"Mansplaining" in der Kommunikation: Wenn Männer auf Frauen losgehen

Warum tun sich Männer so schwer damit, in Debatten die Meinung von Frauen zu akzeptieren? Warum wird der Ton gegenüber weiblichen Ansichten so schnell so feindselig?

Warum manche Männer so aggressiv auf Frauenthemen reagieren

Dr. Laura Wendt
  • Diskussionen zu Gendern, Quote & Co. enden oft mit wüsten Leserkommentaren
  • Das hat auch mit Gerechtigkeitssinn und dem Bedürfnis nach Kontrolle zu tun
  • Es gibt einen Weg, wie Männer und Frauen gut miteinander diskutieren können

15.365 Reaktionen

Veröffentlicht eine Frau einen Beitrag zum Thema „Frauen und Karriere“, dann sind polarisierende Reaktionen garantiert. Glücklicherweise fällt die Mehrheit dieser Reaktionen im professionellen und öffentlichen Kontext höflich aus. In den sozialen Medien jedoch ist es oft umgekehrt und reicht von (willkommenen) kritischen Anmerkungen bis hin zu wüsten Beschimpfungen. Auch ich habe das bereits als Autorin auf verschiedenen Plattformen erfahren, selbst wenn ich nur wissenschaftliche Studien zu diesem Thema zusammengetragen habe.

Die Absender sind in der Regel – zu über 90 Prozent – männlich. Wobei hier anzumerken ist, dass manch eine Frau andere Frauen unbewusst kritischer bewertet als Männer, vor allem wenn diese Frauen selbstbewusst und stark wirken. In diesem Fall wird eine Kritik zum eigenen Vorteil genutzt, um sich mit den Männern zu verbünden.

Warum sind die Reaktionen so heftig?

1. Wir wissen oft nicht, was uns antreibt, reagieren aber trotzdem voreilig

Wir Menschen besitzen zwei Systeme des Denkens. System eins reagiert schnell und instinktiv, während System zwei logischer, aber langsamer operiert. In der Regel nutzen wir eher das schnelle System. Die Mehrheit der täglichen Gedanken, Empfindungen und Urteile läuft völlig unbewusst und automatisch ab – basierend auf lebenslangen Konditionierungen. Ein wütender Mensch ist sich seiner Motive oft gar nicht bewusst und reagiert hastig. Eine Frauenquote? Brauchen wir doch nicht! Wer sich anstrengt, kommt nach oben! Frauen werden am Arbeitsplatz ungleich behandelt? Die sind doch selbst schuld, so emotional wie die sich im Büro aufführen. Vor 100 Jahren konnten sie nicht einmal wählen, und jetzt wollen sie die besten Arbeitsplätze einklagen – geht’s noch?!

2. Der Glaube an Karma

Das Gefühl von Kontrolle ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Wir glauben, dass wir nur das Richtige tun müssen, und alles gut wird. Diese Illusion lässt uns ruhiger schlafen. Das ist einer der Gründe, warum wir die Armen, Kranken und Schwachen für ihr Schicksal häufig selbst verantwortlich machen.

Würden wir akzeptieren, dass das Leben unfair ist, würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass es uns auch treffen könnte, selbst wenn wir alle Regeln befolgen. Da degradieren wir doch lieber die Opfer. Ein Grund, warum die #MeToo-Debatte oft die Schuld eher im Verhalten der Frauen sieht. Eine Frau wurde am Arbeitsplatz begrapscht? Kein Wunder! So wie die aussieht! Eine Frau wurde vergewaltigt? Ja, was macht sie denn auch allein nachts auf einer Party?

3. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit

Menschen haben zudem eine hohes Gerechtigkeitsempfinden. Wenn Teams zusammengestellt werden, ohne dass der Prozess als fair empfunden wird, tendieren die Mitglieder dazu, die Gruppe zu sabotieren. Was erklären kann, warum so manche Vorstandsfrau keine interne Unterstützung erhält. Als die Deutsche Telekom im Jahr 2015 eine Quote für Frauen in Führungspositionen etablieren wollte – wohlgemerkt von gerade mal 30 Prozent! –, sprach die Presse bereits vom Geschlechterkampf. Da meldete sich auch wieder System eins zu Wort: „Was jammern die Frauen die ganze Zeit öffentlich herum? Ich musste mir meinen Job auch hart erarbeiten.“

4. Privilegien haben immer nur die anderen

Viele Debatten thematisieren die Privilegien des alten weißen Mannes, und dies stößt auf Abwehrverhalten, denn es klingt so, als ob einem Mann aufgrund seines Geschlechts alle Erfolge auf einem Silbertablett serviert worden wären. Was mit dem Begriff Privileg jedoch wirklich gemeint ist, sind all die Situationen, die ein weißer Mann nicht durchleben muss, weil er eben so aussieht, wie er aussieht.

