Flüchtlinge als Arbeitskräfte – Wie schaffen wir jetzt 500 000 Jobs?

Nach Aufnahme und Unterbringung benötigen die meisten Asylsuchenden jetzt Arbeit. Was muss sich in der Politik und auf dem Arbeitsmarkt ändern, damit die Integration gelingt?

Der Mindestlohn grenzt die Schwächsten aus

Nicola Beer

Generalsekretärin, FDP

Nicola Beer
  • Wir brauchen Anerkennung statt Hürden
  • Wer Flüchtlinge ausbildet, muss entlastet werden
  • Die chaotische Politik der Bundesregierung bringt uns an unsere Grenzen

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Die verfehlte Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung fällt uns angesichts der vielen Asylsuchenden auf die Füße. Insbesondere der Mindestlohn. Von Anfang an war er ein ideologiegetriebenes Bürokratiemonster ohne Nutzen für Arbeitnehmer, aber mit gravierenden Lasten für Arbeitgeber.

Unter Asylsuchenden sind auch exzellent Ausgebildete. Sie sind zweifelsohne ein Gewinn für unsere Wirtschaft, die unter der demografischen Entwicklung ächzt. Mit ihnen sind jedoch zahlreiche Menschen in unser Land gekommen, die gering qualifiziert sind, keine Fremdsprache beherrschen und selbst die eigene nicht schreiben können. Auch sie sind vor Terror und Menschenrechtsverletzungen geflohen, auch sie dürfen Asyl beantragen. Und sie brauchen Arbeit.

Sprachkurse, Trauma-Bewältigung: Es gibt viel zu tun

Bilder junger Männer, die – wegen gesetzlicher Vorgaben und eines wiehernden Amtsschimmels zur Untätigkeit verdammt – vor Flüchtlingsheimen sitzen, lösen aber Unbehagen aus. Damit die Integration der Flüchtlinge nicht scheitert, müssen sie in den Arbeitsmarkt begleitet werden. Dringend. Und hier stellt der Mindestlohn eine fast unüberwindliche Hürde dar.

Deutschland ist ein reiches und starkes Land, aber die derzeitige Situation bringt uns wegen der chaotischen Politik der Bundesregierung an unsere Grenzen. Die Bevölkerung engagiert sich vorbildlich, muss aber auch vieles ertragen. „Selbst die wohlwollendsten Bürger fragen, wann die Turnhalle wieder frei wird oder ob sie jetzt um ihr Eigentum fürchten müssen, weil Flüchtlinge zwangseinquartiert werden“, erklärte mir der Bürgermeister einer Kleinstadt.

„Es wird lange dauern, bis sie voll eingesetzt werden können“, berichtet mir ein mittelständischer Unternehmer, der zwei Flüchtlinge in Orientierungspraktika beschäftigt. Diese haben so gut wie nichts mit einem regulären Praktikum zu tun: Schließlich muss mit einer Sprachausbildung begonnen, auf kriegsbedingte Traumatisierungen Rücksicht genommen und buchstäblich mit allem bei null angefangen werden. Dennoch engagiert sich dieser Unternehmer und mit ihm unzählige. Soll er nun für sein Engagement dadurch bestraft werden, dass er für Orientierungspraktika Mindestlohn zahlen und bürokratische Prozedere absolvieren muss? Sollen die draufzahlen, die, ohne selbst einen Nutzen davon zu haben, Menschen Beschäftigung geben? Das darf nicht sein! Wer Flüchtlinge ausbildet, muss entlastet werden!

Die Zuwanderung kann zu sozialem Sprengstoff werden

Arbeit ist neben der Sprache der beste Integrationsmotor. Deshalb brauchen wir für die Unternehmen, die sich in der Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen engagieren, einen Integrationsbonus durch der neuen Situation angepasste Regelungen. Die Verlängerung von Orientierungspraktika für Flüchtlinge von drei auf zwölf Monate ohne Mindestlohn kann dabei nur eine von vielen notwendigen Maßnahmen sein. Am sinnvollsten ist ein „Bündnis für Integration in Arbeit“. Dafür müssen sich Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften an einen Tisch setzen. Zeitverzögerer wie die Vorrangprüfung müssen abgeschafft, Beschäftigung muss flexibilisiert werden. Bildung und Qualifizierung sind Schlüssel zur Integration: Damit aus Flüchtlingen Fachkräfte werden, brauchen wir viele passgenaue Module für individuelle Nachqualifizierungen im Rahmen der dualen Ausbildung. Gerade bei Jugendlichen darf die Beschulung dann nicht mit 18 Jahren abgebrochen, sie muss bis mindestens 21 Jahre ermöglicht werden.

Die Zuwanderung von Flüchtlingen kann eine Chance für unsere Wirtschaft darstellen. Sie wird jedoch zu sozialem Sprengstoff, wenn wir es nicht schaffen, die Menschen in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren. Parteipolitisches Taktieren ist fehl am Platz. Es reicht auch nicht zu sagen, wir schaffen das. Es bedarf einer klaren politischen Wegweisung. Nur dann werden diejenigen keinen Zulauf finden, die politisches Kapital aus der Not anderer schlagen wollen.

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Nicola Beer
© FDP
Nicola Beer

Generalsekretärin, FDP

Nicola Beer (Jg. 1970), Mutter von zwei Söhnen, Bankkauffrau und Rechtsanwältin, ist seit 2013 Generalsekretärin der FDP. 1999 wurde sie zum ersten Mal in den Hessischen Landtag gewählt, dem sie, unterbrochen von 2009 bis 2014 durch ihre Ernennung zur hessischen Europa-Staatssekretärin, bis heute angehört. Regierungserfahrung sammelte sie auch als hessische Kultusministerin. Sie engagiert sich vor allem in der Europa-, Justiz-, Kultur- und Bildungspolitik, sowie beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

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