Ist das Silicon Valley überbewertet?

Es gilt als globales Zentrum der digitalen Welt: Google, Apple oder Facebook – sie alle sind dort zu Weltmarken geworden. Aber ist das Image als innovatives Schaffenszentrum noch gerechtfertigt?

Berlin kann das Valley abhängen – aber nur mit der Industrie

Andreas Winiarski
  • Berlin muss dem Silicon Valley bei künftigen Innovationen die Stirn bieten
  • Das Internet of Things kann zur Königsdisziplin der nächsten Dekade werden
  • Für eine führende Position braucht Berlin die industriellen Herzkammern

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Stanford-Absolventen, denen der Erfindergeist aus den Ohren trieft, Teslas an jeder Straßenecke und Smoothiebars, die die klugen Köpfe mit Nährstoffen versorgen – das Silicon Valley ist der Inbegriff eines Hubs. Die Wiege der großen Plattformökonomien ist seit über 20 Jahren der Fixstern der globalen Tech-Elite, konzentriert sie doch Kapital und Köpfe wie kein zweiter Ort dieser Welt.

Entsprechend neidisch blickt auch mancher diesseits des Atlantiks auf dieses Brennglas des zivilisatorischen Fortschritts, das Multimilliardenmärkte mit einem Fingerschnippen erobert. Und schnell nagt sich der Zweifel in das Denkfleisch der hiesigen Tech-Szene: Wie wollen wir da mithalten? Die Antwort ist einfach: Gar nicht. Der Markt globaler Plattformen ist zugetackert von den Zöglingen des Garagenmythos. Aus Palo Alto regieren Google, Facebook und Uber globale Märkte. Daran gibt es wenig zu deuteln – abhaken und weitermachen. Stattdessen müssen die im Schatten des Valley entstandenen Hubs in Berlin, Tel Aviv oder London, diese sorgsam kultivierten, politisch gedüngten Nährböden der Weltwirtschaft, sich rüsten, um dem Silicon Valley bei künftigen Innovationen die Stirn bieten zu können.

Anstatt also den Bayern-München-haften Vorsprung von Facebook, Google oder Amazon zu bejammern, sollten wir uns lieber auf diese nächste große Digitalisierungswelle konzentrieren: das Internet of Things (IoT). Die Ausgangsbedingungen sind diesmal gänzlich andere. Hätten die Plattformökonomien aufgrund ihrer immateriellen Wertschöpfung an theoretisch jedem Ort der Welt entstehen können, der bloß ausreichend Kapital und Köpfe bereitstellt, braucht das IoT neben der technologischen Kompetenz eine ausgereifte industrielle Infrastruktur. Es kann zur Königsdisziplin der kommenden Dekade werden, die die industrielle Wertschöpfung in ihren Grundfesten herausfordert – und Deutschland kann sich hier in eine global führende Position schwingen, denn in kaum einem anderen Land gibt es einerseits so viel Hightechindustrie und andererseits einen so starken Hub wie Berlin.

Eine enge Verzahnung mit industrieller Wertschöpfung ist notwendig

Damit das klappt, brauchen wir weniger gerümpfte Nasen und mehr gegenseitige Offenheit. Der föderale Wesenskern der Bundesrepublik, die Einheit in Vielfalt, kann dabei zum Schlüssel werden, um den Wettlauf um das Internet der Dinge für Deutschland zu entscheiden. Denn die Betriebssysteme und Anwendungen des IoT können nicht im luftleeren digitalen Raum entstehen – sie brauchen die enge Verzahnung mit industrieller Wertschöpfung, eben mit Dingen, die man anfassen kann. Genau hier kann die große Stunde der Deutschland AG schlagen. Wir brauchen einen Tech-Föderalismus, einen lebhaften Austausch auf Augenhöhe zwischen Berlin und den industriellen Herzkammern, ganz gleich ob in Stuttgart, München oder im Ruhrgebiet. Denn klar ist: Den Kampf um die Vorherrschaft im IoT wird weder Berlin allein gewinnen noch München oder Stuttgart.

