Medizin-NC: Sollte man auch ohne Einser-Abi Arzt werden dürfen?

Das Bundesverfassungsgericht hat eine wegweisende Entscheidung verkündet: Die Vergabe von Medizin-Studienplätzen muss künftig anders geregelt werden. Wird das Urteil das Hochschulsystem verändern?

Egal wie die Gerichte entscheiden, das Grundübel bleibt

Dirk Naumann zu Grünberg
  • An den Unis dominieren oft undurchsichtige, kaum kontrollierte Verfahren
  • Richter sind zu Recht skeptisch, doch das Urteil wird erst in Monaten gefällt
  • Ein Auslandsstudium ist nach wie vor der schnellste Weg zum Wunschstudium

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Was wie Wahnsinn anmutet, ist leider Realität: Mediziner aus anderen Ländern werden aufgrund des Ärztemangels nach Deutschland geholt, während Tausende hier kaum eine Chance auf das Medizinstudium haben. Zu Recht zeigen sich die Verfassungsrichter skeptisch gegenüber dem jetzigen System. In Deutschland hat nur Chance auf einen Studienplatz, wer ein Spitzenabitur hat, viele Jahre Wartezeit mitbringt oder dem Auswahlverfahren standhält. Wer beim hochschuleigenen Verfahren seine Chance wittert, liegt häufig falsch. Hier dominieren undurchsichtige, kaum kontrollierte Verfahren, und am Ende winkt meist doch wieder der gefürchtete NC. Von den aktuellen Kriterien für die Studienplatzvergabe ist das hochschuleigene Auswahlverfahren noch die beste Lösung – der Umbruch ist hier sinnvoll. Und das sehen auch die Richter so, immer wieder hakten sie bei der Verhandlung Anfang Oktober an den richtigen Stellen nach. Mit einem Urteil ist allerdings erst in Monaten zu rechnen.

Alternativen zum NC sind die Medizinertests. Dies sind naturwissenschaftliche Prüfungen, praktische Aufgaben und Interviews. Ich meine, die beste Lösung wäre hier ein Mix aus unterschiedlichen Anforderungen, bei denen es nicht allein auf Abitur oder Wartezeit ankommt. Ein solches System sollte bundesweit einheitlich und klar strukturiert sein, um für Bewerber endlich planbar und transparent zu sein – und so sehen es wohl auch die Karlsruher Richter. Im Ausland werden diese Systeme bereits erfolgreich angewendet, in Kanada etwa gibt es multiple Mini-Interviews. Ein Auswahlverfahren, was sich übrigens in ähnlicher Form hier in Europa für das Medizinstudium zum Beispiel an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien durchgesetzt hat.

Es fehlt die Perspektive

Und auch deutsche Unis diskutieren, wie es weitergehen soll. Mittel der Wahl sollte der Test für Medizinische Studiengänge (TMS) oder auch der Meditest-EU sein. Bei Letzterem handelt es sich zum Beispiel um eine 90-minütige Prüfung, bei der sowohl persönliche Bewerberfähigkeiten als auch ihr Wissensstand in Bio, Chemie oder Mathematik ermittelt wird. So beurteilen Unis Bewerber viel effektiver und haben damit eine hervorragende Alternative zu den antiquierten Verfahren.

Ganz gleich jedoch, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgehen wird, das Grundübel bleibt: der Mangel an Medizinstudienplätzen. Im Zweifelsfall kommt es nur zu einer anderen Verteilung, doch der Stau wird nicht weniger. Den jungen Menschen wird weiter keine verlässliche Perspektive geboten. Einen Ausweg kann nur die Politik schaffen. Bis dahin bleibt für Bewerber ohne Spitzenabitur und lange Wartezeit nur das Medizinstudium im EU-Ausland. Hier helfen Agenturen wie Medistart, die Bewerber an Hochschulen vermitteln. Ein Auslandsstudium ist derzeit ohne NC der schnellste Weg zum Wunschstudium, daran wird sich nicht viel ändern.

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Dirk Naumann zu Grünberg
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Dirk Naumann zu Grünberg

Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Dirk Naumann zu Grünberg ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Honorarprofessor am Institut für europäisches und internationales Hochschulrecht der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. Er hat bereits über 12.000 Verfahren im Hochschulrecht betreut, insbesondere Studienplatzklagen und Prüfungsanfechtungen. Zudem ist er Mitherausgeber der Fachpublikation „HRZ – Zeitschrift für Hochschul-, Berufs- und Bildungsrecht“.

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