Wechsel der Arbeitszeit: Löst die Teilzeit die Vollzeit ab?

Work-Life-Balance oder Vereinbarkeit von Familie und Karriere - oft geht das nur mit Teilzeit. 2016 reduzierten bereits 15,3 Millionen Erwerbstätige ihre Arbeitszeit. Geht es uns mit Teilzeit besser?

Schon fünf Prozent Teilzeit vervielfachen die Freizeit

Axel Mengewein
  • Ich arbeite drei Wochen und habe dann eine Woche frei
  • Zu Beginn dieses Modells musste ich mich vom „Teilzeittrojaner“ befreien
  • Wir arbeiten rund 40 Jahre – unsere Arbeit sollte zum Leben passen

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Es kommt mir vor wie ein anderes Leben – ein Leben für den Job. Damals war ich leitender Redakteur in Vollzeit plus Überstunden und ständiger Erreichbarkeit. Die Zeiten, in denen ich nur für den Job gelebt habe, sind jedoch vorbei. Aktuell arbeite ich in meinem „Lieblingsmodell“: drei Wochen Arbeit, eine Woche frei. Das sind zwölf Wochen frei plus rund fünf Wochen Urlaub im Jahr. So entspannt kann Teilzeit aussehen.

Ich saß prompt dem Teilzeit-Trojaner auf

Noch vor einigen Jahren hätte ich mir ein solches Leben mit 17 arbeitsfreien Wochen pro Jahr nicht vorstellen können. Ich war so weit von Teilzeit entfernt, wie es ein aufstrebender Redakteur nur sein kann. Doch dann geschah etwas, das mich aus der Bahn warf. Arbeit, Erfolg, Karriere – das alles war nicht mehr länger wichtig. Ich musste für meine Familie da sein und beschloss, für eine Weile in Teilzeit zu gehen. Einfach war das jedoch nicht. Ich startete ohne jegliche Vorkenntnisse und saß prompt dem „Teilzeittrojaner“ auf: gleiches Arbeitspensum in weniger Zeit und für weniger Geld. Den Umfang der Aufgaben an die Stundenreduzierung anzupassen musste ich erst einmal lernen.

Ich ruhe mehr in mir und bin zufriedener

Heute geht es meiner Familie wieder gut. Die Teilzeit habe ich seitdem freiwillig beibehalten und über die Jahre verschiedene Modelle ausprobiert, wie die „Viertagewoche“, „Zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei“ und „Bildungsteilzeit“. Ich nutze die gewonnene „Teilzeitfreiheit“ und erfülle mir lang ersehnte private Wünsche. Ich bereise die ganze Welt, habe mir den schwarzen Gürtel erkämpft und ein Buch geschrieben – was ursprünglich als Reisetagebuch geplant war, wurde schließlich ein Plädoyer für Teilzeit, für weniger Arbeiten und mehr Leben. Daneben habe ich endlich Zeit für wichtige Dinge wie Liebe, Familie, Freunde, Sport, Hobbys und ehrenamtliche Tätigkeiten. Dank Teilzeit fühle ich mich heute glücklicher und selbstbestimmter. Ich ruhe mehr in mir und bin ein zufriedenerer Mensch. Deshalb kann ich nur jedem raten, Teilzeit einfach mal zu testen.

Die „Teilzeitfalle“ wurde abgeschafft

Insbesondere jetzt, mit der Anfang 2019 neu eingeführten Brückenteilzeit: Noch nie war es so einfach, Teilzeit einfach mal ein bis fünf Jahre zu testen – ohne einen Grund angeben zu müssen. Voraussetzung dafür ist, dass man mindestens sechs Monate bei einem Unternehmen angestellt ist und dieses über mindestens 200 Mitarbeiter verfügt. Diese Voraussetzungen treffen auf rund 22 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland zu. In Betrieben mit 45 bis 200 Mitarbeitern darf je einer von 15 Beschäftigten Teilzeit ausprobieren, also insgesamt zehn Millionen Mitarbeiter. Bei den verbleibenden 15 Millionen Arbeitenden in kleineren Firmen, die von der neuen Regelung nicht profitieren können, gelten aber nach wie vor alle bisherigen Teilzeitvarianten.

