Ich habe zwei Leben: Von Oktober bis Mai arbeite ich freiberuflich als Marketingexpertin, von Juni bis September bin ich Sennerin auf einer Schweizer Alp. Wie es dazu kam? 2014 kündigte ich meinen Job als Marketingdirektorin einer Hotelkette, meine Kölner Wohnung und meinen Yogakurs – und ging unter die Bergbauern. Downsizing at its best. Nach vier Monaten Melken, Ausmisten, Heuen und Co. – wir können es auch als „körperliches Arbeiten“ oder einfach als „Schuften“ subsummieren – schlug ich meine Zelte wieder in Köln auf. Dieses Mal allerdings als freiberufliche Marketingexpertin. Damit ermöglichte ich mir, diesen Sommer wieder „z’Bärg“ gehen zu können. Wie oft ich seitdem die Frage „Warum machst du das?“ hörte, können Sie sich vorstellen. Meine Standardantwort: „Warum nicht?“
Ich wollte endlich frei schwimmen
Die Minusliste in Sachen Kultur und Struktur meines Angestelltendaseins vor der Alp ist lang. Die unzähligen Stunden Lebenszeit zwischen Zuhause und Büro. Die nichtigen Endlosdiskussionen, der Tunnelblick, das ständige Nein. Für mich war es an der Zeit, frei schwimmen zu können.
Der Wechsel hätte krasser nicht sein können. Ich hatte mich gerade erst aus alten Strukturen befreit und unterwarf mich mit voller Wucht neuen. Und was für welchen! Hier oben bestimmen noch ganz andere Kräfte als der Boss, was zu tun ist: die Tiere und das Wetter. Und kommen Sie mir bloß nicht mit Heidi. Aber – und das ist das, was für mich gesundes und befriedigendes Arbeiten ausmacht – es gibt immer ein Ergebnis, und zwar sofort. Die Kuh ist gemolken. Der Stall ist ausgemistet. Der Baum ist gefällt. Es wird immer nach Lösungen gesucht, und zwar an Ort und Stelle: Wir flicken jetzt das Loch im Zaun. Wir suchen jetzt das verlorene Rind. Wir holen das Heu schnell ein, bevor es gleich regnet. Und man selbst ist immer elementarer Teil der Lösung: „Dann melk du auch noch die Kühe, dann hol ich schnell das Heu ein.“
Jeder braucht seine persönliche Alp
Was das mit New Work zu tun hat? Alles! Meine These: Jeder braucht eine Alp, und zwar seine ganz persönliche. Genau die Strukturen und die Atmosphäre, die uns als Mensch glücklich, gesund und kreativ machen, sind die, mit denen wir uns beim Arbeiten umgeben sollten. Ricardo Semler erklärt in „The Seven-Day Weekend“, wie Arbeitgeber das schaffen können. Wer noch nicht genau weiß, was er zum Glücklichsein braucht, kann „The Big Five for Life“ von John Strelecky lesen. Ich hab mir jedenfalls meine Wohlfühl-Cloud gepackt. Sie ist bei mir, ob im warmen Homeoffice oder beim Rindersuchen im Nebel am Berg. Und das Beste ist: Wie es eine Wolke nun mal macht, verändert sich meine Wohlfühl-Cloud ständig. Mal brauche ich mehr dies, mal etwas mehr davon. Alp und Office befruchten sich gegenseitig. Und das ist genau mein Ding, denn jede Veränderung bringt mich voran.
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