Darüber wurde in diesem Jahr gesprochen - in der Gesellschaft

Schüler streiken fürs Klima und ein Gericht lässt das massenhafte Kükentöten weiterlaufen - der Umgang mit der Umwelt hat die Menschen 2019 bewegt. Aber auch der Verlust von ganz besonderen Menschen.

Wie ich vom Pferdemädchen zur Klimaaktivistin wurde

Franziska Wessel

Schülerin, Delegierte „Fridays for Future“

Franziska Wessel
  • Im Januar ging ich zu meiner ersten FFF-Demo, und das veränderte mein Leben
  • Wir waren so laut, dass die Politik uns nicht mehr ignorieren konnte
  • Trotzdem fühle ich mich verarscht, da das Klimapaket ein Witz ist

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Am 13. Dezember 2019 war der erste Geburtstag von Fridays for Future Deutschland. Ich hätte nie gedacht, dass in einem Jahr so viel passieren kann. Blicke ich zurück, dann erkenne ich mich selbst nicht wieder. Ich war damals 14, heute bin ich 15 Jahre alt. Ich bin jetzt die Franziska Wessel mit etlichen Google-Ergebnissen und werde auf der Straße erkannt. Ich bin aber auch die Franziska Wessel, die durch ihr „tolles Engagement“ keine Freizeit mehr und mehrere Freundschaften verloren hat.

Meine erste Demo war Mitte Januar. Ich hatte irgendwo etwas von „Fridays for Future“ gelesen und war neugierig. Besonders viel wusste ich noch nicht über die Klimakrise. Bei der Demo war es eiskalt. Natürlich hatte ich mich zu dünn angezogen, denn ich hatte ja keine Demoerfahrung. Ich wollte eigentlich schon wieder los, als mich eine der Organisierenden ansprach: „Kannst du das bitte kurz halten?“ Auf einmal hatte ich ein Banner in den Händen und fühlte mich eingebunden. Am Ende der Demo fragte ich, ob ich irgendwo mithelfen könne, und landete in einer WhatsApp-Gruppe.

Mein ganzes Leben stellte sich auf den Kopf

Dann ging alles rasend schnell. Ich schaffte es, dass alle Schüler*innen unserer Schule vom Unterricht für die Großdemo im Januar freigestellt wurden. Plötzlich war ich bundesweit für Social Media zuständig und hatte am Demotag ein ZDF-Kamerateam um mich herum. 10.000 Leute standen damals im Invalidenpark in Berlin. Überwältigt und euphorisch stürzte ich mich in die Organisation, und schon stand der nächste Großstreik vor der Tür.

Im März fand der der erste globale Klimastreik statt: 30.000 Menschen, die mit uns die Welt verändern möchten, überfüllten den Invalidenpark. Ich hatte die Nacht nicht geschlafen, um letzte Sachen zu organisieren, und kam übermüdet um sieben Uhr morgens zum Aufbau. Wir hatten höchstens 15.000 Leute erwartet, und als die Nachricht über Funk kam, dass die gesamte Invalidenstraße voll war, war ich kurz vor den Tränen. Das Gefühl, wenn man in einem Moment angekommen ist, auf den man Monate hingearbeitet hat, und dann das ganze Adrenalin von einem abfällt, ist unglaublich. Ich war nicht mehr das Pferdemädchen Franzi, sondern eine politische Franzi, die es schaffte, eine riesige, weltweite Bewegung mitzuorganisieren.

Ich fühlte mich überfordert von den vielen Aufgaben, internen Streitereien und der Medienkritik

Nach dieser Demo nahm ich mir fest vor, weniger zu machen, denn es wurde immer schwieriger, alles unter einen Hut zu bringen. Social Media, Pressearbeit, Technik und Sicherheit – und dann auch noch die Schule, das Orchester und wenigstens ab und zu der Ponyhof. Ich fühlte mich überfordert. Ich war aber überall so tief drin, dass ich Dinge nicht einfach hätte fallen lassen können.

Zwei Wochen später war Greta Thunberg in Berlin. An dem Streiktag, an dem Greta mit uns durch Berlin lief, fühlte ich mich wie im Film. Alles wirkte so unwirklich und hatte mit meiner Vergangenheit so wenig zu tun. Wir hatten ein massives Sicherheitskonzept ausgearbeitet, um Greta zu schützen. Alles lief gut, und somit hatten wir zwei riesige Demonstrationen in einem Monat organisiert.

