisches Verhalten auf allen Ebenen überdenken: Es genügt nicht mehr, nur Bäume zu pflanzen oder an gute Zwecke zu spenden. Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Fairness, Engagement und Selbstdenken sollten stärker gefördert werden. Problematisch ist heute allerdings nicht ein Übermaß moralischer Auseinandersetzung, sondern ein Mangel daran. Viele Debatten sind überhitzt, weil sie leerlaufen – es fehlt häufig an moralischer und geistiger Substanz. Kant und Kästner können dabei wichtige Bildungshelfer sein, die darin unterstützen, Inhalte und Prozesse besser zu verstehen und sich dadurch Fähigkeiten anzueignen, innerlich zu wachsen und sich selbst und die Welt besser zu machen.

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Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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