Trend #2 – Gig-Working: Biete Festanstellung, suche Freiheit!

Die Lebenskünstler von morgen wollen frei über Zeiteinteilung und Aufgaben entscheiden – und am liebsten wie Musiker von Gig zu Gig springen. Wird Gig-Working den klassischen Nine-to-five-Job ablösen?

Die Macht verschiebt sich – vom Kapital zu Ideen und Talent

Prof. Dr. Henning Vöpel
  • Auf Plattformen können Experten ihre Arbeitskraft weltweit anbieten
  • Aber nicht jeder profitiert gleichermaßen von der neuen Digitalökonomie
  • Die Herausforderungen liegen in Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit

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Der Siegeszug der Plattformökonomie macht auch vor der Arbeitswelt nicht halt. In Zukunft werden noch deutlich mehr Menschen als bisher ihre Ideen und Talente online anbieten oder sich passende Aufgaben und Projekte suchen. Das ist erst einmal gut, denn richtig angewendet, machen Plattformen als Instrument für mehr Transparenz den Arbeitsmarkt effizienter. Wenn wir jedoch die gesellschaftlichen Auswirkungen, die das hat, verstehen wollen, müssen wir über die rein ökonomische Funktion der Plattformen hinausblicken und die soziale Dimension der Digitalisierung als Ganzes betrachten.

Plattformen in der Arbeitsvermittlung werden aus zwei Gründen in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Einerseits wird das Matching auf dem Arbeitsmarkt technologisch über sie weitaus effizienter sein als heute, denn es lassen sich dadurch Informationsasymmetrien zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage erheblich reduzieren. Andererseits verändern digitale Technologien die Arbeitswelt selbst und machen neue und flexiblere Formen von Arbeit erforderlich, denn Unternehmen wandeln sich von hochspezialisierten Organisationen mit standardisierten Prozessen zu hybriden Strukturen mit stärker projektbasierten, branchenübergreifenden und kollaborativen Aufgaben.

Teams können sich für jede Aufgabe neu bilden

Beide Entwicklungen führen dazu, dass sich vermehrt optimal zusammengesetzte Teams für spezifische Aufgaben und Projekte bilden werden. Das Modell festangestellter Arbeitnehmer stellt für Unternehmen zunehmend eine Beschränkung in der Arbeitsallokation dar. Diese Beschränkung gilt gerade für die agilen Unternehmen und gerade für die agilen Talente, die sich gar nicht mehr als Angestellte verstehen, sondern ihre oft sehr gefragten Fähigkeiten weltweit zur bestmöglichen Bezahlung anbieten. Sie sind entweder Gründer ihrer eigenen Unternehmen oder eine Art Quasi-Selbstständige, was ihrem Anspruch an Arbeit und ihrem Selbstverständnis als Individuum entspricht.

In der industriellen Ökonomie galt bislang das Prinzip, dass das Kapital die Arbeit anstellt und bezahlt (vgl. Gregory K. Dow: „Why Capital Hires Labor: A Bargaining Perspective“). In der digitalen Welt ist der Markteintritt auch ohne viel Kapital möglich, eine gute Idee reicht zumeist. Das verschiebt die Marktmacht vom Kapital zur Arbeit. Die ökonomische Rente wird im Verhandlungsprozess immer mehr von Talenten mit knappen Fähigkeiten akquiriert. Jedoch nicht vom Faktor Arbeit generell, sondern nur von einigen wenigen. Genau hierin liegt die Gefahr der neuen Arbeitswelt: Die Lohnspreizung dürfte weiter zunehmen, insbesondere durch künstliche Intelligenz, die auch kognitive Tätigkeiten übernehmen und dadurch Prozesse autonomisieren wird. Berufsbilder werden sich in Zukunft immer schneller wandeln. Die Lohnprämien für spezialisierte Arbeit werden zurückgehen.

Sozialstaat und Ausbildung müssen die Veränderungen aktiv begleiten

Vor dem Hintergrund der fundamentalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt werden sich unsere Bildung und Ausbildung sowie der Sozialstaat und die Sozialversicherungssysteme radikal an Tiefe, Breite und Geschwindigkeit den Veränderungen anpassen müssen. Einerseits, um den Anforderungen an Flexibilität gerecht zu werden, andererseits aber auch, um einer weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Arbeit wird uns nicht ausgehen, aber die Geschwindigkeit des Strukturwandels könnte dieses Mal so hoch sein, dass es übergangsweise zu struktureller Arbeitslosigkeit kommt. Historisch gesehen haben fundamentale technologische Umbrüche zudem oft zu einer Prekarisierung der Arbeit geführt. Ähnliches droht mit der Digitalisierung.

Plattformen in der Arbeitsvermittlung können vor diesem Hintergrund ein effizientes Instrument der Allokation von Arbeit sein. Wir können Arbeit und Erwerbstätigkeit in der digitalen Welt neu denken. Die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen für die zukünftige Arbeitswelt liegen indes ganz woanders: in Bildungschancen und Verteilungsgerechtigkeit.


15 Jahre XING

Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?

Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.

Die 15 Trends lassen wir ab dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.

  • In der Woche ab dem 5. November dreht sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
  • Ab dem 12. November diskutieren wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
  • Eine Woche später, ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.

Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

Veröffentlicht:

Prof. Dr. Henning Vöpel
© HWWI
Prof. Dr. Henning Vöpel

Direktor Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut (HWWI)

für Weltwirtschaft, Digitalökonomie

Henning Vöpel ist seit 2014 Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Zuvor  leitete er die Forschungsbereiche Konjunktur und Weltwirtschaft. 2010 wurde Vöpel als Professor für Volkswirtschaftslehre an die HSBA Hamburg School of Business Administration berufen. Seine Forschungs- und Themenschwerpunkte sind Konjunkturanalyse, Geld- und Währungspolitik, Finanzmärkte und Digitalökonomie.

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