Die Grundrente kommt: Ist sie sozial gerecht?

Der Bundestag hat die Grundrente abgesegnet. Profitieren sollen Geringverdiener mit mindestens 33 Beitragsjahren. Das kommt vor allem vielen Frauen zugute. Doch es gibt auch Kritik.

Was es heißt, ein Grundrenten-Grenzfall zu sein

Inge Grohs

Rentnerin

Inge Grohs
  • Ich habe mich gefreut, als es hieß, dass die Grundrente endlich kommen soll
  • Mit 45 Jahren eher niedriger Rentenbeiträge gehöre ich zur Zielgruppe
  • Doch egal, wie man es dreht und wendet: Ich werde nicht davon profitieren

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Die Grundrente kommt. Und ich ärgere mich. Seit ich 15 Jahre alt war, habe ich Rentenbeiträge bezahlt. Sie waren nicht hoch, aber ich habe 45 Jahre lang immer eingezahlt. Eigentlich bin ich also genau die Zielgruppe, die unser Arbeitsminister Hubertus Heil im Blick hatte, als er sagte, dass Rentner mit vielen Beitragsjahren mehr bekommen sollen als die Grundsicherung. Dachte ich. Aber so einfach ist es nicht, und ich bin leider das perfekte Beispiel dafür, warum.

Meine Ausbildung als Rechtsanwaltsgehilfin habe ich mit 15 Jahren begonnen und drei Jahre später abgeschlossen. Bald darauf bin ich bei der Münchner Messe gelandet und habe dort in der Gastronomie gearbeitet. Meine Heirat verschlug mich nach Hamburg, wo ich in einem gehobenen Restaurantbetrieb anfing. Es gab nie übermäßig viel Geld, aber es war aufregend und machte Spaß. Ich besuchte Fortbildungen, wir bedienten auf großen Veranstaltungen, und hin und wieder durfte ich mich um prominente Schauspieler wie Manfred Krug oder Evelyn Hamann kümmern.

Auch nach meiner Trennung und der Rückkehr nach München konnte ich im selben Unternehmen bleiben, weil die Kette auch dort Restaurants hatte. Hin und wieder bediente ich Spieler vom FC Bayern München. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Gerd Müller. Es war ein einfaches Leben, aber ich war glücklich und zufrieden. Das alles änderte sich, als ich mit 60 Jahren so krank wurde, dass ich nicht mehr regulär weiterarbeiten konnte. Zum Glück hatte ich schon 45 Beitragsjahre zur Rente voll. Doch weder meine lange Beitragszeit noch die Grundrente können mir wirklich helfen. Denn ich bin ein Grenzfall, gleich in doppelter Hinsicht. Hier sind die Punkte, an denen die Grundrente ungerecht ist – und für die ich ein Beispiel bin.

Ich wohne am falschen Ort

Ich wohne in München-Laim. Ich bin in der Stadt aufgewachsen und nach meiner Zeit in Hamburg vor knapp 20 Jahren wieder hierher gezogen. Für meine Wohnung mit zwei Zimmern zahle ich inklusive Strom etwa 700 Euro im Monat. Das ist relativ teuer, aber ich bin froh, dass es nicht noch viel mehr ist. In der Wohnanlage nebenan zahlen neue Mieter für vergleichbar viel Platz fast das Doppelte.

Wenn ich sehr weit aus der Stadt hinausziehen würde, in eine deutlich kleinere Wohnung, könnte ich vielleicht 200 oder 300 Euro sparen, maximal. Aber dort wäre ich allein. Längere Fahrten sind sehr anstrengend für mich. Ich habe hier mein soziales Netz – draußen, weit entfernt von der Innenstadt, hätte ich niemanden.

Meine reguläre Rente beträgt nach Abzügen etwa 850 Euro. Es kann sich also jeder ausrechnen, dass das nicht zum Leben reicht. Deshalb habe ich vor einigen Jahren Grundsicherung beantragen müssen. Das war mir sehr unangenehm. Ich habe in meinem Leben nie nach Almosen gefragt, doch dort fühlte ich mich wie eine Bittstellerin. Mithilfe der Beratung bei der Seniorenhilfe Lichtblick wagte ich trotzdem den Schritt und fragte nach Unterstützung, schließlich bekam ich etwa 300 Euro im Monat. Mit der nun geplanten Grundrente könnte ich, so sagte man mir, mit maximal 200 Euro extra rechnen, abzüglich der Abgaben. Aus der Grundsicherung hätte sie mich also nicht befreit.

Ich besitze zu wenig

Der zweite Grund, warum ich nicht profitieren werde: Ich besitze zu wenig. Vor etwa einem Jahr bekam ich die Nachricht, dass mir eine Witwenrente zustünde, weil ich mich zwar von meinem Mann getrennt hatte, wir uns aber nie haben scheiden lassen. Das war zunächst eine große Erleichterung. Ich bekam nun keine Grundsicherung mehr, hatte aber trotzdem etwas mehr als zuvor. Die Witwenrente reicht nicht, um allein davon die Miete zu bezahlen, aber doch einen guten Teil davon.

Und hier zeigt sich die zweite Ungerechtigkeit der Grundrente: Weil ich von meinem Exmann die Rentenansprüche geerbt habe, habe ich kein Anrecht mehr auf die Grundrente. Hätte ich von ihm ein Haus oder eine Wohnung geerbt und würde selbst dort leben, würden meine Ansprüche nicht verfallen.

Ich kann verstehen, wenn mir gesagt wird, dass ich durch die Witwenrente nun mehr zur Verfügung habe und die Grundrente nicht brauche – auch wenn ich immer noch jeden Euro umdrehen muss und mir bei jedem Kaffee und jedem Besuch im Biergarten überlegen muss, ob ich ihn mir leisten kann. Aber ich kann nicht verstehen, wieso ich schlechter gestellt werden soll als jemand, der in einer eigenen Immobilie lebt.

Entweder die Grundrente ist etwas, das ich mir erarbeitet habe – oder sie ist eine Zuwendung vom Staat für Bedürftige. Im ersten Fall sollte es egal sein, ob ich eine Witwenrente beziehe. Meine Rentenbeiträge habe ich schließlich unabhängig von der Arbeit meines Exmannes bezahlt. Im zweiten Fall müssten wirklich alle ausgeschlossen werden, die das Geld nicht unbedingt brauchen – auch wenn es deshalb ist, weil sie mietfrei wohnen.

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Inge Grohs
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Inge Grohs

Rentnerin

Inge Grohs lebt als Rentnerin in München. Sie hat 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt, zunächst als Rechtsanwaltsgehilfin, später als Servicekraft in der Gastronomie. Trotz ihrer niedrigen Rentenansprüche wird sie voraussichtlich nicht von der geplanten Grundrente profitieren.

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