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Biologischer Dual-Core-Prozessor Diese menschlichen Zellen können rechnen

Autor / Redakteur: Peter Rüegg* / Christian Lüttmann

Eine menschliche Zelle hat genau einen Zellkern. Nun haben Forscher der ETH Zürich sozusagen „Zwei-Kern-Zellen“ realisiert – allerdings nicht mit zwei Zellkernen, sondern zwei Rechenkernen, welche auf dem Crispr/Cas-System beruhen. Diese biologischen Prozessoren sind ein Schritt in Richtung leistungsfähiger Zellcomputer.

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Forscher der ETH Zürich haben aus Zellen Recheneinheiten für biologische Computer gemacht (Symbolbild).
Forscher der ETH Zürich haben aus Zellen Recheneinheiten für biologische Computer gemacht (Symbolbild).
(Bild: gemeinfrei, geralt, ar130405 / Pixabay )

Basel/Schweiz – Computer sind im Grunde Rechenmaschinen, die nur dank des Zusammenschlusses einfacher Schaltungen so leistungsfähig sind. In der Digitaltechnik werden so genannte logische Gatter verwendet, um Eingangssignale zu verarbeiten. Sie ermöglichen beispielsweise Schaltungen, bei denen beide Eingangssignale A und B gleichzeitig vorhanden sein müssen, damit das Ausgangssignal C produziert wird. In der Synthetischen Biologie arbeitet man schon lange daran, die Aktivität von Genen mit Rechenschaltungen nach digitalem Vorbild zu steuern.

Bislang versuchten die Biotechnologen, solche digitalen Schalter mithilfe von Protein-Gen-Schaltern in Zellen nachzubauen. Diese hatten jedoch einen entscheidenden Nachteil: Sie waren wenig flexibel, ließen nur einfache Programmierungen zu und konnten jeweils nur ein einziges Eingabesignal, z.B. ein bestimmtes Stoffwechselmolekül, verarbeiten. Komplexere Rechenvorgänge waren deshalb in solchen Zellrechnern nur bedingt möglich, fehleranfällig und stürzten häufig ab.

Zwar kennt auch die digitale Welt Schalter, die nur auf einer einzigen Eingabe beruhen, nämlich Elektronen. Die elektronischen Schalter machen dies jedoch durch ihre Geschwindigkeit wett: Sie werden bis zu einer Milliarde Mal pro Sekunde angesteuert. Zellen sind zwar langsamer, dafür können sie bis zu 100.000 unterschiedliche Stoffwechselmoleküle pro Sekunde als Eingabe parallel verarbeiten. Bisherige Zellrechner konnten diese enorme metabolische Rechenkapazität einer menschlichen Zelle allerdings nicht annähernd ausschöpfen.

Eine biologische Recheneinheit

Ein Team von Forschern um Martin Fussenegger, Professor für Biotechnologie und Bioingenieurwissenschaften am Departement Biosysteme der ETH Zürich im schweizerischen Basel, hat nun einen Weg gefunden, einen zentralen Prozessor aus biologischen Bauteilen zu konstruieren, die flexibel und vielseitig programmierbar ist. Diese von den ETH-Wissenschaftlern entwickelte „central processing unit“ (CPU) beruht auf einem modifizierten Crispr/Cas-System und kann beliebig viele Eingaben in Form von RNA-Molekülen (so genannter Leit-RNA) verarbeiten.

Den Kern des Prozessors stellt eine spezielle Variante des Cas9-Proteins dar. Die CPU reguliert als Antwort auf die Eingabe durch Leit-RNA-Sequenzen die Aktivität eines bestimmten Gens, sodass das zugehörige Protein hergestellt wird. Damit konnten die Forscher in menschlichen Zellen skalierbare Schaltnetze programmieren, welche wie digitale Halbaddierer aus zwei Eingängen und zwei Ausgängen bestehen und zwei einstellige Binärzahlen addieren können (also 0+0, 1+0, 0+1 oder 1+1).

Die Dual-Core-Zelle

Die Wissenschaftler gingen sogar noch einen Schritt weiter und schufen analog zur digitalen Welt einen biologischen Dual-Core-Prozessor, in dem sie zwei Rechnerkerne in eine Zelle einbauten. Dazu verwendeten sie Crispr/Cas-Einheiten von zwei unterschiedlichen Bakterien. „Damit haben wir den ersten Zellcomputer mit mehr als einem Rechnerkern geschaffen“, sagt Fussenegger.

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Dieser Biocomputer ist nicht nur extrem klein, sondern im Prinzip auch beliebig skalierbar. „Man stelle sich ein Mikrogewebe mit mehreren Milliarden Zellen vor, und jede davon verfügt über einen Dual-Core-Prozessor. Solche „Rechenorgane“ könnten eine theoretische Rechenkapazität erreichen, welche diejenige eines digitalen Supercomputers bei weitem übertrifft, und das mit einem Bruchteil der Energie“, schildert der Biotechnologe.

Gesundheitsscreening per Biocomputer?

Ein solcher Zellcomputer könnte dazu verwendet werden, biologische Signale aus dem Körper, wie gewisse Stoffwechselprodukte oder Botenstoffe wahrzunehmen, sie zu verarbeiten und wunschgemäß zu reagieren. Programmiert man die CPU entsprechend, könnten die Zellen zwei verschiedene Biomarker als Eingangssignale wahrnehmen. Ist nur Biomarker A vorhanden, dann reagiert der Biocomputer mit der Bildung eines diagnostischen Moleküls oder eines Wirkstoffs. Registriert der Zellcomputer nur Biomarker B, dann löst er die Bildung eines anderen Wirkstoffs aus. Sind beide Biomarker vorhanden, dann erzeugt dies eine dritte Reaktion. Dies könnte z.B. zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden.

„Wir könnten zudem Rückkopplungen einbauen“, sagt Fussenegger. Sei beispielsweise Biomarker B ein Hinweis auf die Bildung von Krebsmetastasen und wäre über längere Zeit in einer gewissen Konzentration im Körper vorhanden, dann würde der Biocomputer dementsprechend einen Wirkstoff gegen die Metastasen bilden.

Mehrkernrechner als nächstes Ziel

„Ganz so revolutionär wie sich dieser Zellcomputer anhört, ist die Sache nicht“, betont Fussenegger. „Unser menschlicher Körper ist bereits ein einziger Großcomputer. Der Stoffwechsel des Körpers beruht seit jeher auf Rechenleistungen von Billionen von Zellen.“ Zellen nehmen laufend Informationen aus der Umwelt oder von anderen Zellen auf, verarbeiten die Signale und reagieren entsprechend, ob durch das Ausschütten von Botenstoffen oder auch indem sie Stoffwechselwege in Gang setzten. „Und dieser Großcomputer braucht, anders als ein technischer Supercomputer, nur eine Scheibe Brot als Energie“, sagt Fussenegger.

Das nächste Ziel des ETH-Professors ist es, eine Mehrkernrechenstruktur in eine Zelle einzubauen. „Diese hätte noch viel mehr Rechenleistung als die aktuelle Dual-Core-Struktur.“

Originalpublikation: Kima H, Bojara D, Fussenegger M. CRISPR-CPU: A CRISPR/Cas9-based central processing unit to program complex logic computations in human cells. PNAS, April 9, 2019, 116 (15) 7214-7219; DOI: 10.1073/pnas.1821740116

* P. Rüegg, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich), 8092 Zürich/Schweiz

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