Danach berichteten alle Zeitungen von den Streiks. Gretas Gesicht, meines und das vieler anderer Aktivist*innen war auf allen Titelseiten. Manche Kommentare lobten uns. Viele kritisierten uns. Anfangs traf mich Kritik, die uns nur als Schulschwänzer darstellte. Ich lernte mit der Zeit, sie zu überhören und mir meiner Sache sicher zu sein. Es war schon damals krass, was wir erreicht hatten. Ich dachte, mehr geht gar nicht.

Und dann wurde es tatsächlich erst einmal schwieriger, denn wir begannen uns intern zu streiten. Streit darum, wer uns öffentlich repräsentieren soll. Streit darum, wofür wir genau stehen. Streit darum, wer in der Organisation was zu sagen hat. Ich hatte damals große Angst, dass es die Bewegung auseinanderreißt. Wir waren ja alle so unerfahren darin, aus ein paar erfolgreichen Streiks eine Bewegung zu formen. Heute streiten wir anders. Wir diskutieren viel offener und konstruktiver über Personenkult oder über interne Machtstrukturen. Wir verstehen uns als diverses Netzwerk und möchten, dass alle sich gleichwertig einbringen können. Ich glaube, dass es vielleicht einmal knallen musste, damit wir diese Strukturen ausarbeiten konnten und dadurch heute noch stärker zusammenhalten.

Alle wollten auf einmal Fridays for Future auf der Bühne haben

Ab Mitte des Jahres wurden wir mehr und mehr eingeladen. Alle wollten FFF auf dem Podium haben. Wir trafen Leute, die uns noch vor wenigen Monaten komplett ignoriert hatten. Ich war zum Beispiel als Referentin beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ im „Adlon“ eingeladen. Vormittags hatte ich noch eine Klausur geschrieben, und dann betrat ich diese andere Welt. Ich saß mit dem RWE-Chef, einem der Menschen, die ich dauernd kritisiere, gemeinsam auf einer Bühne. Er erzählte mir, wie toll RWE sich schon mache und dass sie den Weckruf verstanden hätten. Ich fühlte mich verarscht. Dieser Mensch schiebt die Klimakrise aktiv an und lächelt mir, der Klimaaktivistin, dabei ins Gesicht . Das Gefühl hatte ich zuletzt erneut beim SPD-Parteitag. Wir standen hinter einem Absperrgitter vor dem CityCube in Berlin. „Oh Klimaschutz, oh Klimaschutz, wir wollen dich nicht aufgeben …“ schallte es aus unseren Reihen zur Melodie von „Oh Tannenbaum“. Wir hielten zwei Banner hoch, als Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu uns kamen. Fridays for Future hatte einen offenen Brief an die SPD geschrieben, und wir waren mit der Parteispitze zu einer Übergabe verabredet: Wir wollten ihr unsere Forderungen für mehr Klimaschutz überreichen. Doch statt uns hereinzubitten, ließ die Partei die Bewegung, mit der in diesem Jahr schon drei Millionen Menschen in Deutschland demonstriert hatten, draußen im Kalten stehen. Setzte man einen Fuß in die Eingangshalle, sah man rechts Autowerbung und dahinter einen Stand von RWE. „Wir hören eure Stimme“, behauptete die SPD, jedenfalls berichtete die „Tagesschau“ das von diesem Treffen.

Ist es also das, was von den vielen Stimmen für den Klimaschutz übrig bleiben wird – bloß gehört, aber nicht verstanden zu werden? Es wäre doch möglich, den Wandel in eine klimafreundliche Welt einzuleiten – die Regierung tut aber fast nichts. So machen viel zu viele Menschen so weiter wie immer. Nur ist das eben nicht mit dieser Erde vereinbar. Die Physik verhandelt nun mal nicht.

Wir organisierten die größte Klimademo, die es je gab

Die Hälfte der Deutschen gab an, bei den Europawahlen mit dem Gedanken an das Klima gewählt zu haben. Die Klimakrise hatte die Flüchtlingskrise medial abgelöst und öffentliche Beachtung gefunden. Das lag auch an uns, und wir machten weiter. Nach weiteren Großdemos und einem Sommerkongress stand unsere Demo am 20. September vor der Tür.

