Schnitzel, Burger, Wurst: Essen wir zu viel Fleisch?

750 Millionen Tiere werden jedes Jahr in Deutschland geschlachtet. Jeder Bürger isst im Laufe seines Lebens durchschnittlich 1100 von ihnen. Zu viel, sagen nicht nur Mediziner.

Hört endlich auf, andere belehren zu wollen!

Tim Mälzer

Fernsehkoch & Kochbuchautor

Tim Mälzer
  • Seit Jahren streiten sich Experten darüber, ob Fleisch gesund ist oder nicht
  • Die Diskussion ist leider absolut anstrengend und hilft niemandem weiter
  • Ob Fleisch oder nicht: Hauptsache, wir genießen und essen bewusst

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Seit einigen Jahren esse ich immer weniger Fleisch. Das war keine bewusste Entscheidung, sondern eher eine schleichende Entwicklung, die sich durch meine Reisen in der ganzen Welt ergeben hat. Vor allem in den asiatischen Ländern habe ich gelernt, wie unfassbar lecker vegetarische Küche sein kann und dass es kein Fleisch braucht, um hervorragendes Essen zuzubereiten. Dass nicht jeder die Möglichkeit hat, die Vielfalt der weltweiten Küche kennenzulernen, ist mir absolut klar; aber ein Bewusstsein für das, was man isst, sollte trotzdem jeder haben.

Ich will jetzt sicherlich nicht den Moralapostel spielen. Das steht mir nicht zu, und ehrlich gesagt geht mir die ganze Diskussion um die angeblich perfekte Ernährungsweise sowieso ziemlich auf die Nerven. Zu sehen, wie Mediziner und Professoren immer wieder auf verstaubte Thesen zurückgreifen, um zu erklären, warum der Mensch evolutionsbedingt Fleisch essen sollte oder eben nicht, ist einfach unglaublich anstrengend und ermüdend. Wir leben schließlich im Jahr 2018 und nicht mehr bei den Neandertalern. Die gut gemeinten Ratschläge aus der Leuchtturmwarte der Erhabenen und Intellektuellen, wie die vermeintlich perfekte Ernährung auszusehen hat, helfen der Mehrheit der Verbraucher einfach nicht. Im Gegenteil: Im Zweifel verunsichern diese Aussagen nur noch zusätzlich.

Vielen ist ihre Ernährung egal

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte weder die Gruppe der Fleischliebhaber noch die Gruppe der Vegetarier in irgendeiner Art und Weise bewerten. Ich glaube, dass jeder mündig genug ist, um selbst zu entscheiden, welche Lebensmittel gut sind und welche nicht. Natürlich bin ich da als Fernsehkoch in einer privilegierten Lage, weil ich mich tagtäglich mit gesunder Ernährung oder der Herstellung und Produktion unseres Essens beschäftigen kann. Allerdings finde ich es absolut merkwürdig, seltsam und irritierend, dass manche Menschen sich mehr über das Urlaubsland ihrer nächsten Reise informieren, als sich über die Grundlagen ihrer Ernährung Gedanken zu machen.

Doch leider sind wir inzwischen in einer Überflussgesellschaft angekommen, in der das einzelne Gut nicht mehr viel zählt. Lebensmittel sind heutzutage immer und zu jeder Zeit erhältlich und dazu absolut entemotionalisiert, weshalb es den meisten Menschen einfach völlig egal ist, ob da nun ein Apfel auf dem Teller liegt oder ein geschlachtetes Huhn. Welcher Aufwand hinter dem Produkt steckt, welche ökologischen Folgen es hat, interessiert die wenigsten. Dabei wäre es so einfach, sich ein paar Gedanken zu machen. Schon fünf Minuten am Tag würden ausreichen, um ein Bewusstsein zu schaffen und sich einen Wissensstand aufzubauen.

Manchmal helfen nur Gesetze

Dass man im Alltag nicht immer den Kopf dafür hat, ist mir natürlich klar. Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mit Loch im Bauch oder aus Bequemlichkeit einfach alles in den Einkaufswagen packe, was mir vor die Nase kommt. Es ist zwar bewundernswert, dass einige wenige dennoch die Disziplin haben, sich bei jedem Einkauf bewusst zu machen, was sie da im Wagen haben, aber einen grundlegenden Wandel wird diese Minderheit sicherlich nicht erwirken.

Am Ende glaube ich, dass es nur die Politik richten kann. Wie so oft, und das meine ich gar nicht resignierend, geht es auch hier nicht ohne eine übergeordnete Instanz, die den Menschen in die richtige Richtung schubst. Ohne entsprechende Gesetze würde ich sicherlich auch nicht den Müll trennen oder mich an ein Tempolimit von 50 Kilometern pro Stunde halten.

Es geht um Geschmack, nicht um Verzicht

Die Politik muss dafür sorgen, dass Händler klar und transparent angeben, was in ihren Produkten enthalten ist. Wo das Tier herkommt, wie es gefüttert wurde – und ob, wie in der Schweiz inzwischen deklariert, Hormone verabreicht wurden. Wenn der Verbraucher dann vor dem Regal steht und sich zwischen dem natürlichen und dem hormonell behandelten Huhn entscheiden muss, ist doch fast klar, dass die meisten das unbehandelte Tier wählen.

Schlussendlich, und das ist noch viel wichtiger, muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen stattfinden. Nicht unbedingt allein bezüglich ihrer Einkaufsgewohnheiten, sondern vor allem hinsichtlich der Bewertung von Fleisch. Die Deutschen haben direkt bei dem Wort „vegetarisch“ eine Verzichtküche im Kopf, statt eine Küche der Freude und des guten Geschmacks. Dabei geht es doch beim Essen genau darum: um Haptik, um Beißen und Kauen. Und dabei darf für mich auch gern mal ein qualitativ hochwertiges Steak mit dabei sein – aber das genieße ich dann mit allen Sinnen.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Wie konsumieren Sie Fleisch? Sollten wir unsere Essgewohnheiten überdenken oder ist die ganze Diskussion übertrieben?

Veröffentlicht:

Tim Mälzer
© Philipp Rathmer
Tim Mälzer

Fernsehkoch & Kochbuchautor

Tim Mälzer (Jg. 1972) zählt zu den erfolgreichsten deutschen TV-Köchen und Kochbuchautoren. Seit Anfang 2018 ist Mälzer als Juror im „Knife Fight Club“ auf VOX zusehen. Ebenso erfolgreich war seine Jurorentätigkeit in den ersten drei Staffeln von „The Taste“ auf SAT.1. In der ARD klärt Mälzer die Zuschauer regelmäßig in seiner Dokumentationsreihe „Lebensmittel-Check mit Tim Mälzer“ über Verbraucherthemen auf und begeisterte bis August 2014 das Publikum in seiner TV-Sendung „Tim Mälzer kocht!“.

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