ALTERSVORSORGE SPEZIAL: Wer trägt das größte Risiko?

Die Coronakrise wirkt in vielen Bereichen wie ein Brennglas für Probleme. Wie steht es um die Altersvorsorge für Selbstständige oder Menschen mit Behinderung? Was ist zu tun?

Ich werde im Alter arm sein. Das Gesetz will es so!

Raul Krauthausen
  • Trotz 60-Stunden-Woche bleiben mir nur 100 bis 200 Euro monatlich zum Leben
  • Wer als Behinderter auf Assistenz angewiesen ist, den straft unser System ab
  • Seit 2020 darf ich bis zu 50.000 Euro ansparen – ich frage mich nur, wie?

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In Deutschland wird viel über Altersarmut gesprochen und darüber, dass sie vielen Menschen drohe. Ich finde das immer ein wenig komisch. Denn zum einen sind schon jetzt viele von Altersarmut betroffen, und zum anderen weiß ich, dass sie mir nicht nur droht, sondern dass ich im Alter arm sein werde. Das Gesetz will es so.

Ich habe eine Teilzeitstelle als Projektmanager bei einer NGO und arbeite freiberuflich und ehrenamtlich als Moderator, Medienproduzent und Aktivist. Insgesamt komme ich so auf 40 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche. Brutto verdiene ich damit insgesamt 2500 Euro im Monat, bleiben mir netto rund 1600 Euro.

Gehalt irgendwo im Niedriglohnsektor

Das klingt erst einmal nicht schlecht, aber: Aufgrund meiner Behinderung bin ich im Alltag auf Assistenz angewiesen – zum Beispiel beim Aufstehen, Waschen oder Essenzubereiten. Assistenz, die Geld kostet. Doch sobald ich eine bestimmte Einkommensgrenze überschreite, zieht mir das Sozialamt rund ein Viertel des darüber hinaus gehenden Einkommens ab, gemessen am Bruttolohn. Netto kann die Zuzahlung also noch einmal deutlich höher ausfallen. Diese Grenze liegt, je nach Bundesland und Art des Einkommens, bei oder sogar unter 2500 Euro des monatlichen Bruttoverdienstes. Würde ich also einen Arbeitsvertrag in Vollzeit abschließen, würde mein Gehalt irgendwo im Niedriglohnsektor landen.

Dabei ist mir klar: Um meinen Lebensunterhalt irgendwie zu finanzieren, muss ich arbeiten. Nur weiß ich nicht, ob ich bis 67 durchhalte. Also habe ich beschlossen, in meiner zweiten Lebenshälfte genügsamer zu leben, um mich auf die Altersarmut vorzubereiten.

Mehr als über 50.000 Euro darf ich fürs Alter nicht ansparen

Seit Anfang 2020 gibt es eine große Neuerung. Nun darf ich 50.000 Euro statt bisher 25.000 Euro ansparen, alles Weitere zieht der Staat ein. Aber Hand aufs Herz: Wie soll ich es mit einem Nettomonatsverdienst von 1600 Euro überhaupt schaffen, etwas zu sparen? Wenn ich all meine Ausgaben für Miete, Essen, Kleidung, Körperpflege und Reisen abziehe, bleiben mir im Monat 100 bis 200 Euro; die lege ich für größere Anschaffungen wie eine Waschmaschine beiseite. Eine private Altersvorsorge wie Bausparvertrag oder Lebensversicherung ist da nicht drin.

Ich finde, es ist ein Skandal, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur mit den alltäglichen Barrieren zu kämpfen haben, sondern – sobald sie im Berufsleben stehen – auch noch für den Abbau von Barrieren, zum Beispiel durch Assistenz, mitzahlen.

Dabei brauche ich die Assistenz so oder so. Ob ich arbeite oder nicht. Doch gehe ich arbeiten, zahle ich nicht nur Steuern und Sozialabgaben, sondern gebe auch noch das ab, was ich angeblich „zu viel“ verdiene. Ich fordere, dass wir in unserem Sozialstaat nicht weiter die behindern, die sowieso schon mit Barrieren zu kämpfen haben. Sondern dass wir ihnen genauso ein Recht auf Einkommen und finanzielle Absicherung durch das Ansparen von Geld geben wie Menschen ohne Behinderung.


Eine frühere Version dieses Textes enthielt eine missverständliche Formulierung. Die Zuzahlung wird berechnet anhand des Einkommens, das den Freibetrag überschreitet, nicht anhand des gesamten Einkommens. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

Veröffentlicht:

Raul Krauthausen
© Esra Rotthoff
Raul Krauthausen

Aktivist und Gründer, Sozialhelden e.V.

für Inklusion, Barrierefreiheit

Raul Krauthausen arbeitet seit über 10 Jahren in der Internet- und Medienwelt. Seit 2011 konzentriert er sich voll auf die Arbeit bei dem von ihm gegründeten Verein Sozialhelden. Neben klassischem Projektmanagement vertritt er die Sozialhelden nach Außen. Auf Grund seiner Glasknochen ist er auf den Rollstuhl angewiesen. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. 2014 veröffentlichte er seine Biographie „Dachdecker wollte ich eh nicht werden – Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“.

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