Digitale Transformation: Wieso verläuft die Digitalisierung so mühsam?

Die digitale Transformation ist für viele Unternehmen Schrecken und Chance zugleich. An allen Enden versuchen Firmen sie umzusetzen, der Erfolg ist aber nicht immer garantiert.

Wir brauchen ein Digitalministerium, finanziert mit dem Soli

Prof. Dr. Henning Vöpel
  • Wer denkt, Digitalisierung sei das Verlegen von Glasfaser, hat wenig begriffen
  • Statt mit Computern zu konkurrieren, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen
  • Die Digitalisierung droht sonst, neue Verlierer hervorzubringen

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Die wahrscheinliche Große Koalition hat die Eckpunkte für die Digitalpolitik festgelegt. Das ist sicherlich ein Fortschritt, weil die grundlegende Bedeutung der Digitalisierung als politische Aufgabe der Regierung erkannt worden ist. Und es gilt, den entstandenen Rückstand aufzuholen. Denn Geschwindigkeit der Transformation ist zu einem entscheidenden Faktor der Wettbewerbsfähigkeit geworden.

Die Dimensionen der Veränderung, die durch die Digitalisierung ausgelöst werden, sind jedoch mitnichten abgebildet. Wer Digitalisierung als das Verlegen von Glasfaserkabeln versteht, hat nicht viel begriffen. Es geht in den Eckpunkten der GroKo auch um Bildung, ja. Und es geht dort auch um Ethik, ja. Aber es geht im Kern um die Frage, wie wir uns als Gesellschaft auf Veränderungen vorbereiten, die mit exponentieller Geschwindigkeit auf uns zukommen und alles in Frage stellen, was uns als Mensch und als Gesellschaft ausmacht.

Die Stärke des Menschen ist das Humane

Wir können heute nicht alles von dem antizipieren, was uns künstliche Intelligenz, Algorithmen oder Roboter bringen werden. Aber es geht darum, heute einen Ansatz zu entwickeln, der uns in die Lage versetzt, mit den Veränderungen umzugehen und sie zu gestalten, solange es noch geht. Jack Ma, der Gründer von Alibaba, hatte recht, wenn er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor einigen Tagen forderte, unsere Kinder zu Menschen mit Werten und Kultur zu erziehen und nicht mit Robotern und Maschinen konkurrieren zu lassen. Die Stärke des Menschen ist das Humane.

Vor einigen Tagen hat der IT-Branchenverband Bitkom in einer Studie Alarm geschlagen: Rund 3,4 Millionen Arbeitsplätze seien in den nächsten fünf Jahren in Deutschland durch Digitalisierung gefährdet. Man mag über diese Zahlen streiten, klar ist: Der Arbeitsmarkt wird erheblich betroffen, denn der digitale Strukturwandel vollzieht sich wesentlich schneller als jeder andere vor ihm. Digitalisierung bricht Produktionsprozesse auf, leitet Wertschöpfung um, verändert Wirtschaftskreisläufe.

Amazon hat angekündigt, jetzt auch als Bank zu fungieren und damit die gesamte Abwicklung der kompletten Transaktion von der Bestellung über die Lieferung bis hin zur Finanzierung und Bezahlung auf einer einzigen zentralen Plattform zu organisieren. Banken, Einzelhändler und ganze Innenstädte werden sich in einer Weise verändern, wie wir es vielleicht nicht wollen, aber kaum verhindern können. Eine gigantische Reallokation wird stattfinden, die regional zu großer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Disruption führen kann.

Vor diesem Hintergrund stellt die digitale Transformation eine ganzheitliche Herausforderung von geradezu existenzieller Bedeutung dar. Eine erfolgreiche Transformation erfordert eine übergeordnete Strategie, die über alle Ressorts hinweg unterschiedlichen Maßnahmen koordiniert und die einzelnen Schritte sequenziell und komplementär plant.

Nur ein übergeordnetes Digitalministerium kann den Wandel politisch gestalten

Im Digitalisierungsministerium müssen deshalb wie im Finanzministerium sämtliche Politikmaßnahmen der anderen Ressorts gespiegelt werden. Und ein Budget für das Digitalisierungsministerium ist auch schon da: Das Aufkommen aus dem Soli, über dessen Abschaffung in der GroKo kontrovers gestritten wird, beträgt rund 17 Milliarden Euro im Jahr. Das ist eine angemessene Ausstattung, um die Digitalisierung politisch zu gestalten. Der jetzige Soli ist in seiner jetzigen Verwendung ohnehin nur ein vergangenheitsbezogenes Instrument, das strukturelle Unterschiede ex post korrigieren soll. Das ist teuer und bezogen auf die Wirksamkeit empirisch eher zweifelhaft.

Viel sinnvoller ist es, den Soli heute zur Vermeidung zukünftiger Strukturkrisen einzusetzen. Denn die Digitalisierung droht, neue Verlierer hervorzubringen. Auch steuersystematisch lässt sich ein Soli als Abgabe auf die Steuerschuld rechtfertigen, denn es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Transformationsaufgabe. Ein Digitalisierungsministerium mit dem Soli als Budget kann die Geschwindigkeit in der Transformation entscheidend erhöhen und zugleich ex ante die drohende Spaltung der Gesellschaft und der Regionen vermeiden.

Veröffentlicht:

Prof. Dr. Henning Vöpel
© HWWI
Prof. Dr. Henning Vöpel

Direktor Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut (HWWI)

für Weltwirtschaft, Digitalökonomie

Henning Vöpel ist seit 2014 Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Zuvor  leitete er die Forschungsbereiche Konjunktur und Weltwirtschaft. 2010 wurde Vöpel als Professor für Volkswirtschaftslehre an die HSBA Hamburg School of Business Administration berufen. Seine Forschungs- und Themenschwerpunkte sind Konjunkturanalyse, Geld- und Währungspolitik, Finanzmärkte und Digitalökonomie.

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