Gesellschaft der Zukunft: Wie können wir mehr Demokratie leben?

Das Gefühl, nicht mitbestimmen zu können, breitet sich immer mehr aus. Auch in unserem Forum kam diese Ansicht auf. Demokratie braucht neuen Schwung - wie können wir mehr mitbestimmen und gestalten?

Wir möchten uns Bürger stark machen!

Uta Claus

Mitinitiatorin, Nur-Mut!

Uta Claus
  • Oft fühlen sich Bürger von Politikern nicht mehr gehört und vertreten
  • Um mitzugestalten, müssen wir Bürger uns mehr einbringen
  • So habe ich gemeinsam mit Gleichgesinnten die Initiative Nur-Mut! gegründet

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Unsere so sicher geglaubte Demokratie ist ein zerbrechliches Gut. Das haben wir in den vergangenen Jahren erfahren. Immer mehr Bürger fühlen sich von den regierenden Politikern nicht mehr gehört und vertreten. Die Spaltung innerhalb der Gesellschaft wächst. Viele Menschen haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Fremdenfeindlichkeit nimmt zu.

Diese Entwicklung und Sprüche wie „Die da oben machen ja doch nur, was sie wollen!“ oder „Als Einzelner kann man eh nichts machen!“ haben uns alarmiert und aktiv werden lassen. Wir wollten etwas tun, um unsere Demokratie zu stützen und zu stärken. Denn es kommt entscheidend auch auf uns Bürger*innen an. Auf jede und jeden einzelnen. So gründeten Katharina Hübl, Claudia Häuser-Mogge und ich im Frühjahr 2016 die Gruppe Nur-Mut!. Später kamen Lilo Cyrus und Johanna Weber dazu. Unser Ziel: Die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt und das politische Engagement in unserem Ortsteil Berlin-Friedenau stärken!

Durch Bürgerräte kommt unsere Demokratie wieder in Schwung

Alle vier Jahre wählen gehen reicht eindeutig nicht. Bürger*innen wollen zu Entscheidungen gefragt werden, die sie betreffen. Sie möchten durch eigene Vorschläge mitgestalten. Und zwar von Beginn an – in kooperativer nicht konfrontativer Weise. Bestehende Bürgerbeteiligungsmodelle geben ihnen dafür zu wenige Möglichkeiten. Es geht immer nur um ein Thema und die Abstimmung dazu. Dafür oder dagegen? Es werden hitzige Diskussionen erzeugt, aber keine kreativen Bürgerideen erfragt. Der unterliegende Teil bleibt frustriert zurück. Wir halten Kooperation statt Konfrontation für das geeignetere Mittel, um Demokratie zu leben. Wobei zu Kooperation natürlich auch Diskussionen und Auseinandersetzung gehören.

Ein Vorbild haben wir im österreichischen Bundesland Vorarlberg gefunden. Dort wird schon seit vielen Jahren mit großem Erfolg das Beteiligungsmodell „Bürgerräte“ angewendet. Es bietet genau das, was unsere Demokratie wieder in Schwung bringen kann: die Bürger als kreative Berater von Politik und Verwaltung bei kommunalpolitischen Planungen. Bürgerräte sind eine Ergänzung zu unserem bestehenden System. Neben der Legislative (Gesetzgebung), der Judikative (richterliche Gewalt) und der Exekutive (Vollstreckung) könnten sie einen vierten Platz im Staat einnehmen: die Konsultative.

Die Ideen jedes Einzelnen sind gefragt

Konkret besteht ein Bürgerrat aus 12 bis 15 Personen, die nach dem Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgelost und von der Landes- oder Bezirksregierung angeschrieben werden. Der Bürgerrat erarbeitet an eineinhalb Tagen mit einem speziell geschulten Moderator möglichst kreative Lösungsvorschläge zu einer Fragestellung. Dabei muss das Wohl aller berücksichtigt werden. Die Ergebnisse werden zu einem gemeinsamen Lösungskonzept des Rates zusammengestellt. Dieses wird in einem öffentlichen „Bürgercafé“ vorgestellt, in dem Bürger, Presse, die zuständigen Politikerinnen und Verwaltungsmitarbeiterinnen zusammenkommen. Die Vorschläge werden dort noch einmal von den Bürgern diskutiert und ergänzt. Politik und Verwaltung sind verpflichtet, zeitnah zu prüfen, welche der Empfehlungen umgesetzt werden können. Zudem informieren sie die Öffentlichkeit ständig über den jeweiligen Stand der Umsetzung. Nach seiner Arbeit wird der Bürgerrat wieder aufgelöst – zu einer nächsten Fragestellung wird ein neuer Bürgerrat ausgelost.

Die Erfahrungen in Österreich haben gezeigt, dass dieses Verfahren nicht nur zu sehr guten Ergebnissen, sondern auch zu einer hohen Zufriedenheit aller Beteiligten führen kann: Bürger, Politik und Verwaltung. Außerdem ist es ein außerordentlich wirksamer Baustein für gelebte Demokratie. Durch das Zufallsprinzip werden auch solche Bürger*innen mit einbezogen, die sich sonst nicht politisch interessieren oder engagieren. Menschen aus sehr unterschiedlichen Altersgruppen und Lebensbereichen erarbeiten in einem Bürgerrat miteinander Vorschläge, die sie selbst betreffen. Sie müssen zuhören, andere ausreden lassen, eigene Standpunkte finden und vertreten sowie andere Meinungen akzeptieren. Alles demokratische Grundtugenden. In der Folge verstärkt sich ihr Interesse an Politik und politischen Abläufen. Weil sie „Selbstwirksamkeit“ erfahren haben, engagieren sie sich auch weiterhin. Sie leben Demokratie.

Unser erster Bürgerrat war ein Erfolg

Bei unseren Informationsveranstaltungen sind wir auf großes Interesse der Bürger*innen gestoßen. Viele warten geradezu darauf, etwas für die Stärkung der Demokratie tun zu können. Auch bei den Politikern im Berliner Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, bei denen wir für das Modell Bürgerräte warben, trafen wir auf unerwartet viel Interesse. Die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler war nach kurzer Zeit so überzeugt, dass sie beschloss, Bürgerräte einzuführen – finanziert werden sie über Mittel der Senatskanzlei als Teil eines Pilotprojekts.

Im August hat in Friedenau bereits der erste Bürgerrat stattgefunden. Er war ein großer Erfolg und hoffentlich der Startschuss zu mehr Demokratie und weniger Politikverdrossenheit in unserem Bezirk. Wir möchten, dass in allen Berliner Bezirken Bürgerräte eingerichtet werden. Die Zeit ist reif für mehr Demokratie! Bürgerräte sind ein Weg dorthin. Und jeder Bürger ist ein Weg! Von wegen „Als Einzelner kann man ja doch nichts machen!“.


Diskutieren Sie mit: Ist der Bürgerrat ein Instrument, dass Sie sich auch für Ihren Bezirk und Landkreis vorstellen können? Wie könnten Sie sich nich vorstellen, selbst aktiv zu werden?

Veröffentlicht:

Uta Claus
© Andreas Kirsch
Uta Claus

Mitinitiatorin, Nur-Mut!

Im Frühjahr 2016 gründete Uta Claus (Jg. 1949) gemeinsam mit Katharina Hübl und Claudia Häuser-Mogge die Gruppe Nur-Mut!. Gemeinsam wollen sie die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt und das politische Engagement stärken. Erreichen wollen sie dies durch Bürgerräte – begonnen haben sie dort, wo sie zu Hause sind, in Berlin-Friedenau.

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