Helikopter-Eltern: Wie viel Vorsicht tut unseren Kindern gut?

Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind. Doch immer häufiger übertreiben sie es mit ihrer Fürsorge. „Helikopter-Eltern“ machen dabei nicht nur den Kindern das Leben schwer, sondern auch sich selbst.

Unsere Gesellschaft schafft die Kindheit ab

Dr. med. Günther Loewit

Allgemeinmediziner und Autor

Dr. med. Günther Loewit
  • Immer mehr ältere Menschen stehen immer weniger Kindern gegenüber
  • Umso mehr Energie wenden viele Eltern auf, zu umsorgen und zu behüten
  • Wir sollten endlich wieder zurück zu einer gesunden Normalität finden

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Irgendetwas ist schiefgelaufen in den vergangenen Jahren. Ich sehe es auf den Spielplätzen, wo Kinder versuchen zu rangeln und ihnen dabei mehr Erwachsene als Gleichaltrige in die Quere kommen. Ich beobachte es auf den Wohnstraßen und in Hinterhöfen, die leer gefegt sind, weil sie potenzielle Gefahrenherde für die Kleinen bilden könnten. Und ich bemerke es nicht zuletzt bei meiner Tätigkeit als Hausarzt, bei der ich es mit jungen Patienten zu tun habe, die sich verstärkt wie Erwachsene benehmen.

Nur an Fehlern kann man wachsen

Doch nicht die Kinder selbst haben sich verändert. Sondern ihre Eltern. Mit durchschnittlich 1,4 Nachkommen pro Frau stehen immer weniger Kinder einer immer größeren Zahl von älteren Menschen gegenüber. Und je geringer die Geburtenrate, umso größer scheint das Bedürfnis, diese wenigen Kinder in ihrem goldenen Käfig zu umsorgen und zu behüten: Helikopter-Eltern bemuttern und beschützen, sie räumen ihren Kindern alle Hürden aus dem Weg, damit sie bloß nie fallen oder scheitern können – und halten sie genau damit klein. Grenzen gibt es keine mehr – und doch nehmen sie den Kindern jede Freiheit, an Frust und Fehlern zu wachsen.

Materielle Wünsche werden von den Augen abgelesen, weil für Geborgenheit und Zuwendung die Zeit fehlt. Und dann ist da natürlich noch die frühkindliche Förderung: Schwimmen für Säuglinge, Englisch für Kita-Kinder – und wenn es nicht läuft, muss es Nachhilfe in den Schulferien richten. Die Eltern denken, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun müssen, um ihren Kindern eine behütete Kindheit zu ermöglichen, um ihnen zu zeigen, dass sie sie lieben. Doch vergessen sie darüber, dass es vor allem die Auseinandersetzungen sind, die den Nachwuchs lebensfähig werden lassen. Liebe bedeutet nicht, jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Liebe kann auch ein Streit sein, eine Maßregelung, die das Kind erst versteht, wenn es älter ist.

Etwas Normalität würde uns guttun

In meiner Praxis erlebe ich, was den Kindern drohen kann, die bis zur Perfektion großgezogen werden. Nicht wenige plagen Burnout, Depressionen, Orientierungslosigkeit. Sie haben Grenzen nie kennengelernt – wie sollten sie diese also für sich selbst ziehen können?

Natürlich handeln Helikopter-Eltern nicht mit böser Absicht. Sie selbst sind meist überbehütet aufgewachsen und wollen dies auf ihre Kinder übertragen. Sie setzen sich unter Druck – so sehr, dass sie bisweilen lieber gar keine Kinder bekommen wollen, als dass sie Fehler bei der Erziehung machen könnten. Das Streben nach Perfektion hemmt und belastet, Eltern wie Kinder. Über all dem wird vergessen: Kinderkriegen ist das Normalste der Welt. Und auch wenn Normalität unserer nach Superlativen lechzenden Gesellschaft langweilig erscheinen mag – unsere Kinder würden es uns danken.

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Dr. med. Günther Loewit
© Günther Loewit
Dr. med. Günther Loewit

Allgemeinmediziner und Autor

Dr. med. Günther Loewit (Jg. 1958) lebt und arbeitet als Allgemeinmediziner und Autor in Niederösterreich. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter literarische Publikationen wie „Mürrig“ und „Krippler“ (alle Skarabaeus Verlag). Seine Sachbücher „Der ohnmächtige Arzt“ (2010), „Wie viel Medizin überlebt der Mensch?“ (2012) und „Sterben. Zwischen Würde und Geschäft“ (2014; alle Haymon) wurden Bestseller. Aktuell im Haymon-Verlag ist das Buch „Wir schaffen die Kindheit ab“ erschienen.

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