Bildung in Schulen: Brauchen wir noch eine Schreibschrift?

Lange war eine genormte Schreibschrift fester Teil jedes Lehrplans. Heute sind die Vorgaben je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Ist das modern? Oder verlieren wir eine wichtige Kulturtechnik?

Handschrift ist Hirnschrift – und gehört in alle Schulen

Heinz-Peter Meidinger

Präsident, Deutscher Lehrerverband

Heinz-Peter Meidinger
  • Die Schrift sagt viel über Persönlichkeit, Charakter und Sozialverhalten aus
  • Das Schreiben mit der Hand fördert zudem die Lernleistung in jedem Alter
  • Wir dürfen die Kulturtechnik Schreibschrift niemals aufgeben

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Es gibt nicht wenige Länder, etwa die Vereinigten Staaten von Amerika, die mehrheitlich dazu übergegangen sind, den Kindern an Schulen keine Schreibschrift mehr beizubringen. Tippen statt schreiben, heißt es dort! Auch in einigen deutschen Bundesländern sind Grundschulen nicht mehr dazu verpflichtet, das Erlernen einer verbundenen genormten Schreibschrift zu unterrichten. Stattdessen beschränken sie sich auf die Vermittlung der sogenannten Grundschrift, die auf der Verbindung von Druckbuchstaben beruht.

Eine Abschaffung der Schreibschrift wäre aber der Verlust einer grundlegenden Kulturtechnik mit weitreichenden Folgen:

  1. Sachverhalte, Lernstoffe, die man mit der Hand aufschreibt, kann man besser im Gedächtnis behalten.

  2. Die Entwicklung grundlegender feinmotorischer Fertigkeiten, die zentral für die kindliche Entwicklung sind und die durch die Entwicklung einer eigenen Handschrift stark gefördert werden, wäre stark gefährdet.

  3. Im Schreiben drückt sich unsere Persönlichkeit aus. Schreiben hat auch mit Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung zu tun.

Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien hat eindeutig ergeben, dass sich Jugendliche Sachverhalte besser merken können, die sie zuvor mit der Hand notiert haben. Schreiben mit der Hand fördert die Lernleistung. Das hat wohl damit zu tun, dass einerseits die Verbindung von Bewegung und Lernen mehr Gehirnregionen aktiviert, aber auch damit, dass man bei handschriftlichen Notizen darauf angewiesen ist, Sachverhalte zu verknappen und sich auf das Wesentliche zu beschränken, was die geistige Durchdringung erhöht. Wenn wir mit der Hand mitschreiben, sind wir aufmerksamer und hören besser zu.

Wir müssen uns nicht zwischen analog und digital entscheiden

Wir wissen inzwischen auch, wie wichtig die Ausbildung und Weiterentwicklung feinmotorischer Fähigkeiten für die geistig-körperliche Entwicklung insgesamt ist. Nachdem im sonstigen Leben feinmotorische Fähigkeiten nur ausnahmsweise gefördert werden, etwa beim Erlernen eines Musikinstruments, bleibt als wesentliche Schulungsmöglichkeit bei den meisten Menschen eigentlich nur die Handschrift.

In der eigenen Handschrift drückt sich auch der zutiefst individuelle, persönliche Ausdruck einer Person aus. In der eigenen Handschrift finde ich mich wieder. Deshalb gibt es besonders intensive, emotionale Momente, wo wir dann doch wieder lieber zum Stift statt zum Tablet greifen. Auch heute noch gibt es große Firmen und Unternehmen, die wert auf einen handgeschriebenen Lebenslauf legen oder dies zumindest positiv werten. Sagt dieser doch oft mehr über Persönlichkeit, Charakter und Sozialverhalten aus, als ein perfekt gelayoutetes Computerformblatt.

Es geht übrigens nicht um analog gegen digital. Wir brauchen eine neue Arbeitsteilung zwischen herkömmlichen Kulturtechniken und modernen Medien. Das Handschreiben etwa als Grundlage beim Vokabelnlernen in den Fremdsprachen und die Benutzung des elektronischen Wörterbuchs zur anschließenden Systematisierung des Wortschatzes.

Ich bin der festen Überzeugung: Wir dürfen die Kulturtechnik Schreibschrift niemals aufgeben!


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Ist Schreibschrift nur noch etwas für Liebhaber? Oder sollte sie auch in Zukunft einen festen Platz in den Lehrplänen haben?

Veröffentlicht:

Heinz-Peter Meidinger
© Meidinger
Heinz-Peter Meidinger

Präsident, Deutscher Lehrerverband

Heinz-Peter Meidinger (Jg. 1954) ist Gymnasiallehrer, Schulleiter und Präsident des deutschen Lehrerverbandes. Außerdem ist er ehemaliger Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbands (DPhV), einem gewerkschaftlichen Zusammenschluss von Lehrern an Schulen, die aufs Abitur vorbereiten. Er studierte Deutsch, Geschichte, Politik und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien, war mehrere Jahre als Seminarleiter in der Lehrerausbildung tätig und leitet seit 2003 das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf.

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