Beispiel gefällig? Während vieler meiner Trainings bitte ich zuerst die Männer im Raum, mir aufzuzählen, welche Vorkehrungen sie regelmäßig treffen, um sich vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Meist kommt nichts oder höchstens ein Witz à la „Ich versuche, nicht ins Gefängnis zu kommen“. Dann stelle ich die Frage den anwesenden Frauen und fülle meist drei Seiten am Flipchart mit Beispielen, die da lauten: „Ich halte meinen Autoschlüssel wie eine Waffe; ich schaue regelmäßig über meine Schulter, wenn ich abends draußen herumlaufe; Augenkontakt mit Männern auf der Straße vermeiden oder sehr selbstbewusst gucken; keine Autobahnraststätten nutzen; so tun, als ob man am Telefon wäre, wenn man unterwegs ist; niemals ein Getränk aus den Augen lassen; Pfefferspray in der Handtasche haben; nicht in der ersten Etage wohnen; nachts immer alle Fenster schließen, auch an heißen Sommertagen; immer auf die Rückbank des Autos schauen, bevor man losfährt“.

Diese Unterschiede zeigen manchen Männern zum ersten Mal, dass sie tatsächlich in einer anderen Welt leben, in der sie sich sorgloser und freier bewegen können. Dies ist ein Privileg. Und was können Frauen (und Männer) nun tun?

Gut zu wissen: Niemand ändert seine Meinung während einer Debatte

Bitte nennen Sie mir eine einzige Debatte, in deren Verlauf ein Teilnehmer seine Meinung aufgrund der Argumente seines Gegenübers geändert hätte. Ein fast unmöglicher Auftrag, denn öffentliches Nachgeben oder Umdenken belohnt unsere Gesellschaft nicht, stattdessen legen wir so ein Verhalten als Charakterschwäche aus. Um seine Meinung zu ändern, muss der Mensch zum einen durch Daten und Fakten kognitiv angesprochen und zum anderen durch einen persönlichen menschlichen Kontakt emotional berührt werden. Das erklärt beispielsweise, warum Chefs mit Töchtern ihre weiblichen Angestellten besser bezahlen.

Zudem bevorzugen Menschen eher die Freiheit, „Nein“ zu etwas zu sagen, als recht zu haben. Wären wir neugierig und würden unser System zwei nutzen, dann würden Fakten logischerweise unsere Einstellungen ändern. Leider empfinden wir konträre Positionen als einen Angriff auf unsere Persönlichkeit, die wir abwehren müssen. Sollten wir dennoch von neuen Fakten überzeugt worden sein, brauchen wir Zeit, um diese Informationen umzusetzen. Das weiß jeder, der mal versucht hat, dauerhaft gesund zu essen, weniger zu lästern oder mehr Sport zu treiben.

Und was ist die Lösung?

Wie wäre es mit einer buddhistischen Haltung, erst mal davon auszugehen, dass wir nichts wissen, um mit einer neugierigen Haltung Fakten und Menschen bewusst zu studieren, bevor wir uns ein Urteil bilden? Zuhören und Dazulernen sind mühselig, aber bringen nachhaltige Veränderungen. Vorbildlich hat dies Deeyah Khan in einem extremen Fall gezeigt. Als Muslima hat sie sich unter Nazis gemischt und durch Geduld und Neugierde in lebensbedrohlichen Situationen tatsächlich Freunde unter ihnen gewonnen. Da sollte es doch weniger schwer sein, sich als Mann für die Sichtweise von Frauen zu öffnen und zu realisieren, dass wir aufgrund unserer Geschlechtszugehörigkeit noch nicht in der gleichen Welt leben – und dass Frauen dies auch thematisieren möchten.

Umgekehrt ist dies genauso zu empfehlen. Durch stundenlanges Zuhören habe ich erfahren, warum manche Männer Führungsfrauen nicht unterstützen oder mit ihnen zusammenarbeiten wollen, was manchen Berichten zufolge inzwischen auf 60 Prozent der Männer zutrifft. Wenn ich zuhöre und ihre Sichtweise verstehe, dann nehmen sie sich im Gegenzug eher Zeit, wenn ich ihnen von meiner Realität erzähle. Nur so können wir gemeinsam an einer Win-win-Welt für uns alle arbeiten. Es kostet bloß ein wenig Zeit und Geduld. Fangen wir an zuzuhören und weniger zu urteilen.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser! Teilen Sie die Meinung der Autorin? Oder verhalten sich Ihrer Meinung nach Männer in Diskussionen in Wahrheit ganz anders? Wir freuen uns auf eine lebhafte Debatte!

Veröffentlicht:

Dr. Laura Wendt
© Klaudia Taday
Dr. Laura Wendt

Neurowissenschaftlerin, Rednerin und Diversity-Managerin, A.T. Kearney

Die studierte Neurowissenschaftlerin Wendt (Jg. 1982) ist als Managerin „Global Diversity and Inclusion“ bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney sowie als internationale Rednerin tätig. Sie entwickelt Workshops für Fortune500 Unternehmen, um deren Attraktivität am Arbeitsmarkt und das interne Arbeitsklima zu verbessern. Ihre “Unconscious Biases“ Trainings hat sie bereits weltweit an renommierten Universitäten und bei Industrieunternehmen etabliert.

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