Talente werden gefördert, Pendler profitieren

Schon ab fünf Prozent Reduktion greift ein erstaunlicher „Teilzeithebel“. So werden aus fünf rund 25 Prozent mehr Freiheit! Zeit, in der jeder seine eigenen Talente suchen und fördern kann, um sich zum Beispiel nebenbei etwas aufzubauen. Und ab zehn Prozent Teilzeit hat ein Pendler oft schon mehr im Geldbeutel als in Vollzeit. Dieser Hebel greift allein schon deshalb, weil Teilzeitarbeiter meist keine unbezahlten Überstunden erbringen. Teilzeit hat aber auch gewichtige Vorteile, die als schlagende Argumente im Chefgespräch dienen können: Mitarbeiter in Teilzeit sind besser organisiert, produktiver, motivierter und melden sich seltener krank. Das ist ein Gewinn für jedes Unternehmen. Zudem befinden sich Firmen im Kampf um Fachkräfte und Nachwuchstalente. Chefs wissen, wie attraktiv flexible Arbeitszeitmodelle für Berufstätige sind. Ich kenne Mitarbeiter, die gekündigt haben, weil ihnen keine Teilzeit genehmigt wurde. Darauf müssen sich Unternehmen mehr denn je einstellen. Für das Vertrauen in mich war und bin ich meinem Arbeitgeber sehr dankbar.

Vereinbarungen stets dokumentieren

Egal in welchem Unternehmen Sie sich befinden, ob die Brückenteilzeit greift oder nicht: Wenn Sie nicht in der reduzierten Stelle gefangen bleiben wollen, empfehle ich Ihnen, die Teilzeit zu befristen. Zudem sollten Sie alle Vereinbarungen mit Ihrem Vorgesetzten schriftlich dokumentieren. Und sprechen Sie sich nicht nur mit Ihrem direkten Chef ab, sondern auch mit Ihren Teamkollegen. Denn auch wenn Sie bei der neuen Brückenteilzeit keinen Grund mehr für die Arbeitszeitreduzierung angeben müssen, sollten Sie zumindest alle relevanten Themen klären. Dazu gehören die Reduzierung der Aufgaben und die Umverteilung der Funktionen. Ihren Rückkehrtermin zur Vollzeit sollten Sie ebenso kommunizieren wie Ihre Abwesenheiten und Unerreichbarkeiten. Bedenken Sie, dass ab Antragstellung nur drei Monate für die Einarbeitung Ihres Vertreters bleiben.

Über Jahrzehnte hinweg gesund arbeiten

Teilzeit wird hierzulande leider häufig skeptisch beäugt, Teilzeitarbeitende werden Karriereambitionen abgesprochen, obwohl leitende Tätigkeiten erfolgreich durch Jobsharing aufgeteilt werden können. Wir müssen einfach lernen, Teilzeit neu zu denken. Deshalb wünsche ich mir mehr Akzeptanz für den Weg der Teilzeit. Wir sollten unser oft über Jahrzehnte andauerndes Arbeitsleben besser gestalten können. Bis zum Renteneintrittsalter haben wir heute gern 30, 40 und sogar 50 Jahre auf dem Buckel. In manchen Jobs ist das in Vollzeit kaum gesund leistbar.

Mit welchem Teilzeitmodell könnten Sie Ihre Lebensqualität verbessern? Mit der Pendlerteilzeit oder einer Viertagewoche? Vielleicht passt „DiMiDo“ (Dienstag, Mittwoch, Donnerstag) oder die „Zwei Wochen Arbeit, zwei Wochen frei“-Teilzeit zu Ihnen? Darf es ein Sabbatical oder ein Tandemjob sein?

Veröffentlicht:

Axel Mengewein
© Axel Mengewein
Axel Mengewein

Redakteur, Unternehmer und Buchautor in Teilzeit

Der Wirtschaftsinformatiker arbeitet seit 20 Jahren als Redakteur beim ZDF, und das schon lange in Teilzeit. Nebenberuflich ist Axel Mengewein Inhaber einer Internet- und Künstleragentur. Sein journalistischer Werdegang führte ihn zu Zeitungen, Radio, Online und Fernsehen. Seine Erfahrungen mit Teilzeit beschreibt er in seinem Buch „Halbe Arbeit – ganzes Leben. Arbeite so wenig, wie du willst. Das Teilzeit-Manifest“ (Ariston), das zudem rechtliche Grundlagen und 19 verschiedene Teilzeitmodelle aufzeigt.

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