New-Work-Bewegung – Sollten Vorgesetzte neben dem Führen auch coachen?

In jüngster Zeit wird unter dem Dach der New-Work-Bewegung vermehrt gefordert, dass Führungskräfte auch die Rolle des Coaches für ihre Mitarbeiter übernehmen. Doch kann das funktionieren?

Führen durch Fragen darf nicht in Ratespielen enden

Dr. Bernd Slaghuis
  • Mitarbeiter zu hören und zu verstehen ist grundsätzlich richtig und wichtig
  • Doch "Führen durch Fragen" endet meist in absurden Ratespielchen
  • Die Umsetzung gelingt nur, wenn Chefs echtes Interesse zeigen

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Wer fragt, der führt. Das saugen Vertriebler schon mit der Muttermilch auf, aber auch immer mehr Führungskräften wird es eingebläut. Besonders unter dem Deckmäntelchen neuer Formen der Arbeit – Stichwort New Work – wird die Führungskraft mal zum Coach, mal zum Mentor und manchmal auch ganz abgeschafft. Klar ist, dass Führung nach dem Muster Command, Order and Control heute nicht mehr funktioniert, ohne dass Angestellte inzwischen aller Generationen Reißaus nehmen oder auf Dauer in Dienst nach Vorschrift verfallen.

Mitarbeiter möchten einbezogen werden, selbstverantwortlicher arbeiten, Freiheiten in gewissem Rahmen genießen. Führen durch Fragen statt Order and Control ist daher keine dumme Idee: die Sichtweisen der Mitarbeiter zu hören und zu verstehen, sie in Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse aktiv einzubeziehen und ihnen die Chance zu geben, eigene Lösungen für Aufgaben zu entwickeln. Eine Art der Führung, die gut zu den Vorstellungen von zeitgemäßer Führung vieler Arbeitnehmer passt.

Führen durch Fragen ist kein Quiz!

Die Idee ist gut, doch die Umsetzung von „Führen durch Fragen“ wird in der Praxis häufig zu einem absurden Ratespielchen: Der Chef hat eine Idee, geht zu seinen Mitarbeitern und löchert sie so lange mit auswendig gelernten Fragen, bis sie seine Lösung endlich erraten.

Das ist es offenbar, was manche Führungskräfte aus Seminaren mitnehmen, wenn „Führen durch Fragen“ aus dem Methodenkoffer ausgepackt und in den Stuhlkreis geworfen wird: Keine klaren Ansagen mehr machen, sondern viele offene Fragen stellen. Den Mitarbeiter immer selbst auf Ideen kommen lassen – ihm zumindest das Gefühl vermitteln. Merke: Wer fragt, der führt!

Ich vermute, solche Notizen stehen auf vielen Seminarmitschriften zum Thema. Ein paar systemische Fragen werden an die Wand geworfen, in Rollenspielen ausprobiert und dann: Viel Erfolg bei der Umsetzung im eigenen Team! Das kann nicht funktionieren! Denn die Grundvoraussetzung für wirkungsvolles Führen durch Fragen ist die eigene Haltung als Führungskraft – und erst danach die Fragen.

Echtes Interesse an Denkweise und Antworten zeigen

Wer als Chef jedoch weiter wie gewohnt seine Idee oder sein präferiertes Vorgehen durchboxen möchte, sollte kein Ratespiel im Team veranstalten, bis die Mitarbeiter selbst darauf kommen – und am Ende noch glauben, es sei ihre Lösung gewesen. Eine klare Ansage und das offene Ohr für andere Sichtweisen wären in diesem Fall wertschätzender – und auch zeitsparender.

Führen durch Fragen gelingt erst dann, wenn Chefs wirklich (!) echtes Interesse an den Antworten ihrer Mitarbeiter haben. Wenn Fragen nicht (Verhör-)Methode sind, sondern Chefs offen für andere Sichtweisen. Wenn sie sich die Zeit nehmen, ihren Mitarbeitern aktiv zuzuhören, sich zurücknehmen und ihnen bewusst den Raum für einen Lösungsfindungsprozess geben, den sie benötigen.

Führen durch Fragen ist keine Technik, sondern eine Haltung

Es braucht hierfür eine gute Beziehungsebene zwischen Führungskraft und Mitarbeitern und das echte Vertrauen, dass ein Mitarbeiter oder das ganze Team über alle Fähigkeiten und Potenziale verfügt, selbst gute Lösungen zu entwickeln. Führen durch Fragen hat weder etwas mit Dominanz nach dem Grundsatz „Wer fragt, der führt!“ zu tun noch etwas mit modernem Kuschelkurs gegenüber den Mitarbeitern, die keine klaren Ansagen mehr aushalten und hiervor beschützt werden müssen. Das ist Blödsinn!

Es geht vielmehr um die Einbeziehung, den offenen und wertschätzenden Dialog auf Augenhöhe, ohne die hierarchische Chef-Mitarbeiter-Beziehung samt eigener Ziele an den Nagel zu hängen. Eine Führungskraft, die auch einmal die eigene Brille absetzen kann und interessiert ist an der Denk- und Sichtweise anderer Menschen sowie ihrer Erfahrungen. Die sich erlaubt, an der Seite der Mitarbeiter gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, Neues zulässt, offen für Feedback und Kritik ist und es nicht als Niederlage oder Gesichtsverlust empfindet, einen anderen als den ursprünglich selbst gedachten Weg zu gehen.

Das Team und die Mitarbeiter weiterbringen

Der Chef wird weder zum Coach seiner Mitarbeiter, weil er nun Fragen stellt, noch ist Führen durch Fragen das alleinige Allheilmittel für neues Arbeiten und motivierte Mitarbeiter. Als Angestellter würde ich wahnsinnig werden, wenn mir mein Chef ab sofort nur noch Fragen stellen würde.

Werden Sie sich in Ihrer Führungsrolle darüber bewusst, in welchen Situationen Ihnen Klarheit durch Ansage wichtig ist und wann die Delegation von Verantwortung und Lösungsfindung im Team zweckmäßig ist. Achten Sie im Führungsalltag darauf, wann Sie ein echtes Interesse an den Antworten Ihrer Mitarbeiter haben, weil es Sie und Ihr Team weiterbringt, oder wann es Ihnen wichtig ist, auch einmal klar einen Weg vorzugeben. Aus vielen Coachings mit Angestellten weiß ich, dass sie sich beides von ihren Führungskräften wünschen.

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Dr. Bernd Slaghuis
© Privat
Dr. Bernd Slaghuis

Ökonom, Karriere- und Business-Coach

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Dr. Bernd Slaghuis ist promovierter Ökonom, Systemischer Coach und Experte für neue Karrieren und gesunde Führung. In seiner Kölner Coaching-Praxis hat er sich auf Anliegen der Karriereplanung und beruflichen Neuorientierung sowie das Coaching von Führungskräften aus dem mittleren Management spezialisiert. Er schreibt in seinem Karriere-Blog „Perspektivwechsel“ über seine Sichtweisen auf Karriere, Bewerbung sowie Führung und hält zu diesen Themen deutschlandweit Vorträge und gibt Seminare.

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