Bedroht die Digitalisierung unsere Werte?

Die Wirtschaftsskandale der vergangenen Monate haben das Vertrauen der Bürger in die Unternehmen zerrüttet. Das Vorbild des ehrbaren Kaufmanns müsse modern interpretiert werden, fordern nun Experten.

Wir dürfen Werte nicht an der digitalen Garderobe abgeben

Alexander Birken

Vorstandsvorsitzender, Otto Group

Alexander Birken
  • Das Vertrauen der Deutschen in Unternehmen ist derzeit auf einem Tiefpunkt
  • Vielen Menschen bereitet die Zukunft einer digitalisierten Lebenswelt Sorgen
  • Vor allem mithilfe von Transparenz kann Vertrauen wiederhergestellt werden

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Vertrauen ist nicht nur das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft, des sozialen Miteinanders. Vertrauen ist gleichzeitig essenzieller Bestandteil des Wirtschaftslebens, in dem es immer um Leistung und Gegenleistung geht. Beide Seiten vertrauen darauf, dass die jeweilige Gegenseite die getroffene Vereinbarung einhält. Einfach gesagt: Fehlt diese entscheidende Grundlage, kommt kein Geschäft zustande.

Vor diesem Hintergrund muss Unternehmenslenkern und Wirtschaftsverantwortlichen angesichts jüngster Studienergebnisse der Schreck in die Glieder fahren. So zeigt das aktuelle Forsa-Vertrauensranking, dass gerade noch 27 Prozent der Deutschen Unternehmen vertrauen – und damit 18 Prozent weniger als noch im Vorjahr. Noch dramatischer sehen die Ergebnisse für die Berufsgruppe der Manager aus. Ihnen vertrauen laut Forsa nur noch 15 Prozent aller Befragten.

Das Vertrauen breiter Bevölkerungsschichten in die Wirtschaft und in unser freiheitliches Wirtschaftssystem schwindet in beachtlichem Maße. Das geht einher mit einem fatalen Reputationsverlust, vor allem aber bedeutet es, dass der wirtschaftliche Spielraum der Wirtschaft und des Handels schrumpft. Wir drohen unsere „Licence to operate“ zu verlieren. Eine Entwicklung, die nicht nur uns als Otto Group sehr nachdenklich stimmt.

Werte müssen transparent gemacht werden

Doch worin ist dieser schleichende, aber massive Vertrauensverlust begründet? Zum einen hat dies ganz sicher und vorrangig mit den andauernden, als illegal oder illegitim empfundenen Skandalen zu tun – Finanzkrise, Dieselgate, „Paradise Papers“, um nur einige zu nennen. Viele Unternehmen, teils ganze Branchen – nehmen wir nur die Banken- und Automobilbranche – werden nicht mehr als verantwortungsbewusst wahrgenommen. Gleiches gilt für große Technologie- und Handelsunternehmen, wenn es beispielsweise um den Umgang mit Kundendaten oder das Thema Steuergerechtigkeit geht.

Zum anderen lassen sich aber nicht zuletzt am weltweiten Erfolg populistischer Parteien die Sorgen der Menschen vor der Zukunft einer globalisierten und digitalisierten Lebenswelt erkennen. Auch hier fehlt das Vertrauen in die Wirtschaft und in die einzelnen Unternehmen, auf diese enormen Herausforderungen befriedigende Antworten zu finden.

Was also tun, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen?

Aus meiner Sicht ist eines der wichtigsten Instrumente größtmögliche Transparenz. Unternehmen sollten sehr deutlich machen, für welche Werte sie einstehen, wie Daten geschützt und genutzt werden – Stichwort Corporate Digital Responsibility –, wie Verantwortung gegenüber der Umwelt, aber auch gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelebt wird. Das Ziel der Wirtschaft und des Handels muss es sein, als transparent und verantwortungsbewusst wahrgenommen zu werden – und damit wieder als vertrauenswürdig.

Digitale Transformation darf keine Worthülse bleiben

Gleichzeitig muss die Digitalwirtschaft Erklärstücke dafür liefern, wie sie die digitale Transformation umsetzen will, welche Vorteile und Chancen Technik und Digitalisierung bieten, aber genauso dafür, was das für den Arbeitsmarkt der Zukunft und ganze Berufsbilder bedeuten kann. Auch hier geht es nicht zuletzt um sehr große Transparenz.

All diese Anstrengungen versprechen jedoch wenig Erfolg, wenn es an einem gemeinsamen Bemühen fehlt. Die Wirtschaft, der Handel müssen an einem Strang ziehen. Wir müssen bestenfalls gemeinsame Lösungen finden, gemeinsame Werte für vertrauensbildendes Handeln etablieren, zusammen Standards für den verantwortungsvollen Umgang mit Kundendaten festlegen, für Steuergerechtigkeit eintreten. Mit Blick auf Deutschland und Europa müssen wir das bestehende Tarifsystem gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft in eine Zukunft führen.

Ich bin mir sicher: Werteorientiertes Handeln muss nicht an der Garderobe der Digitalisierung und Globalisierung abgegeben werden. Die Frage, wie solidarisch wir als Unternehmer und Manager handeln, ist nicht nur eine Frage der Moral. Es ist eine Frage des wirtschaftlichen Freiraums, den wir alle brauchen. Wir müssen das Gemeinwohl im Blick behalten. Gelingt uns dies und schaffen wir es, in gemeinsamer Anstrengung wieder als verantwortungsbewusst wahrgenommen zu werden, so werden Unternehmen verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und damit nicht nur ihre „License to operate“, sondern auch ihre Relevanz im Chor der gesellschaftlichen Auseinandersetzung behalten.


Alexander Birken ist einer von mehr als 150 Experten, die bei der diesjährigen DLD-Konferenz in München vom 20. bis zum 22. Januar über die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung sprechen werden. Mehr Informationen zur DLD finden Sie unter www.dld-conference.com.

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Alexander Birken
© Otto Group
Alexander Birken

Vorstandsvorsitzender, Otto Group

Alexander Birken (Jg. 1964) ist seit dem 1. Januar 2017 Vorstandsvorsitzender der Otto Group. Zuvor war er als Konzernvorstand für die strategische Weiterentwicklung verschiedener Firmen verantwortlich. Er zeichnete unter anderem für die Baur Gruppe, die Schwab Gruppe, die Witt Gruppe sowie die Otto Group Russia verantwortlich. Seit dem 1. August 2012 nahm er zusätzlich die Sprecherfunktion der Einzelgesellschaft Otto wahr.

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