Sexuelle Belästigung: Hat die Debatte um #metoo bereits etwas bewirkt?

Der Skandal um Harvey Weinstein verdeutlichte, was im Stillen zur Normalität gehört: Fast die Hälfte aller Frauen sind bereits Opfer sexueller Belästigung geworden. Die Debatte darum lebt nach wie vor

Wie oft müssen wir Frauen noch öffentlich aufschreien?

Jeannette Gusko
  • Sexismus am Arbeitsplatz ist ein „Tod durch 1000 Schnitte“
  • Das Hashtag #MeToo zeigt derzeit, wie viele Frauen bereits belästigt wurden
  • Sexismus entstand durch Männer, sie müssen nun auch die Gegenkultur einleiten

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Sexismus ist Alltag, er ist tief verwoben in unsere Gesellschaft. Weil er ein strukturelles Problem ist, ist er jederzeit im Privaten, in der Öffentlichkeit und eben auch am Arbeitsplatz präsent. 55 Prozent aller Frauen in Deutschland haben in ihrem Leben sexuelle Belästigung erfahren, jede dritte Frau ist betroffen von sexueller Gewalt. Bei allen Statistiken und Debatten um fehlende Gleichberechtigung der vergangenen Jahre wirkt es auf mich befremdlich, dass Harvey Weinsteins systematische sexuelle Ausbeutung und Erniedrigung von Angestellten und Geschäftspartnerinnen für viele eine solche Überraschung zu sein scheint.

Sexismus ist kein Relikt aus alten Zeiten, er trifft jetzt in diesem Moment Frauen aller Schichten, insbesondere Frauen mit Behinderung, junge Frauen, Transfrauen und Frauen of Color. Sexismus ist der Nährboden für Frauenfeindlichkeit, weil er Erfahrungen von Frauen kleinredet, Frauen eine Mitschuld zuspricht und Männlichkeit mit Dominanz über andere gleichsetzt. Die Antidiskriminierungsstelle des Deutschen Bundestags schreibt in ihrem Leitfaden zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: „Durch sexuelle Belästigung wird Macht demonstriert, Konkurrenz ausgeübt oder Respektlosigkeit zum Ausdruck gebracht.“

Frauen beschreiben Sexismus am Arbeitsplatz häufig als „Tod durch 1000 Schnitte“ – also als endlos wahrgenommene Abfolge von Verletzungen: Herrenwitze, ungleiche Bezahlung, verwehrte Aufstiegschancen, „Frauen sind so“-Beschreibungen, aber auch in Form von sexueller Belästigung wie verbalen Attacken oder Anzüglichkeiten. Die Folgen für jede Einzelne, aber auch die Unternehmenskultur sind gravierend: Angstzustände, fehlendes Sicherheitsgefühl, Arbeitsunfähigkeit oder schlicht massenhaftes Ausscheiden aus dem Arbeitsplatz.

Jedes Unternehmen sowie jeder Kollege muss endlich für Frauen einstehen

Unter dem von der US-Schauspielerin Alyssa Milano wieder ins Leben gerufenen Hashtag #MeToo drücken Frauen seit Tagen in sozialen Netzwerken aus, dass sie sexuell belästigt wurden. Aufmerksamkeit erlangte das Hashtag schon vor zehn Jahren, als die Aktivistin Tarana Burke es einführte. Hashtags zeigen Solidarität für ähnliche Erfahrungen und erzeugen Druck. Doch ich frage mich, wie oft müssen wir Frauen noch öffentlich aufschreien, unsere Verletzungen offenbaren, Traumata durchleben und gesellschaftliche Veränderungen einfordern? Sexismus ist kein von Frauen, sondern ein von Männern gemachtes Problem. Er reproduziert sich über Generationen von Männern hinweg. Deshalb muss die entschiedene Gegenkultur auch von Männern getragen werden.

Bezieht man das konkret auf Unternehmen, bedeutet das: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Quoten, geschlechtergerechte Sprache, Privilegientrainings, Durchsetzen eines Code of Conducts – und das sollte nur ein Anfang sein. Konkret für den Einzelnen: Sich nicht darauf zurückziehen, dass Mann selbst zu „den Guten“ gehört, erkennen, dass Mann zu den Nutznießern des Systems gehört, seine Taten und Sprache im Arbeitsalltag hinterfragen, Frauen zuhören und ihnen glauben, Frauen bei sexistischen Bemerkungen oder sexueller Belästigung unter Kollegen beistehen und solcherlei Verfehlungen in diesem Moment klar verurteilen.

Die schlechte Nachricht: Es wird ein langwieriger Prozess, aber es geht nicht anders. Die gute Nachricht: Wer sich jetzt über Harvey Weinstein aufregt, kann noch heute Verbündeter werden für Gleichberechtigung.

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