Ich habe mehr als zwölf Jahre als Personalleiter und Vorstand verschiedener Kliniken gearbeitet. Ein Thema, das mich dabei immer wieder beschäftigt hat, war: Wie kann ich einerseits in der Personalplanung maximal flexibel agieren, dabei aber die hohen Kosten für die Zeitarbeit senken? So war ich 2009 auch der Erste, der ein Zeitarbeitsunternehmen konzipierte, das auf die Überlassung von Ärzten spezialisiert ist. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter – und wollen eine neue Form des Arbeitens auch in Deutschland etablieren, das Gig-Working.
Die Personalsituation im Gesundheitsbereich ist eine Besondere: Der allgemeine Fachkräftemangel ist hier schon gegenwärtig. Zudem entscheiden sich immer mehr Ärzte und Pflegekräfte bewusst gegen eine Festanstellung und reißen so zusätzliche Lücken, die es zu füllen gilt. Die Gründe sind vielfältig. Viele Ärzte kapitulieren vor dem Dokumentations- und Zusatzaufwand, den eine Festanstellung mit sich bringt. Hier ein Termin, um die Klinik zu repräsentieren, da einen Fachaufsatz für den Chefarzt schreiben. Gerade die jüngeren Ärzte möchten lieber stärker „am Menschen arbeiten“ – und suchen nach flexibleren Jobmodellen. Die Pflegekräfte wiederum möchten Arbeit und Leben besser in Einklang bringen. Als festes Teammitglied neigt man eher dazu, den Urlaub dann doch wieder abzusagen, wenn Personalnot herrscht. Das Kalkül: Wer zeitlich befristet angestellt ist, kann Job und Freizeit besser trennen.
In den USA setzen Gig-Work-Plattformen schon mehr als eine Milliarde Euro um
Mit unserem Start-up, einer Art Airbnb für Jobs, wollen wir Angebot und Nachfrage zusammenbringen. Bei der Zeitarbeit sind die Arbeitnehmer bei den Vermittlern angestellt und werden quasi an die Unternehmen entliehen. Unser Ansatz: Die Menschen sollen – befristet – da angestellt sein, wo sie auch tatsächlich arbeiten. Wir wollen eine Plattform sein, auf der die Bewerber komplett frei entscheiden können, für wen sie wann, wo und wie lange arbeiten. Die Arbeitgeber wiederum bieten ihnen, weil sie flexibler sind als klassisch Angestellte, eine Prämie auf den Lohn. Das können die Unternehmen, weil die Vermittlung über Gig-Working billiger ist als bei herkömmlichen Zeitarbeitsfirmen. Wir haben niemanden auf der Payroll und müssen daher auch diese Dispositionskosten nicht weitergeben. Aktuell sind wir in der Betaphase; zum Jahreswechsel soll es losgehen. Wir starten im Gesundheitsbereich und sprechen zunächst Ärzte und Pflegekräfte an. In unserem MVP, dem „minimal funktionsfähigen Produkt“, sucht zum Beispiel eine Klinik für fünf Monate Assistenten für den OP oder Krankenpfleger. Aber auch eine Kanzlei bis Ende des Jahres einen Anwalt oder eine Anwältin für DSGVO-Fragen. Genaue Zahlen, wo wir in fünf Jahren stehen werden, kann ich aktuell nicht nennen. Zur Orientierung: Ähnliche Plattformen gibt es bereits im angloamerikanischen Raum. Die Firma Upwork generiert über die Vermittlung von Freelancern in den USA einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro. Und in Großbritannien arbeiten schon jetzt über eine Million Menschen ausschließlich via Gig-Jobs.
Die Diskussionen mit den Sachbearbeitern in den HR-Abteilungen waren zäh
In Deutschland gibt es eine Besonderheit. Gig-Work, wie wir es jetzt in Deutschland ausrollen, unterscheidet sich von den vorgenannten Beispielen dadurch, dass wir eben keine Freelancer, sondern ausschließlich befristete Anstellungsverhältnisse vermitteln – auch um das Risiko der Scheinselbstständigkeit auszuschließen. Die Chefs und Geschäftsführer hatten wir schnell überzeugt; langwieriger waren die Diskussionen mit den Sachbearbeitern in den Personalabteilungen. Für jede Vakanz jemanden anzustellen erschien ihnen administrativ aufwendig. Also suchte ich einen Partner, um die Unternehmen bei der Durchführung der Gehaltsabrechnung zu entlasten.
Auch die Gewerkschaften kritisierten uns zu Beginn. Wir würden prekären Anstellungen Vorschub leisten. Inzwischen begrüßen sie aber die Stärkung der Direktanstellung. Wir werden zudem eine Arbeitsrechtshotline für die Bewerber anbieten. Juristen prüfen, welche Befristungsgründe ein Unternehmen angibt. So wollen wir sicherstellen, dass es nicht zu unwirksamen Befristungen bei wiederholter Beschäftigung kommt. Zu Beginn nehmen wir von den Unternehmen Geld für die Stellenanzeigen. Wenn sich die Plattform etabliert hat, wollen wir künftig zehn Prozent Prämie bei erfolgreicher Vermittlung nehmen.
Es klingt etwas pathetisch, aber ich glaube, dass Gig-Working als neue Form des Arbeitens Teil des digitalen Betriebssystems einer Gesellschaft werden wird, die ihre Abhängigkeit von der Erwerbstätigkeit in Nibelungentreue hinter sich lässt.
Vor 15 Jahren gab es weder soziale Medien noch Smartphones, agiles Arbeiten war hierzulande unbekannt. Unvorstellbar, was in den kommenden 15 Jahre alles Neues entstehen und wie sich unsere Arbeitswelt entwickeln wird! In welchen Berufen werden wir künftig überhaupt arbeiten – und wie? Wie verändert die künstliche Intelligenz den Recruiting-Prozess? Wird die Arbeitswelt von morgen gerechter sein – oder tiefer gespalten?
Zusammen mit dem Zukunftsforscher und Gründer des Trendbüros, Professor Peter Wippermann, hat XING 15 Trends untersucht, die Arbeitnehmer und Unternehmen betreffen und die Gesellschaft verändern werden. Unsere Prognosen basieren auf der wissenschaftlichen Expertise des Trendbüros, einer repräsentativen Umfrage unter den XING Mitgliedern und E-Recruiting-Kunden sowie aus unserer Erfahrung als Vorreiter beim Thema New Work.
Die 15 Trends lassen wir ab dem 5. November täglich auf XING diskutieren – hier auf XING Klartext, von unseren XING Insidern und im XING Talk. Alle Beiträge finden Sie gesammelt auf einer News-Seite.
- In der Woche ab dem 5. November dreht sich alles darum, was sich für den einzelnen Arbeitnehmer ändert.
- Ab dem 12. November diskutieren wir eine Woche lang die Folgen des Wandels für Unternehmen.
- Eine Woche später, ab dem 19. November, thematisieren wir, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.
Bei Fragen, Feedback und Ideen erreichen Sie die Redaktion von XING News unter klartext@xing.com. Wir freuen uns auf spannende und hitzige Diskussionen!
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