30 Jahre Mauerfall: Welche Geschichten schrieb die Wende?

Der Mauerfall vor 30 Jahren leitete eine riesige politische Wende ein. Gleichzeitig beeinflusste er aber auch Millionen Lebenläufe. Wie formte dieser eine Tag ganze Karrieren?

Was meine Karriere mit der Wende zu tun hatte

René Adler
  • Ich war gerade einmal vier Jahre alt, als die Mauer fiel
  • Trotzdem profitierte ich noch von den alten Sportförderstrukturen in Leipzig
  • Später hatte ich dann die Freiheit, dorthin zu gehen, wo ich am meisten lerne

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Ich würde mich nicht als typisches Wendekind bezeichnen. Dafür war ich einfach noch zu jung, als die Mauer fiel. Ich kann aber sagen: Ich habe definitiv davon profitiert, dass ich als Schüler die Sportförderung in Leipzig erfahren habe – und später davon, dass ich dorthin gehen konnte, wo ich das beste Training bekam. Beides hat mich geprägt, als Sportler und als Mensch.

Inzwischen freue ich mich als Fußballer vor allem über meine alte Heimatstadt Leipzig. Dort merkt man heute noch, dass junge Sportlerinnen und Sportler schon früh gefördert werden. Lange war es aber schwierig, nach der Schule in der Region zu bleiben, wenn man Spitzenfußball spielen wollte. Heute gibt es wieder einen Fußballverein mit professionellen Strukturen. Profispieler und Fans finden dort wieder erstklassigen Fußball. Das strahlt ab auf die gesamte Region.

Als die Mauer fiel, war ich gerade einmal vier Jahre alt. An die Zeit davor kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Ich hatte eine Großtante in Saarbrücken, die tatsächlich ab und an ein Paket schickte mit Spielzeug und Süßigkeiten. Das ist dem Kind, das ich damals war, in Erinnerung geblieben.

Die Verflechtung zwischen Schule und Sport war einzigartig

Viel mehr geprägt hat mich aber meine Schulzeit. Da habe ich noch sehr profitiert von den ehemaligen DDR-Strukturen. Ich war auf einem Sportgymnasium, das immer noch ähnlich funktionierte wie die früheren Kinder- und Jugendsportschulen in der DDR. Man kann ja vieles schlechtheißen, was damals passiert ist. Aber die Förderung von jungen Talenten, die Verflechtung von Schule und Sport – die war schon einzigartig. Die Sportförderung war nicht möglich trotz des Stundenplans, sie war Teil davon. Meine Klassenkameraden waren meine Mitspieler. Alles war ausgelegt auf Sport.

Neben dem Fußball hatten wir noch ganz normalen Sportunterricht – Schwimmen, Turnen, Leichtathletik. Der Aufwand war enorm, teilweise war ich schon um 7 Uhr in der Schule, um 17 Uhr ging es dann nochmal zum Training, der Abend war reserviert für Lernen und Hausaufgaben. Nicht selten ging mein Tag von 7 bis 22 Uhr. Aber das war normal, wir waren alle auf Sport gepolt. Meine Schulfreunde waren auch meine Mannschaft. Viele dieser Freundschaften bestehen heute noch.

Mit 15 Jahren zog ich dann nach Leverkusen. Leipzig konnte sich keinen eigenen Torwarttrainer leisten, es war eine rein sportliche Entscheidung. Ich habe also nie in einem Ostdeutschen Verein in der Herrenmannschaft gespielt. Deshalb käme ich auch nie auf die Idee, hier etwas von unterschiedlichem Teamgeist oder einer anderen Grundeinstellung zu erzählen – ich bin nicht der Richtige, um das zu vergleichen.

Erst wird geliefert, dann Forderungen gestellt

Was mir aber selbst heute noch auffällt, wenn ich mit meinen Eltern oder mit Menschen ihrer Generation in Ostdeutschland spreche: Hier wird häufig erst einmal etwas tiefer gestapelt. Das finde ich eine angenehme Grundeinstellung. Zuerst einmal wird geliefert, dann Forderungen gestellt.

Natürlich hatte das auch negative Seiten. In der DDR, das spürt man in diesen Gesprächen immer wieder, fühlten sich die wenigsten Menschen frei, wenn sie ihre Zukunft planten. Nur die Besten aus der Schulklasse durften zum Beispiel studieren und auch nur dann, wenn sie nicht negativ auffielen. Da entschied man sich häufig lieber für eine sichere Lehre und einen unauffälligen Beruf, den man eben bis zur Rente sicher hatte. Das Gefühl, dass die Welt einem offen steht, kam erst mit den jüngeren Generationen.

Aber genau in dieser Kombination sehe ich heute eine große Stärke der Wendegeneration. Arbeitswille und Bescheidenheit, inzwischen gepaart mit einem Bewusstsein für Chancen. Und oft zwangsläufig auch mit einer großen Anpassungsfähigkeit. Dafür haben die Erlebnisse rund um den Mauerfall schon gesorgt.

Das Beispiel Leipzig zeigt, wie es gehen kann

Auch sportlich freue ich mich zu sehen, wie inzwischen Vereine wie RB Leipzig von beiden Seiten profitieren. Noch immer ist die Sportförderung in der Schulzeit in der Region sehr stark. Ähnlich wie bei mir werden auch heute noch junge Talente früh unterstützt und entwickelt. Dort sehe ich immer noch das Erbe der Sportförderung in der DDR. Inzwischen endet die Förderung aber nicht mehr, sobald es in Richtung Profifußball gehen könnte – dank eines professionellen Vereins mit Geld und guten Strukturen.

Das Beispiel Leipzig zeigt, wie die zwei Welten aus Ost und West zusammenwachsen können. Sicherlich ist auch dort nicht alles perfekt. Aber die Mischung aus konsequenter Förderung schon in der Schulzeit und dann durch einen professionellen, internationalen Verein funktioniert. Seit meinem Karriereende als Profisportler bin ich auch privat wieder häufiger in der Region – und freue mich, dass man dort nun wieder regelmäßig erstklassigen Fußball sehen kann.

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René Adler
© René Adler
René Adler

Ex-Bundesliga-Torwart und Unternehmer

René Adler (Jg. 1985) begann mit sechs Jahren beim VfB Leipzig mit dem Fußball. Ab 2000 spielte er für Bayer 04 Leverkusen, 2003 stieg er in die 1. Mannschaft auf. Er gehörte auch zum Nationalkader. 2012/ 2013 wechselte er zum HSV, später zum 1. FSV Mainz 05. Adler erlitt mehrere Verletzungen, 2010 konnte er deswegen nicht als Torwart an der WM teilnehmen. Wegen anhaltender Knieprobleme verkündete er 2019 das Ende seiner Fußball-Karriere. Seit 2017 ist er an einer Firma beteiligt, die Torwarthandschuhe herstellt.

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