Für die Industriecluster ist der Schulterschluss mit Berlin dabei nicht zuletzt wichtig, da der War for Talents selbst für die größten Namen der deutschen Industrie immer härter wird und künftig wohl kaum ein Geld ausreichen wird, um die Masse an notwendigen Codegenies noch in die Prärie zu locken. Für die Start-up-Metropole Berlin hingegen bietet die Anbindung an das industrielle Know-how des Mittelstands nicht zuletzt die Möglichkeit, den eigenen Erfindergeist mit etablierten Netzwerken, jahrzehntelanger Erfahrung und Kapital zu vernetzen und Innovationen so maximal zu skalieren.

VW und Kloeckner zeigen bereits jetzt, was möglich ist

Lebendig wird die Brücke nicht zuletzt durch Kapital, das Ideen benötigen, um Wirklichkeit zu werden. Konzerne müssen dafür stärker als bisher als Risikokapitalgeber auftreten, sie müssen für Gründer zum Teil der Lösung werden anstatt zum Teil des Problems. Der Standort Berlin muss dabei jedoch mehr sein als ein bloßer Showroom. Wir brauchen Konzerne, die in Berlin wirklich arbeiten wollen und sich in die Untiefen der Berliner Tech-Szene hineingraben, um von ihr zu lernen und zu profitieren und nicht zuletzt, um wieder attraktiv zu werden für die so dringend benötigten klugen Köpfe.

Der VW-Ideation-Hub oder die Berliner Repräsentanz von Kloeckner.i sind gute Beispiele dafür, wie ein etabliertes Unternehmen seinen Platz im Herzen des Start-up-Ökosystems finden kann. Sie zeigen, dass VW und Kloeckner längst erkannt haben, wie wichtig die Vorhut auf Berliner Boden ist, um ihre Geschäftsmodelle fit für das digitale Zeitalter zu machen. Auch das Bundeswirtschaftsministerium läuft mit der Hub-Initiative in genau die richtige Richtung. In zunächst fünf Städten sind themenspezifische Knotenpunkte der digitalen Transformation entstanden – Hamburg und Dortmund etwa spezialisieren sich auf die Logistik der Zukunft, während München zum Ankerpunkt neuer Mobilitätskonzepte werden soll. Schon bald, das stellte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries in Aussicht, kommen sieben weitere branchenspezifische Hubs hinzu. Sie betonte, dass die Hubs den Gründer- und Innovationsstandort auf ein breites Fundament stellen sollen. Dieser Ansatz ist völlig richtig, zeigen doch Beispiele wie London oder Paris, wie nachteilig sich ökonomischer Zentralismus auf lange Sicht auswirken kann.

Um im Wettlauf um das Internet der Dinge und die nächsten Digitalisierungsschübe zu bestehen, brauchen wir daher den festen Schulterschluss zwischen Berlin und Industrie. Wir brauchen jenseits von Berlin branchenspezifische Hubs, die Gründer, Start-ups, Technologieunternehmen und Wissenschaft zusammenbringen und so selbst eine internationale Strahlkraft in ihrer Industrie entwickeln. Wir müssen aus den regionalen Verdichtungseffekten des Föderalismus noch mehr Kapital schlagen und sie mit der Anziehungskraft Berlins verbinden – dann kann die Bundesrepublik das Rennen um das IoT tatsächlich gewinnen.

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Andreas Winiarski
© Privat
Andreas Winiarski

Partner, Earlybird Venture Capital

Andreas Winiarski (Jg. 1978) berät Firmen und Führungskräfte zum digitalen Wandel und zu allen Aspekten ihrer Reputation im digitalen Zeitalter. Er ist seit April 2017 Partner bei Earlybird Venture Capital. Zuvor war er als Managing Partner und Senior Adviser bei der Kommunikationsagentur Hering Schuppener tätig. Andreas Winiarski lebt und arbeitet in Berlin und war früher unter anderem als Kommunikationschef für Rocket Internet tätig.

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