Künstliche Intelligenz: Wird unser Leben bald von Robotern beherrscht?

Schlaue und lernfähige Roboter oder IT-Systeme verunsichern viele Menschen. Sie fürchten unter anderem den Verlust von Arbeitsplätzen. Doch sind diese Sorgen begründet?

Ugur Cetinkaya
  • Der Bedarf an Pflegern ist riesig, aber es fehlen qualifizierte Fachkräfte
  • Die alternde Gesellschaft wird das Problem noch verschärfen
  • Die Lösung sind Roboter, die uns viel Arbeit abnehmen werden

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In der Pflege könnte es bald neue Kollegen geben. Sie reichen das Essen, erinnern daran, zu trinken, und erzählen Geschichten. Roboter könnten die Lösung vieler meiner Probleme sein. Seit drei Jahren leite ich ein Senioren- und Pflegezentrum, das einen stationären und ambulanten Bereich beinhaltet. Die Nachfrage nach Pflege in diesen beiden Bereichen ist so hoch wie nie. Ich könnte sechs bis sieben zusätzliche Fachkräfte einstellen, doch der Markt ist wie leer gefegt. Um den Nachwuchs steht es ebenfalls schlecht. Trotz der steigenden Anzahl an Auszubildenden reicht die Anzahl der Bewerber nicht aus. Auch bei uns nicht. Dabei tun wir alles Menschenmögliche, um den Beruf so attraktiv wie möglich zu gestalten. So kümmern wir uns um viele Belange der in- und ausländischen Kolleginnen und Kollegen. Hierzu zählt neben der Wohnungssuche auch die Übernahme der Mietkosten. Zudem bieten wir unseren Azubis vor dem Beenden der Ausbildung einen gemeinsamen Entwicklungsweg an, der Weiterbildung und Studium impliziert. Doch leider ist all das nicht genug. Wie stelle ich mich also dem Problem? Schließlich wird unsere Gesellschaft immer älter. Die Zahl der Älteren wird enorm steigen. Und uns fehlen Mitarbeiter, die sich um diese Menschen kümmern.

Ich setze auf zwei Säulen: die Migration und den technischen Fortschritt. 80 Prozent meiner Mitarbeiter kommen aus dem Ausland. Noch höher ist die Quote bei den Auszubildenden: Wir haben acht, keiner von ihnen kommt aus Deutschland. Ich bin dankbar für die Migration. Nur durch sie finde ich heute die Pflegekräfte, die ich dringend brauche. Trotzdem fehlt es an Personal. Deswegen setze ich zusätzlich auf Roboter – die zweite Säule.

Werte messen und dokumentieren – Roboter werden uns viel Arbeit abnehmen

In 10 bis 20 Jahren werden auch diese neuen Kollegen zum Bild in Pflegeheimen und Krankenhäusern gehören – davon bin ich überzeugt. Sie werden die Fachkräfte mit einfachen Hilfeleistungen unterstützen. Mit Rollen, kleinen Armen, einer Stimme und einem Monitor um den Hals können sie den Bewohnern Essen und Trinken reichen und sie mit Liedern und Geschichten kurzzeitig beschäftigen. In den kommenden 20 bis 30 Jahren werden sie sogar humanoide Arbeiten übernehmen können. Sie werden mit den Bewohnern kommunizieren, Werte messen und das Befinden dokumentieren. Gerade die Dokumentation kostet die Pflegekräfte etwa 20 Prozent ihrer Arbeitszeit. 20 Prozent, die sie künftig in die individuelle Betreuung der Bewohner investieren können.

Schon heute gibt es in Deutschland Roboter, die vereinzelt Hilfeleistungen übernehmen können. Doch noch sind sie zu teuer, um sie flächendeckend einzusetzen. Ein Hilfsroboter, der ausschließlich in der Betreuung tätig ist, kostet um die 200.000 Euro. Zum Vergleich: Ein Mitarbeiter, der diese Aufgaben übernimmt, kostet etwa 30.000 Euro im Jahr. Der Einsatz eines einzigen Roboters würde also sechs bis sieben Jahre brauchen, um sich zu rentieren. Für ein Pflegeheim ist das schlichtweg nicht finanzierbar. Aktuell handelt es sich also eher um eine Innovation als um eine Investition. Das ändert sich jedoch, sobald die großen Player in das derzeitige Nischengeschäft einsteigen. Dann werden Roboter erschwinglicher und massentauglich.

Ich würde mich lieber von einem Roboter als von einem Menschen pflegen lassen

Dass wir ausschließlich von Robotern gepflegt werden, ist noch Zukunftsmusik. Japan ist Vorreiter auf dem Gebiet. Experimente zeigen, dass Roboter zwar schon jetzt in der Lage sind, Menschen hochzuheben, die Verletzungsgefahr ist aber noch zu groß. Roboter sind immer nur so gut wie ihre Programmierer. Auch wenn es also noch eine ganze Weile dauern wird, bis Pflegeroboter zum Einsatz kommen – die Bereitschaft dafür ist schon heute vorhanden. Etwa 80 Prozent der zu Pflegenden würden Roboter als unterstützende Maßnahme akzeptieren, das ergab eine Studie der ZQP – Zentrum für Qualität in der Pflege. Und die Akzeptanz gegenüber Robotern in der Gesellschaft wird immer mehr steigen. Ich persönlich würde einen Roboter immer einem Menschen vorziehen. Denn sie sind gründlicher als Menschen. Auch Empathie ist wichtig, doch bekommen Bewohner Nähe häufig über ihre Angehörigen. Zwischen Pflegern und Bewohnern sollte eine gesunde Distanz bestehen. Gut programmierte Roboter werden dazu in der Lage sein.

Roboter werden in der Pflege ankommen. Ich halte diese Entwicklung für unabdingbar. Wie viele Aufgaben die neuen Kollegen übernehmen, hängt davon ab, wie gut sie programmiert sind. Auf qualifizierte Pflegefachkräfte werden wir jedoch auch in Zukunft nicht verzichten können. Nur ist das Aufgabengebiet dann höchstwahrscheinlich ein anderes. So werden die körperlich schweren Tätigkeiten abnehmen, während Aufgaben in der Steuerung, Kontrolle und Überprüfung zunehmen. Zudem werden Pflegefachkräfte Bereiche behalten, bei denen es auf Genauigkeit ankommt, wie etwa die Dosierung und Vergabe von Medikamenten. Die direkte Pflege jedoch werden sie mehr und mehr an die Roboter abgeben. Aber auch wenn Roboter den Menschen in vielen Bereichen überlegen sein werden, der Mensch wird weiterhin den Prozess steuern.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Was halten Sie von den Entwicklungen in der Pflege? Würden Sie gern von einem Roboter gepflegt werden?

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Ugur Cetinkaya
© Cetinkaya
Ugur Cetinkaya

Residenzleiter, SenVital Senioren- und Pflegezentrum Ruhpolding

Ugur Cetinkaya (Jg. 1987) ist Heimleiter des SenVital Senioren- und Pflegezentrums Ruhpolding. Der examinierte Altenpfleger studierte Gesundheits- und Sozialmanagement und lehrt inzwischen selber als Dozent für Pflegemanagement am Bildungszentrum für Pflege, Gesundheit und Soziales in Rosenheim. Im Jahr 2017 gewann er den Nachwuchs Pflegemanagement Award. Bevor er den Posten des Heimleiters übernahm arbeitete er selbst als Pfleger.

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