Der perfekte Boss: Wie sieht gute Führung aus?

Die Kunst der guten Führung ist in Zeiten von Fachkräftemangel und digitaler Transformation wichtiger denn je. Über die perfekte Führungsstrategie der Zukunft wird aber noch gestritten.

Führen kann man auch mit Zweifeln

René Adler
  • Ängste und Zweifel waren die größten Treiber in meiner Sportkarriere
  • Aber das hat mich nie davon abgehalten, Verantwortung zu übernehmen
  • Ich bin sicher: Gute Führungskräfte müssen sich selbst infrage stellen

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Das erste Mal plötzlich im Job Verantwortung übernehmen – das passierte bei mir eher unfreiwillig. Im Februar 2007 stand ich für die Regionalligamannschaft von Bayer Leverkusen im Tor. Nach einer achtmonatigen Verletzungspause und anschließenden Operation an der Rippe hatte ich gerade erst eine Woche Training in der zweiten Mannschaft hinter mir, als der Bayertorwart Jörg Butt wegen einer roten Karte gesperrt wurde. Da kam Michael Skibbe, mein Trainer, zu mir. Skibbe kannte mich schon aus der gemeinsamen Zeit in der Jugendnationalmannschaft. Er meinte bloß: „Du stehst auf Schalke für uns im Tor.“ Ich protestierte. Ich wollte zwar unbedingt in der Bundesliga spielen, aber ich fühlte mich nach der langen Pause noch nicht bereit dafür. Ich hatte Angst davor, den Anforderungen noch nicht gerecht zu werden, aber Skibbe sagte: „Ist mir egal, du kannst das.“

Dieses Vertrauen in mich, das half mir wahnsinnig. Zudem bereitete ich mich eine Woche lang mental auf das Spiel vor, bis die Angst schließlich zu einer Nervosität, zu einem angenehmen Kribbeln wurde, das mich vor dem Spiel hellwach machte. Heute würde ich sagen: Es war eine meiner besten Partien.

Ich hinterfragte mich und übernahm trotzdem gern Verantwortung

Ich bin jemand, der sehr selbstreflektiert ist und der sein Selbstwertgefühl, wie viele Sportler, lange Zeit aus seiner sportlichen Leistung gezogen hat. Ich machte mir selbst unheimlich viel Druck und konnte Fehler nicht ertragen – schließlich bedeuten Fehler bei einem Torwart meistens ein Gegentor. Lief es gut, ging es mir auch gut. Wenn es schlecht lief, war es schwer für mich, meine Gelassenheit zu bewahren. Ich stellte mich selbst infrage. Zweifel und Ängste trieben mich immer wieder dazu an, mich noch stärker anzustrengen.

Trotzdem übernahm ich immer wieder Führungsaufgaben. Beim HSV war ich stellvertretender Mannschaftskapitän, und einige Jahre früher, in all meinen U-Mannschaften, war ich Nummer eins. In allen späteren Stationen war ich zudem im Mannschaftsrat. Meine Rolle habe ich immer als Spieler verstanden, der vorwegmarschiert und Verantwortung übernimmt. Dass ich mich und meine Fähigkeiten regelmäßig kritisch hinterfrage, hat mich nie daran gehindert. Denn ich bin überzeugt: Egal ob im Sport oder im Berufsleben – führen können auch Menschen, die mal an sich zweifeln oder Angst haben.

Chefs müssen nicht Alphamännchen sein, sondern empathisch

„Der ist zu weich, der kann kein Chef sein“ – so ein Spruch ist mir zu einfach. Dass nur Alphatiere Chefs sein können, die sich als Ein-Mann-Show verstehen – das halte ich für eine große Lüge. Sicher, Adrenalin und Testosteron sind im Sport unabdingbar, aber helfen vielleicht eher einem Stürmer. Als Torwart muss man dagegen reagieren, total in seiner Mitte sein. Dazu braucht man noch andere Eigenschaften. Mein Job und auch meine Stärke war die Kommunikation, der Austausch mit meinen Leuten. Es ging darum, den Überblick über die Spielentwicklung zu behalten, ums Vorausdenken, Motivieren, Kritisieren und manchmal auch ums Wachrütteln, wenn das wirklich nötig war. Man muss jeweils bloß wissen, welche Rolle gerade von einem erwartet wird. Möglicherweise erkennen sich bei dieser Tätigkeitsbeschreibung auch einige Führungskräfte unter den Lesern wieder.

