Die zwei Seiten des Perfektionismus
Licht aus, Beamer an. Die PowerPoint-Präsentation beginnt. Gleich auf der Titelfolie entdeckt die Referentin einen Tippfehler. Warum hat sie den nicht gesehen? Sie hat doch alles drei Mal gelesen. Es läuft ihr kalt den Rücken runter. Sie wird unruhig, und die gesamte Präsentation misslingt, weil sie ständig an diesen Tippfehler denkt und sich über sich selbst ärgert.
Manche Menschen geraten unter großen Stress, wenn sie entdecken, dass sie etwas nicht perfekt gemacht haben. Psychologen sprechen dann vom dysfunktionalen Perfektionismus, der krankmachen und zum Burnout führen kann. Dabei sind wir in vielen Bereichen auf Perfektionismus angewiesen: Wir wollen nicht, dass der Ärztin bei der Operation ein Fehler unterläuft. Wir erwarten, dass der Servicetechniker das Flugzeug, in dem wir gerade sitzen, perfekt geprüft und gewartet hat. Das ist der funktionale Perfektionismus. Er gibt uns ein sicheres und gutes Gefühl.
Diese gesunde Variante des Perfektionismus klammert die Versagensangst und den Leistungsdruck quasi aus. Auch hier sollen keine Fehler entstehen. Aber die „gesunden Perfektionisten“ schließen sie gedanklich immer mit ein und lassen sie insofern zu. Menschen, die am ungesunden, dysfunktionalen Perfektionismus leiden, waren als Kinder vermutlich sehr leistungsorientierten, kalten oder strafenden Eltern ausgesetzt, die jeden Fehler sofort sanktionierten. Die Kinder lernten, dass sie Anerkennung nur dann erhalten, wenn alles 120-prozentig ist. Das prägt fürs Leben.
Perfektionismus kommt uns im beruflichen Alltag oft in die Quere. Vor allem dann, wenn es viel Arbeit zu bewältigen gibt. Was wir aus der Unterscheidung zwischen gesundem und ungesundem Perfektionismus lernen, ist: Lass uns loben, wenn wir das Perfekte anstreben und erreichen. Aber lass uns nicht bestrafen, wenn es halt mal nicht gelingt.
Von Jürgen Fleig, Redaktion business-wissen.de