Digitalisierung im Mittelstand: Viel zu schleppend oder angemessen?

Während große Player schon längst auf Wandel setzen, tut sich der Mittelstand schwer. Doch wie lang können KMUs noch so weitermachen? Braucht es jetzt eine 180-Grad-Wende oder reichen kleine Schritte?

Warum es auch ausreicht, „nur“ Produkte zu digitalisieren

Dr. Myriam Jahn
  • Der Mittelstand digitalisiert zögerlich – auf dem Papier
  • Eine 180-Grad-Wendung, wie viele sie fordern, ist jedoch der falsche Weg
  • Softwarekonzerne unterstützen den Mittelstand nur unzureichend

8.365 Reaktionen

Wäre es nicht wunderbar, wenn hiesige Unternehmen hoch engagiert in die digitale Zukunft aufbrechen würden? Dieser Wunsch ist nicht ganz neu, das bisherige Ergebnis überschaubar. Als Geschäftsführerin eines Mittelständlers stelle ich fest: Während Konzerne vermeintlich ständig am digitalen Puls der Zeit sind, scheint es dagegen für den Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, nicht voranzugehen. Statt nur zu wünschen, müssen wir uns fragen: Woran liegt es, dass die Digitalisierung so lange dauert?

Aus meiner Erfahrung gibt es dafür zwei mögliche Gründe:

Problem I: die Motivation

„Ihr müsst euch ändern. Ihr müsst […] Ihr müsst […] Wirkung zeigt dies bislang kaum. Warum auch? Denn wie wirken diese Appelle anders als angsteinflößend, verunsichernd und kränkend?“, fragt schon Christoph Keese im Vorwort des Buchs „Digital Human“. In der Tat, warum sollte jemand, der Digitalisierung nur als Schlagwort kennt, sich darauf freuen? Und warum sollte der mittelständische Geschäftsführer mit dem für ihn existenziellen Risiko zum digitalen Pionier werden wollen, wenn das bisherige Geschäftsmodell seine Nachhaltigkeit bewiesen hat und lukrativ ist? „Never change a running system“ sollte doch auch hier gelten.

So gilt allen Warnungen zum Trotz: Noch wird die Notwendigkeit des Wandels zum Beispiel im mittelständischen Maschinenbau kaum realisiert. Denn Deutschlands Mittelstand geht es im Hier und Jetzt vielfach einfach zu gut, um Leidensdruck zu empfinden. Handeln werden die Unternehmen erst, wenn die Geschäftszahlen sie dazu zwingen. Oder sobald sie konkrete Chancen sehen – doch noch zeigen die Evangelisten der digitalen Disruption keine mittelständischen Erfolgsgeschichten auf. „As-a-Service-Modelle“ im Maschinenbau, die als „Betreibermodelle“ schon seit den 90er-Jahren propagiert werden, sind noch immer genauso rar wie die vollständige Digitalisierung der mittelständischen Fertigung.

Problem II: die Fähigkeiten

In manchen Fällen ist es aber gar nicht der Wille, der fehlt, sondern es sind die unzureichenden Voraussetzungen wie zu geringe Investitionsmöglichkeiten. Und selbst wenn das nötige Kleingeld vorhanden ist, so mangelt es manchmal an der IT-Basis und dem dazugehörigen Know-how in der Organisation. Dass solche Unternehmen sofort große Sprünge in Richtung Digitalisierung machen, ist eher unwahrscheinlich. So manches veraltete ERP-System zur Planung von Geschäftsprozessen kann zum Verhinderer eines echten, konsequenten Wandels werden.

Lösung I: die Chancen einer Produkt- statt Prozessdigitalisierung

Warnungen vor der Disruption versteht Deutschlands Mittelstand bislang als arrogante Kränkung, doch die Betonung von Chancen wirkt möglicherweise motivationssteigernd. Denn gerade jetzt, in der zweiten Phase der Digitalisierung, haben Mittelständler wie wir sehr gute Startvoraussetzungen – insbesondere im B2B-Bereich. Es geht darum, Investitionsgüter wie Maschinen und Fahrzeuge zu digitalisieren. Die Prozessdigitalisierung in der Produktion ist oft nur die Folge. Der Vorteil ist: Die Investitionen halten sich in Grenzen und können Schritt für Schritt mit jedem Produkt erfolgen, das erfolgreich in die Cloud funkt. Und wenn die interne IT-Basis nicht da ist, kann man die Produkte und deren Fertigung ebenso schrittweise in neu einzuführende IT-Systeme einbinden. Welche dieser IT-Systeme aber sind wirklich mittelstandstauglich?

Das bleibt die Kernfrage: Spielen die internationalen Riesen der IT-Welt tatsächlich mit den mittelständischen Investitionsgüterherstellern zusammen, statt sich mit einem „Gebt uns die Daten, wir kümmern uns darum“ über den „naiven deutschen Mittelstand“ zu amüsieren oder die wenigen verspielten „Use-Cases“ zu industrietauglichen Massenprodukten zu erklären? Denn Digitalisierung funktioniert nur dann, wenn sich die Welt des Mittelstands mit realen Produkten und realer Produktion der modernen IT-Welt annähert – und umgekehrt.

Lösung II: ein schrittweises Vorankommen

Auch wenn die Mittel für die ganz große Vision noch nicht vorhanden sind – darauf zu warten und bis dahin nichts zu tun, ist der falsche Weg. Einen kompletten Umbau hin zu einem voll digitalisierten Unternehmen benötigt man nur in den seltensten Fällen. Ein realistischer Schritt nach dem nächsten, ein digitalisiertes Produkt nach dem anderen – auch so lassen sich relativ schnell positive Effekte erzielen. Denn gerade im Internet der Dinge können Unternehmen ihre Produkte und Services wie auch die nachgelagerten Prozesse relativ schnell optimieren, um die Bedürfnisse der Kunden oder die Effektivität und Effizienz der Prozesse zu verbessern.

Zwar passen sich die Prozesse auf diese Weise erst einmal nur langsam an, aber: Genau dieses bedachte und schrittweise Handeln der Hidden Champions wird dem Mittelstand zugutekommen, nicht effektheischende Start-up-Träume.


Diskutieren Sie mit: Sind Sie selbst im Mittelstand tätig? Welche Erfahrungen machen Sie? Ist eine Digitalisierung nötig? Woran hapert es?

Veröffentlicht:

Dr. Myriam Jahn
© Q-loud
Dr. Myriam Jahn

CEO, Q-loud

Seit Oktober 2018 leitet die promovierte Betriebswirtin und studierte Elektrotechnikerin als CEO die Q-loud GmbH, eine auf das Internet of Things (IoT) spezialisierte Tochterfirma von QSC. Seit Mai 2019 ist Myriam Jahn auch in der Geschäftsleitung des Mutterunternehmens QSC. Zuvor entwickelte und vertrieb sie als Vorstand Vertrieb bei der TiSC AG IT-Lösungen für Industrie 4.0, IoT und Automatisierungstechnik. In den 15 Jahren davor baute sie den IoT-Bereich der IFM-Unternehmensgruppe auf.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren