Frank Thelen

Frank Thelen

für Startups, Tech, Innovation, Venture Capital

Warum die 20-Stunden-Woche unseren Wohlstand gefährdet

In einem globalen Markt, in dem andere Nationen nicht zögern, Mehrarbeit zu leisten, um wirtschaftliches Wachstum und technologischen Fortschritt voranzutreiben, kann es sich Deutschland aktuell schlichtweg nicht leisten, Arbeitszeit weiter zu reduzieren. 

In Deutschland wurde pro Kopf noch nie so wenig gearbeitet. Unser Wirtschaftswachstum stagniert, große Industrien fahren ihre Produktionen runter. Unser Rentensystem droht zusammenzubrechen. Trotzdem werden die Forderungen nach einer 4-Tage-Woche oder sogar 20-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt in einigen Branchen immer lauter.

Mehr Freizeit geht zulasten der Wirtschaft

Bevor wir unser Arbeitssystem umstellen, sollten wir uns fragen, ob wir mit den Konsequenzen leben wollen. Die meisten von uns haben das große Glück, in ein wirtschaftlich starkes Deutschland hineingeboren worden zu sein – aufgebaut von hart arbeitenden Generationen vor uns. Wir genießen quasi kostenlosen Zugang zu Bildung, finanzielle Absicherungen durch den Staat und ein weitestgehend sicheres Arbeits- und Lebensumfeld. All das kostet Geld – Geld, das dieses Land in der Vergangenheit erwirtschaftet hat. Insbesondere durch unsere Automobilindustrie, unsere Chemieindustrie, den erstklassigen Maschinenbau und unseren starken Mittelstand konnten wir uns einen gewissen Lebensstandard aufbauen.

Damit wir auch zukünftig Geld erwirtschaften und diesen Lebensstandard beibehalten können, braucht Deutschland auch in Zukunft weltweit führende Industrien. Welche werden das sein? Die Autoindustrie hat den Übergang zur Elektromobilität versäumt und wird dabei zusehen müssen, wie die USA und China hier in Führung gehen. Das wiederum hat direkte Folgen auf unzählige mittelständische Zulieferer, ebenso wie der Trend hin zur vertikalen Integration. Bei den erneuerbaren Energien waren wir mal führend, jetzt verlagert mit Meyer Burger unser einziger relevanter Player seinen Fokus auf die USA, da dort die besseren Bedingungen herrschen – trotz eines grünen Wirtschaftsministers.

Deutschland verliert seine wirtschaftliche Unabhängigkeit

Wenn wir so weitermachen, werden wir bald in Sachen Elektrotechnik, Autos und Energie vollständig von den USA und China abhängig sein, und diese Abhängigkeit wird nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Das ist eine globale Verhandlungsposition, in die wir nicht geraten wollen – auch nicht für mehr Freizeit.

Deutschland steht an einem Scheideweg. Unsere Arbeitswelt verändert sich rasant, künstliche Intelligenz wird diese Veränderungen in den nächsten Jahren noch mal beschleunigen. Was hierzulande immer noch aussteht, um von diesem Fortschritt zu profitieren, ist die vollständige Digitalisierung unserer Wirtschaft. Hierfür braucht es die Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren – und die dafür notwendigen Stunden zu investieren.

Diese Diskrepanz zwischen dem Bedarf an qualifizierter Arbeitsleistung und der Bereitschaft, diese zu erbringen, kann unsere Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft gefährden. In einem globalen Markt, in dem andere Nationen nicht zögern, Mehrarbeit zu leisten, um wirtschaftliches Wachstum und technologischen Fortschritt voranzutreiben, kann sich Deutschland eine solche Haltung schlichtweg nicht leisten.

Flexible Modelle und Kultur der Leistungsbereitschaft fördern

Es geht mir nicht darum, die 40-Stunden-Woche zu verteidigen. Ich bin grundsätzlich für flexible Arbeitsmodelle, um mehr Menschen den Zugang zur Arbeitswelt zu ermöglichen. Es geht vielmehr darum, eine Kultur der Leistungsbereitschaft und des Engagements zu fördern, die sowohl die Bedürfnisse der Arbeitnehmer als auch die Anforderungen einer modernen, innovativen Wirtschaft berücksichtigt. Eine solche Kultur muss Flexibilität, Kreativität und vor allem eine Neuausrichtung auf gemeinsame Ziele und Werte beinhalten.

Wir sollten die neuen Technologien einsetzen, um unsere Arbeitszeit effektiver zu nutzen. Hierfür müssen wir in Bildung und Weiterbildung investieren, um den Fachkräftemangel anzugehen und gleichzeitig die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. Technologische Innovationen sollten als Werkzeuge gesehen werden, die nicht nur Arbeitsprozesse optimieren, sondern auch neue, spannende Arbeitsplätze schaffen.

Letztlich ist es eine Frage der Einstellung

Sehen wir Arbeit als Zwang oder als Chance? Ich bin der festen Überzeugung, dass Arbeit mehr ist als ein Mittel zum Zweck. Sie ist eine Chance, zu lernen, zu wachsen und zu einer besseren Zukunft beizutragen. Ich habe das große Glück, in meiner Arbeit meine Passion gefunden zu haben. Deshalb fällt es mir leicht, hier Zeit zu investieren. Natürlich sieht die Realität für viele Menschen anders aus – aber ich bin mir sicher, dass es den meisten von uns viel mehr geben würde, wirklich etwas für dieses Land zu bewegen, als einen Tag in der Woche mehr Freizeit zu haben.

Deshalb: Lasst uns die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen gemeinsam angehen, den Pioniergeist in unserem Land wiedererwecken und uns für mehr Leistungsbereitschaft einsetzen – für eine zukunftsfähige Wirtschaft, die unseren Lebensstandard und unsere globale Stimme sicherstellt.

Wie seht Ihr das – arbeiten wir genug, und was muss passieren, damit Deutschland seinen Pioniergeist wiederentdeckt?

Wer schreibt hier?

Frank Thelen
Frank Thelen

Founder & CEO, Freigeist Capital

für Startups, Tech, Innovation, Venture Capital

Ich baue seit knapp 30 Jahren Technologie- und Design-getriebene Unternehmen auf. Mit Freigeist Capital investiere ich in frühphasige Deeptech-Unternehmen wie Lilium Aviation. Seit 2021 bin ich CEO von 10xDNA Capital Partners. 10xDNA bietet Investoren Fonds mit Technologie-konzentrierten Portfolios
Mehr anzeigen