Erinnern Sie sich? Vermutlich nicht, ist ja schon bald zwei Jahre her. Und war weit weg. Damals brachen in der brasilianischen Bergbaustadt Mariana, Bundesstaat Minas Gerais, die Dämme zweier Rückhaltebecken, in denen Abwässer einer Eisenerzmine gesammelt wurden. 60 Millionen Kubikmeter schwermetallhaltigen Schlamms ergossen sich in den Flusslauf des Rio Doce, der zu einem giftigen Strom wurde aus Rückständen von Eisen und Blei, Quecksilber und Zink. Nach 14 Tagen erreichte die rote Flut die Atlantikküste und ergoss sich, ein verwüstetes Ökosystem hinter sich lassend, ins Meer. Die damalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sprach von der schlimmsten Umweltkatastrophe in der Geschichte ihres Landes.
Bedrückend ist der Fall Rio Doce jedoch bis heute gerade nicht in seiner Außergewöhnlichkeit. Sondern in seiner perversen Normalität. Denn er war eine ganz normale Katastrophe – und eine mit Ansage. In der globalen Arbeitsteilung setzen die rohstoffreichen Länder des globalen Südens notgedrungen auf die rücksichtlose Ausbeutung ihrer natürlichen Ressourcen. Wobei sie das je nach Weltmarktpreisen mehr oder weniger lukrative Geschäft zumeist an transnationale Konzerne vergeben. „Naturkatastrophen“ wie in Mariana sind die logische Folge eines Weltwirtschaftssystems, das von den Weltmarktstrategien transnationaler Unternehmen, dem Ressourcenhunger der reichen Industriestaaten sowie den im globalen Norden verbreiteten Konsumpraktiken und Lebensweisen beherrscht wird.
Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis
Was sich in den Randzonen des globalen Kapitalismus abspielt, verweist zurück auf dessen Zentren. Das Erfolgsrezept der Zentrumsökonomien dieser Welt aber heißt Externalisierung: Ausbeutung fremder Ressourcen, Abwälzung von Kosten auf Außenstehende, Aneignung der Gewinne im Innern. Die sozialen Träger dieser Prozesse sind nicht allein Großkonzerne und Staatslenker. Sie werden getragen auch von dem stillen Einvernehmen und der aktiven Beteiligung großer gesellschaftlicher Mehrheiten hierzulande. Uns geht es gut – weil andere die Kosten tragen.
Das Wissen darum ist nur schwer auszuhalten. Deswegen klammert man sich hierzulande gern an die Utopie einer durch wirtschaftliches Wachstum erzeugten „Konvergenz“ weltweiter Wohlstandsniveaus. Oder an die Illusion eines „grünen“ Kapitalismus, der unsere kollektive Lebensweise mit den stofflichen Belastbarkeitsgrenzen des Planeten Erde versöhnen könne.
Überfluss und Überflutungen
Und viele Menschen in den globalen Wohlstandszentren spüren das auch. „Die Flut hebt alle Boote“: Dieses einst durch John F. Kennedy popularisierte Fortschrittsmotto und Beruhigungsmantra ist heute unglaubwürdig geworden. Denn weltgesellschaftlich gesehen hat der Wohlstandskapitalismus den Globus im 20. Jahrhundert tatsächlich überschwemmt – mit Überfluss hier und Überflutungen dort. Die Sintflut kommt daher nicht etwa nach uns: Sie ist schon da, gleich neben uns. Man muss nur hinsehen wollen.
Einloggen und mitdiskutieren