Jahresrückblick 2018: Was hat unsere Gesellschaft bewegt?

Die #MeToo-Debatte geht in die nächste Runde, Unternehmer setzen sich für geflüchteten Mitarbeiter ein und der Populismus nimmt an Stärke zu - gesellschaftlich stand 2018 im Zeichen des Diskurses.

Warum ich mich 2018 für ein Bleiberecht stark gemacht habe

Dr. Antje von Dewitz

Geschäftsführerin, Vaude

Dr. Antje von Dewitz
  • Kein Thema wurde dieses Jahr so hitzig debattiert wie die Integration
  • Bei uns arbeiten zwölf Geflüchtete – und unsere Erfahrungen sind positiv
  • Wir brauchen sie dringend, müssen aber ständig um sie bangen

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In diesem Jahr wurde die Debatte über die Integration von Geflüchteten von Problemfällen überschattet und fand in einer emotional sehr aufgeheizten Atmosphäre statt. Über funktionierende Integration, Solidarität und Gemeinschaft sprach dagegen kaum jemand – obwohl sich viele Unternehmer stark und meiner Meinung nach auch erfolgreich – engagiert haben. Auch wir beschäftigen bei uns in Tettnang im Bodenseekreis zwölf Geflüchtete.

Das war zunächst mit einem hohen Aufwand verbunden. Denn die Integration in den Arbeitsmarkt ist kein Spaziergang. Es kostet viel Zeit und Engagement, geflüchtete Mitarbeiter in einen für sie oft völlig fremden Arbeitsalltag einzuarbeiten. Doch es lohnt sich.

Ja, es lohnt sich

Trotz der Herausforderungen sind viele Unternehmen in ganz Deutschland auch in diesem Jahr dem politischen Appell von 2015 gefolgt, sich der geflüchteten Menschen anzunehmen. Einerseits weil sie zur gelingenden Integration beitragen und einer sozialen Spaltung innerhalb Deutschlands entgegenwirken möchten. Zum anderen weil wir einen gravierenden Arbeitskräftemangel haben, nicht nur bei uns im Südwesten, sondern auch in anderen Regionen, beispielsweise in Sachsen oder Sachsen-Anhalt, wo sich ähnliche Initiativen gebildet haben. Dies führt dazu, dass immer mehr Produktionen ins Ausland verlagert werden, Handwerksbetriebe schließen oder Gaststätten nur noch abends öffnen. Überall fehlt es an Arbeitskräften, die wir dringend brauchen, um unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand zu sichern. Auch in unserer Produktionsstätte in Deutschland fehlen uns wichtige Arbeitskräfte – und so sind auch wir dem Appell gefolgt.

Häufig werde ich gefragt, ob sich der ganze Aufwand lohnt. Meine Antwort lautet eindeutig: Ja, es lohnt sich. Integration ist anstrengend, aber sie bietet auch einen Mehrwert für alle Beteiligten – das zeigt sich bei uns deutlich, und darauf bin ich stolz. Die Geflüchteten in unserem Unternehmen haben sich zu vollwertigen, hoch engagierten und motivierten Mitarbeitern und vor allem auch zu wertgeschätzten Kollegen im Team entwickelt.

2015 fingen wir mit Workshops an, in denen sich die Geflüchteten über wichtige Fragen informieren konnten. Wie man sich bewirbt, wie unser Arbeitsalltag aussieht und wie wichtig es ist, die deutsche Sprache zu lernen. Die Menschen sollten einen praxisnahen Einblick in unsere Arbeitswelt erhalten. Das Interesse war sehr groß, auch konkret an Arbeitsplätzen. So beschlossen wir, Praktikumsplätze mit der Perspektive auf Festeinstellung für Geflüchtete in unserer Manufaktur anzubieten. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht und mehrere neue Mitarbeiter eingestellt. In diesem Bereich, der Produktion, finden wir generell schwer Arbeitskräfte. Zudem haben wir 2017 ein neues und größeres Manufakturgebäude eingeweiht und unsere Produktion ausgeweitet. Dadurch hatten wir zusätzlichen Bedarf an Arbeitskräften.

Wir helfen bei Behördengängen und bei der Wohnungssuche

Die Einarbeitung unserer geflüchteten Kollegen war nicht immer einfach. In Summe haben wir aber gute Erfahrungen gemacht – auch in diesem Jahr. Dazu haben alle ihren Beitrag geleistet. Die Kollegen, die unsere Geflüchteten mit viel Engagement unterstützt haben, sowohl direkt am Arbeitsplatz als auch bei Behördengängen, der Wohnungssuche und vielem mehr. Wir als Geschäftsleitung haben unsere Haltung immer transparent dargestellt und gezeigt, dass wir hinter den Geflüchteten stehen. Vor allem aber haben unsere Geflüchteten selbst dazu beigetragen, indem sie sich mit großem Engagement toll eingearbeitet haben und wertvolle Teammitglieder wurden. Sie berichten zum Teil sehr offen von ihrer eigenen Geschichte, auch in unserem Intranet. Das ist mutig und hilft dabei, sie zu verstehen.

