Vegan, Paleo und No Carb – Gesundes Essen oder geschicktes Marketing?

Die einen verteufeln Weizen, die anderen Wurst: Kaum eine Branche wird derzeit mit derart vielen Trends überschwemmt, wie die Ernährungsindustrie. Um Gesundheit, so Kritiker, geht es dabei aber nicht.

Der Ernährungswahn ist die neue Ersatzreligion

Uwe Knop
  • Heute gilt es als gesund und elitär, auf Nahrungsmittel zu verzichten
  • Dabei gibt es keinerlei wissenschaftliche Grundlage für diese Trends
  • Essen dient hierbei vor allem der Abgrenzung und Selbstprofilierung

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Essen Sie noch, was Ihnen schmeckt? Ganz intuitiv, ohne Regeln und Verzicht – einfach, worauf Sie in dem Moment, wenn der Magen knurrt, Lust haben? Dann kann ich Ihnen nur gratulieren, denn Sie gehören zu der bemerkenswerten Gruppe der „Normalesser“. Und davon, so entsteht schnell der Eindruck in diesen Tagen, gibt es nicht mehr viele.

Da predigen die Veganer, man solle bloß auf tierische Produkte verzichten, während die Anhänger der Steinzeit-Diät in hippen Paleo-Restaurants ihre blutigen 400-Gramm-Steaks verzehren. Clean-Eating-Jünger versuchen sich in den sozialen Netzwerken gegenseitig mit ihren Superfood-Kreationen zu übertrumpfen, die vor allem eines sind – superteuer. Und während die High-Carb-Fraktion Kohlenhydrate zum Heiligtum verklärt, sind sie für die Low-Carb-Esser das genaue Gegenteil: ein Produkt des Teufels. So verschieden all diese Ernährungstrends auch sein mögen, es eint sie doch eines: Aus ethisch-moralischer Sicht kann und soll jeder essen, was er will, aus ernährungswissenschaftlicher Sicht jedoch sind sie reiner Hokuspokus.

Kaum Studien, viel Streit

Es gibt keine Studie, die beweist, dass es gesünder ist, auf Fleisch, Nudeln, Eiweiß oder Sonstiges zu verzichten – und es wird auch niemals eine solche Studie geben. Und doch streiten die Anhänger der jeweiligen Ernährungsform in einer Heftigkeit miteinander, die mich nur staunen lässt. Was genau ist da eigentlich mit unserem wichtigsten Überlebensurtrieb „Essen“ passiert? Wann wurde aus genussvoller Nahrungsaufnahme zur Lebenserhaltung eine Ersatzreligion?

Fragt man die Verfechter eines Foodtrends selbst, erhält man meist die immer gleiche Antwort: weil es gesünder ist. Das ist – Verzeihung – Blödsinn. Wer glaubt, dass er mit Clean Eating oder Paleo schöner, erfolgreicher und gesünder wird, sitzt einfach der gut durchdachten Marketingstrategie der jeweiligen Industrie und Päpste auf. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Wir wissen nicht, was der gesundheitliche Benefit dieser Ernährungsformen ist – wir wissen aber auch nicht, ob sie krank machen. Ist es nicht Irrsinn, komplett auf tierische Lebensmittel zu verzichten, weil es angeblich gesünder ist, um den Mineralstoffmangel dann mit chemischen Pillen auszugleichen? Ich finde schon.

Essen wird plötzlich elitär

Nein, die Gesundheit ist nur das Deckmäntelchen. Was wirklich im Zentrum steht, ist häufig die Selbstprofilierung. Längst gilt nicht mehr der Satz: Du bist, was du isst. Heute heißt es: Du bist, was du nicht mehr isst. Verzicht ist hip. Und das in einer Gesellschaft, in der alles im Überfluss vorhanden ist. Klingt paradox? Ist es auch. Doch in einer globalisierten Welt, in der alles miteinander verknüpft ist, sehnen sich wieder viele nach Abgrenzung, nach Schwarz und Weiß statt des Allerleis. Und dafür eignet sich die Ernährung wunderbar. Mit einher geht ein nahezu elitärer Anspruch der jeweiligen Gruppen – nicht umsonst ist der Ernährungswahn vor allem ein Phänomen der jungen Oberschicht. Gut zu wissen: Die öffentliche Präsenz und Wahrnehmung differiert enorm zur tatsächlichen Anzahl – die Spezial-Esser bilden mit nur 0,X% der Bevölkerung eine kulinarische Diaspora.

Und was macht die Ernährungswissenschaft? Die dient auch noch als Steigbügelhalter für all die teuren Heilsbringer. Denn Ernährungsforschung ist de facto der dankbarste Wissenschaftszweig, um jede beliebige Weisheit und jeden Wegweiser für sich zu interpretieren. Die Ökotrophologie liefert keinerlei harte Fakten, sondern ausschließlich wachsweiche Hypothesen, Spekulationen und Vermutungen – und das in alle Himmelsrichtungen.

Mein Tipp: Vielleicht sollten wir, anstatt uns in ideologischen Debatten aufzureiben, einfach mal wieder auf denjenigen hören, der uns schon lautstark sagt, worauf er gerade Hunger und Lust hat – unseren Bauch.

Veröffentlicht:

Uwe Knop
© BoD Books on Demand
Uwe Knop

Diplom-Ökotrophologe und Autor

für Ernährung, Besser-Esser-Hypes, Tellermythen

Der Ernährungswissenschaftler (Jg. 1972) ist Autor der Bücher „Intuitiv essen“, „Ernährungswahn“, „Kind, iss was … dir schmeckt!“ und „Dein Körpernavigator“ (2019). Die Basis seiner Arbeit bildet sowohl die objektive, ideologiefreie und kritische Analyse von Ernährungsstudien (sowie öffentliche Aufklärung über deren massive Aussageschwäche und systemimmanente Limitierungen) als auch die Offenlegung der Mechanismen ernährungslobbyistischer Verbrauchermanipulation.

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