Ich glaube, nicht allein Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit machen einen guten Chef aus. Er oder sie braucht vor allem auch empathische Stärken und muss wissen, wer im Team gerade eine Ermunterung vertragen kann. Und ein empathischer Chef weiß auch, wann er besser mal den Mund und sich selbst zurückhält – und die Faust höchstens in der Tasche ballt. Als ich beispielsweise beim HSV spielte, habe ich bei Interviews nach schlechten Spielen oftmals Frust in mir gespürt, aber immer überlegt: Was für eine Wirkung könnte öffentliche Kritik auf die Mannschaft haben? Inwieweit gefährde ich damit vielleicht das Ziel der Mannschaft? Denn wenn man Verantwortung trägt, muss man auch immer schon an das nächste Spiel denken. Wenn das Spiel dagegen gut gelaufen war, schob ich andere vor die Mikros, damit die glänzen konnten.

Man kann sich positives Denken antrainieren

Ein Paradebeispiel, dass man sein Team aufbaut und mit Respekt behandelt, ist für mich übrigens Jupp Heynckes. Er gibt jedem – vom Spieler bis zum Zeugwart – das Gefühl, zum Erfolg beizutragen. Er hört seinen Leuten immer zu, macht sie menschlich stark und schafft es so, seine Mannschaft emotional zu einen. Das ist für mich echtes Empowerment.

Dieses Empowern und positive Denken ist natürlich für den Erfolg als Führungskraft unabdingbar. Das schließt aber nicht aus, dass man Ängste und Zweifel haben darf. Denn zum einen kann man sich positives Denken auch antrainieren und dann trotz irgendwelcher Zweifel in den richtigen Momenten abrufen. Das strahlt dann auch auf andere ab.

Zum anderen ist es wichtig, seine innere Haltung immer mal wieder auf den Prüfstand zu stellen. Schließlich ändern sich die Rahmenbedingungen um einen herum ja auch ständig. Ich würde schätzen, dass schon vier Jahre nach meinem Bundesligastart ein Großteil meines Mindsets ein anderes war. Die Selbstkasteiung, die ich für Fehler zu Beginn meiner Karriere so intensiv betrieben hatte, gab ich auf. Stattdessen bemühte ich mich, mit mir eher im Reinen zu sein und eine Balance zu finden zwischen Anspannung und Entspannung. Ohne diese Anpassungsfähigkeit hätte ich mich in meinen sportlichen Fähigkeiten auch niemals weiterentwickelt.

Sich selbst zu hinterfragen und zu wissen, wie man funktioniert, das ist meiner Überzeugung nach nicht nur der Schlüssel für die eigene Weiterentwicklung, sondern auch für gute Führung. Dazu gehört außerdem, Feedback einzufordern und Kritik annehmen zu können. Nur wer reflektiert ist, weiß auch, welche Stärken und Schwächen er hat. Ich bin der Meinung, dass das unverzichtbar für gute Chefs ist. Wer seine eigenen Defizite kennt, kann viel besser ein Team zusammenstellen, das ihn mit den richtigen Fähigkeiten unterstützt.

Denn letztendlich ist es beim Sport doch wie bei Unternehmen: Wenn man erfolgreich sein will, braucht man einfach ein Gespür für Menschen.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser! Glauben Sie auch, dass man mit Zweifeln gut Führen und ein guter Chef sein kann? Oder kennen Sie aus Ihrer eigenen Berufserfahrung Beispiele für oder gegen diese Ansicht? Sind Alphamännchen (beziehungsweise Alphaweibchen) vielleicht doch die besseren Vorgesetzten? Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!

Veröffentlicht:

René Adler
© René Adler
René Adler

Ex-Bundesliga-Torwart und Unternehmer

René Adler (Jg. 1985) begann mit sechs Jahren beim VfB Leipzig mit dem Fußball. Ab 2000 spielte er für Bayer 04 Leverkusen, 2003 stieg er in die 1. Mannschaft auf. Er gehörte auch zum Nationalkader. 2012/ 2013 wechselte er zum HSV, später zum 1. FSV Mainz 05. Adler erlitt mehrere Verletzungen, 2010 konnte er deswegen nicht als Torwart an der WM teilnehmen. Wegen anhaltender Knieprobleme verkündete er 2019 das Ende seiner Fußball-Karriere. Seit 2017 ist er an einer Firma beteiligt, die Torwarthandschuhe herstellt.

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