Heute ist jeder von ihnen eine Bereicherung für das Unternehmen und bei uns nicht mehr wegzudenken. Selbstverständlich erhalten unsere geflüchteten Mitarbeiter den gleichen Lohn wie die deutschen Kollegen, denn es geht uns bei unserem Engagement nicht um das Einstellen unterbezahlter Arbeitskräfte. Statt Leistungen vom Staat zu beanspruchen, sind Geflüchtete in Arbeit in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Sie zahlen Steuern und Sozialabgaben und tragen dazu bei, dass Produkte in Deutschland produziert und wertvolle Dienstleistungen erbracht werden können.

Müssen unsere geflüchteten Mitarbeiter gehen, kostet uns das 250.000 Euro

Doch immer mehr Geflüchtete in Arbeit sind davon bedroht, ihre Arbeitserlaubnis zu verlieren oder sogar abgeschoben zu werden. Auch wir mussten dieses Jahr bei sieben Mitarbeitern immer wieder zittern. Wenn sie tatsächlich alle gehen müssen, rechnen wir in unserem Unternehmen mit einem Produktions- und Umsatzausfall von 250.000 Euro. Damit sind wir bei Weitem kein Einzelfall. Zahlreiche Unternehmen aus ganz Deutschland berichten von den teilweise sogar existenziellen Bedrohungen durch den Verlust von Mitarbeitenden. Bei XING Klartext schrieb zum Beispiel auch der Brauereibesitzer Gottfried Härle von der lebensbedrohlichen Situation für sein Unternehmen.

Weil wir nicht darauf warten wollten, bis uns unsere Arbeitnehmer genommen werden, beschlossen wir Anfang 2017 zu kämpfen. Wir, das sind inzwischen mehr als 150 große und kleine Unternehmen sowie Verbände aus Baden-Württemberg und Bayern – dazu zählen der Energieversorger EnBW, der Weltmarktführer Würth, das Textilunternehmen Trigema, Hoteliers, Brauereibesitzer, Pflegeeinrichtungen, Handwerksbetriebe und viele mehr. Wir setzen uns aktiv für unsere geflüchteten Mitarbeiter ein. So wandten wir uns an unseren baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU), mit dem wir im April ein erstes Treffen hatten und seitdem im Gespräch sind. Auch mit unserem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Sozialminister Manne Lucha tauschen wir uns regelmäßig aus.

Wir engagieren uns auch im kommenden Jahr für das Bleiberecht

Statt eine von Ängsten geleitete Politik, die zur Erstarrung führt, brauchen wir eine konstruktive politische Gestaltung, die auf den Chancen aufbaut und Lösungen entwickelt. Nicht nur dass wir Unternehmer eine Planungssicherheit inklusive einer Bleibeperspektive für unsere Angestellten brauchen, wir benötigen auch endlich ein Einwanderungsgesetz, das neben hochqualifizierten Fachkräften den Bedarf an anzulernenden und auszubildenden Arbeitskräften berücksichtigt.

Wir möchten unsere Praxiserfahrung in die Politik einbringen und dazu beitragen, dass die gesetzlichen Grundlagen der Zuwanderung, die derzeit von der Bundesregierung ausgearbeitet werden, tatsächlich praktikabel sind und den Anforderungen der Realität entsprechen.

Wir sind bereit, uns auch im kommenden Jahr weiter zu engagieren. Für unsere geflüchteten Mitarbeiter, die wir als Kollegen und Menschen nicht verlieren möchten. Dafür, dass sie eine sichere Perspektive erhalten und wir nicht mehr um sie bangen müssen. Und dafür, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, dem Fachkräftemangel in Deutschland wirksam entgegenzutreten.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Haben auch Sie sich dieses Jahr für die Integration eingesetzt? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!

Veröffentlicht:

Dr. Antje von Dewitz
© Vaude
Dr. Antje von Dewitz

Geschäftsführerin, Vaude

Die Wirtschafts- und Kulturwirtin (Jg. 1972) übernahm vor zehn Jahren die Firma ihres Vaters, den Outdoor-Ausstatter Vaude in Tettnang im Bodenseekreis. Seitdem ist das Unternehmen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. 2010 führte sie zum Beispiel das „Green Shape“-Label ein. Es kennzeichnet umweltfreundliche Produkte aus nachhaltigen Materialien und fairer Herstellung. Seit 2015 setzt sie sich zudem für das Bleiberecht von Geflüchteten ein und gründete hierfür gemeinsam mit weiteren Unternehmern eine Initiative.

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