Vor den Demos machen wir in Berlin immer eine Wette: Jeder sagt, mit wie vielen Teilnehmenden er rechnet, und gibt einen Euro in die Kasse. Die Person, die am nächsten an die eigentliche Zahl kommt, bekommt das Geld. Ich schätzte 50.000 Menschen. Ich bin vorher immer pessimistisch mit den Zahlen, doch so extrem hatte ich mich noch nie verschätzt. Schon um elf Uhr standen Zehntausende vor dem Brandenburger Tor. So viele Menschen wie noch nie demonstrierten für die Zukunft des Planeten.

Auf dem Pariser Platz hatten wir ein Büro für Krisenmanagement, Presse, Social-Media-Koordination und digitales Crowdmanagement gemietet (von Spendengeldern). Dort erfuhren wir auch von den Beschlüssen des Klimakabinetts, welches die ganze Nacht und einen Teil des Tages beraten hatte. Die Bundesregierung wollte in dieser Woche mit einem Ruck endlich etwas tun und wirkungsvolle Maßnahmen beschließen. Meine Erwartungen waren schon vor der Tagung des Klimakabinetts niedrig. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dort irgendetwas beschlossen wird, was unsere CO2-Emissionen ernsthaft reduziert.

Und trotzdem hatte ich, hatten wir, irgendwie gehofft. So war die Verkündung ein Schock: Lächerliche zehn Euro pro Tonne soll das Treibhausgas die Verursacher kosten. Gerade hat die Regierung den Preis zwar auf 25 Euro hochgesetzt – doch damit ein Preis eine echte Wirkung erzielt, muss er Experten zufolge bei mindestens 50 Euro liegen und sich möglichst schnell auf 180 verteuern. Unsere Regierung hat sich nicht getraut, CO2 einen ernsthaften Preis zu geben.

Sie gibt zwar viel Geld aus, aber für was? Das Autofahren wird für Pendler nun sogar noch billiger. Wie kann das sein? Mit diesem Paket wurden meine Erwartungen mehr als enttäuscht. Sie hatten einen „Kompromiss“ gefunden, den selbst Merkels wissenschaftliche Berater als ungenügend ansehen. Man kann keine Kompromisse mit dem Klima schließen. Dieser „Klimakompromiss“ wird uns langfristig umbringen.

Uns nicht ernst zu nehmen ist ein Fehler

270.000 Menschen demonstrierten. Die komplette Innenstadt Berlins war voll von fröhlichen und hoffnungsvollen Menschen, aber in unserem Büro herrschte eine düstere Stimmung. Wir hatten Unglaubliches auf die Beine gestellt – und das Ergebnis? Mein Gesicht am Abend in der „Tagesschau“ und ein ellenlanger Bericht über das Klimapaket, was nicht reicht.

Es fühlt sich hart an, ein Dreivierteljahr seines Lebens komplett für eine bessere Klimapolitik gelebt und dann gefühlt nichts erreicht zu haben. Wir haben jetzt ein Klimapaket, was eine Katastrophe ist. Ein Paket, was nichts bringt und für das ich keine Worte mehr habe. Es macht mich unfassbar wütend. Was ich aber überhaupt nicht mehr ertrage: Die Bundesregierung feiert sich, und Politiker der Regierungskoalition loben uns. Aber keiner nimmt uns offenbar ernst. Das ist falsch.

Und hier sitze ich jetzt und schreibe einen Jahresrückblick. Ein Jahr lang haben wir an jedem Freitag demonstriert. 52 Wochen, gefüllt mit Höhe- und Tiefpunkten. In Berlin hat unsere Ortsgruppe nun die Entscheidung gefällt, nicht mehr jeden Freitag zu streiken. Eins steht aber fest: Wir werden weiterhin laut sein. Die Klimabewegung fängt jetzt erst an. Wir lassen uns unsere Zukunft nicht wegnehmen. Und auch wir werden irgendwann wählen dürfen. Unsere Stimmen gewinnen die großen Parteien so nicht.

Veröffentlicht:

Franziska Wessel
© Wessel
Franziska Wessel

Schülerin, Delegierte „Fridays for Future“

Franziska Wessel (Jg. 2004) besucht die zehnte Klasse eines Gymnasiums in Berlin. Doch freitags geht sie nicht zur Schule, sondern setzt sich für den Klimaschutz ein. Als Delegierte der Bewegung „Fridays for Future“ in Berlin organisiert sie Demonstrationen und ist im Austausch mit Delegierten der mehr als 130 Ortsgruppen in ganz Deutschland.

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