Bildungssystem auf dem Prüfstand: Wie werden wir künftig lernen?

Die Art, wie wir uns bilden, wird sich drastisch verändern. Schon heute fühlt sich jedes zweite XING Mitglied nicht ausreichend gewappnet. Auch in den Schulen gibt es akuten Veränderungsbedarf.

Steffen Haschler
  • Schon Drittklässler benutzen Smartphones – das müssen wir akzeptieren
  • Die Schule darf nicht mehr an starren Strukturen aus alten Zeiten festhalten
  • Unsere Schüler müssen auf die digitalen Entwicklungen vorbereitet werden

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Sind meine Schülerinnen und Schüler auf die Zeit nach der Schule vorbereitet? Die traurige Antwort lautet: nein. Das ist unsere Schuld, nicht ihre. Sie machen ihren Realschulabschluss oder ihr Abitur, und plötzlich sollen sie als mündige Bürgerinnen und Bürger an unserer Gesellschaft teilhaben. Doch Mündigkeit wird nicht mit einem Schulabschluss erworben, sie muss vorher geübt werden. Wo, wenn nicht in der Schule?

Unser Bildungssystem ist jedoch weit davon entfernt, diese Anforderung zu erfüllen. Seit Jahrzehnten werden bis auf kleine Änderungen dieselben Inhalte gelehrt. Das ist alles andere als zeitgemäß.

Schon Drittklässler benutzen heute Smartphones. Statt technologische Geräte aus unseren Schulen zu verbannen, sollten wir die Kinder lehren, mit ihnen und den sozialen Netzwerken umzugehen. Dass sie nicht immer online sein müssen, dass sie mit ihren Daten vorsichtig umgehen und wie sie tatsächliche Fakten von Fake News unterscheiden. An meinem Gymnasium beginnen wir damit bereits in Klasse fünf im verpflichtenden Basiskurs Medienbildung und haben viele Bausteine in allen Klassenstufen.

Coden, Kreativität und Business-Model-Canvas sollten zum Lehrplan gehören

Und so plausibel es klingt, diese Themen zu Unterrichtsinhalten zu machen, sie sind noch immer eine Seltenheit in der hiesigen Schullandschaft. Die Hälfte aller Schulleitungen und des Kollegiums sehen die Nutzung digitaler Medien kritisch – das zeigt der kürzlich erschienene Schulleitungsmonitor. Doch nicht nur die Schulen selbst, auch die Politik steht dem Fortschritt im Weg. Nicht selten verwehren Schulträger und Landesregierungen ihren Schulen eine digitale Infrastruktur mit Internet und Computern oder passen die Lehrkräftefortbildung und -ausbildung nicht richtig an. Wollen Politiker den Nachwuchs auf ein Leben im Morgen vorbereiten, müssen sie genau hier investieren – vor allem in das Personal. Das erfordert Zeit und damit Geld.

Um das ganz klarzumachen: Es reicht nicht, einzelne Unterrichtsfächer ein wenig umzubauen. Was wir brauchen, ist eine umfassende Reform. Unsere Gesellschaft wandelt sich rasant, und es ist falsch zu glauben, dass wir dem mit kleinen Anpassungen in der Schule gerecht werden können. Mir fehlt hier der Mut auf allen Seiten, inklusive der Mut, Fehler zu machen. Bei mir im Ländle war die digitale Lernplattform ella@BW, die es Lehrern ermöglichte, sich über eine Cloud auszutauschen, zwar ein Steuergelddesaster, aber wenn es dadurch voran geht, sei’s drum. Im Alten zu verharren ist viel teurer.

Der Umgang mit digitalen Medien, also der Medienschutz und wie man digitale Produkte erstellt, ist nur ein Teilaspekt. Kinder müssen schon frühzeitig mit Programmiersprachen in Berührung kommen. Es geht nicht darum, sie zu Programmierexpertinnen und -experten zu machen, aber sie müssen die Chance haben, sich dafür zu begeistern. Ebenso sollten Kreativität und Unternehmertum gefördert werden. Zusammen mit unserem Elternnetzwerk ermöglichen wir es Kindern in der dritten Klasse anhand des Business-Modell-Canvas, sich kreative Geschäftsmodelle auszudenken. In der Oberstufe können die Jugendlichen in einem internationalen Netzwerk mit digitalen Tools an realen Projekten arbeiten und erhalten Mentoring.

Das ist keine Rocketscience – also nicht unmöglich zu verstehen. Bei den Jüngsten veranschaulichen wir die Methodik anhand von Beispielen. „Wie könnte man mit einer Herde Schafe Geld verdienen?“ – schon dabei entstehen tolle Ideen. Die Kinder wollten mit Wolle, Milch, einem „Rasenmäherverleih“ und auch mit den Schafen als Werbetafeln wirtschaften. Ihre Wolle lässt sich ja ganz hervorragend ansprühen. Nicht nur dass die Kinder bei dieser Aufgabe kreativ sein können, sie lernen auch, den Mut zu haben, ihre eigenen Ideen auszudrücken und umzusetzen. In unserer heutigen Welt wird das immer wichtiger.

Wir sollten nicht immer mehr Wissen, sondern mehr Werte vermitteln

Das Problem ist aber auch: Wir Lehrer haben für solche zusätzlichen Unterrichtseinheiten viel zu selten Zeit. Geraubt wird sie von veralteten und einem Zuviel an Inhalten. Statt immer mehr Fächern und neuen Inhalten müsste es im Gegenteil wenige Kernfächer geben, in denen alles für uns Wesentliche unterrichtet wird. Und dazu gehört nicht, nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Werte. In einem Unterrichtsfach wie Ethik könnte so über die Gefahren und Chancen von künstlicher Intelligenz und Automatisierung diskutiert werden. Denn am Ende steht der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Transformation. Es gibt keine App, mit der wir die sogenannten Soft Skills installieren könnten. Das Zwischenmenschliche braucht Zeit.

Im „Chaos macht Schule“-Bildungsprojekt sprechen wir hier von der „digitalen Mündigkeit“. Darunter verstehen wir, dass Schülerinnen und Schüler die Auswirkungen technologischer Entwicklungen für ihren Alltag abschätzen können und in der Lage sind, sie für sich und die Gesellschaft zu nutzen. Dazu gehört auch das kritische Hinterfragen von Autoritäten und nicht gleich alles zu glauben, was im Internet steht oder was wir ihnen erzählen - auch wenn wir es gut meinen.


15 Jahre XING

Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?

Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.

Die 15 Trends lassen wir seit dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.

  • In der Woche ab dem 5. November drehte sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.

  • Ab dem 12. November diskutierten wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.

  • Ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.

Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!

Veröffentlicht:

Steffen Haschler
© Steffen Haschler
Steffen Haschler

Lehrer, Englisches Institut Heidelberg

Der Physiker und Mathematiker (Jg. 1980) wäre zu Beginn seines Studiums nie auf die Idee gekommen, Lehrer zu werden. Gemeinsam mit seinen Schülern entdeckt Steffen Haschler heute im überholten Bildungssystem die Welt. Dabei greift er gern auf Hackathons und fächerübergreifende Projekte zurück. In seiner Freizeit engagiert er sich zudem in mehreren ehrenamtlichen Projekten – unter anderem „Jugend hackt“ und „Chaos macht Schule“. Sein Ziel dabei: Die digitale Mündigkeit von Schülerinnen und Schülern stärken.

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