EU-Beitritt der Türkei: Haben die Verhandlungen noch eine Zukunft?

Noch nie war die Ablehnung gegenüber einem Beitritt der Türkei zur EU so hoch wie heute, zeigt das aktuelle ZDF-Politbarometer. Dabei sehen Politiker gute Gründe für eine Zusammenarbeit mit Ankara.

Eine Türkei unter Erdoğan ist nicht beitrittsreif

Elmar Brok

Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Europäisches Parlament (CDU)

Elmar Brok
  • Die Türkei entwickelt sich zu einem unberechenbaren politischen Partner
  • In ihrer jetzigen Verfassung ist sie kein funktionierender Rechtsstaat mehr
  • Trotzdem brauchen wir die Türkei: um Krieg und Flüchtlingskrise zu bewältigen

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Die Entlassung Tausender Staatsbediensteter, Ausreiseverbote für Akademiker, die Festnahme unliebsamer Journalisten und ein Ausnahmezustand, der den Staatspräsidenten mit einer Machtfülle über alle Maßen ausstattet: All das lässt nichts Gutes für die Türkei erahnen. Mehr denn je entwickelt sich das Land zu einem unberechenbaren Partner, der nicht nur der Demokratie den Rücken kehrt, sondern auch den eigenen Interessen schadet.

Dem muss und kann die EU durchaus mit Selbstbewusstsein begegnen. Für Beißhemmungen besteht kein Grund. Denn das Ansehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beruht zu wesentlichen Teilen auf dem wirtschaftlichen Fortschritt des Landes. An diesem hat die Europäische Union erheblichen Anteil, über den Zugang zum Binnenmarkt etwa und über die Investitionen aus der Gemeinschaft in die Türkei.

Ankara hat etwas zu verlieren

Wenn also die Direktinvestitionen aus der Europäischen Union abschmölzen – zwei Drittel aller Investitionen kommen aus der EU, der Handelsverkehr ist groß –, dann zöge das massive Konsequenzen für die Türkei nach sich. Vor allem für die Popularität Erdoğans. Dieses Szenario gilt es den politisch Verantwortlichen in Ankara mit aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind von entscheidender Wirkungsmacht. Der Aufschwung der Türkei wäre nicht ohne den Zugang zum europäischen Binnenmarkt über die Zollunion möglich gewesen.

Ankara hat also etwas zu verlieren. Die Wirtschaft ist bereits alarmiert. So hat der Verband der Türkischen Industriellen und Geschäftsleute in großen Anzeigen gefordert, die Niederschlagung des Putsches dürfe nicht zu Rückschlägen bei der Öffnung des Landes führen.

Es geht ums Prinzip

Keine Frage: Ein Putsch, wie geschehen, ist rechtswidrig. Dagegen muss eine gewählte Regierung vorgehen können. Aber wenn Staatspräsident Erdoğan dies nutzt, um den Staat zu einem islamischen, autokratischen Präsidentenstaat umzubauen, dann überspannt er den Bogen. Dann kommt früher oder später das Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union. Denn eine Türkei Erdoğan’scher Prägung ist nicht beitrittsreif.

Ganz schnell könnte das Aus kommen, wenn Ankara tatsächlich die Todesstrafe wieder einführen sollte. Ihre Abschaffung war 2004 Bedingung für den Beginn der Verhandlungen mit der EU über einen möglichen Beitritt. Wird sie wieder eingeführt, dann ist dies das Ende der Verhandlungen. Das haben neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Kommissionschef Jean-Claude Juncker richtigerweise betont. Da geht es ums Prinzip.

Welche Hintergedanken pflegen die Verantwortlichen?

Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben. Dass dem so ist, daran gibt es berechtigte Zweifel. In ihrer derzeitigen Verfasstheit ist die Türkei kein funktionierender Rechtsstaat mehr.

Zwar ist es legitim, mit einem Ausnahmezustand auf eine prekäre Lage im Land zu reagieren; das hat auch Frankreich gemacht. Die Frage ist nur, mit welchen Hintergedanken die Verantwortlichen die Situation auszunutzen gedenken. Die Tatsache, dass man in Ankara schon ein paar Stunden nach dem Putsch eine Liste von fast 3000 Richtern und Staatsanwälten zur Hand hatte, deren Karriere man ein abruptes Ende setzen wollte, zeigt, woher der Wind weht. Die Türkei marschiert in eine Richtung, die klar von Europa fort weist.

„Schluss damit“ ist keine Lösung

Das macht sie aber nicht zum Paria. Denn die Türkei liegt nun einmal da, wo sie liegt, und ist von entsprechender sicherheitspolitischer Bedeutung. Angesichts der Flüchtlingsbewegungen müssen wir als EU mit allen Ländern im Mittelmeerraum reden. Das gilt auch für Ägypten, das gilt auch für Libyen und andere Staaten. Es gibt 2,8 Millionen syrische Flüchtlinge, die mehr Hilfe bekommen. Nun könnten wir angesichts der veränderten politischen Lage zwar sagen: Schluss damit. Doch das wäre keine Lösung im Sinne der Flüchtlinge.

Und den Krieg in Syrien werden wir nur beenden können, wenn alle Länder der Region mitmachen. Das sind auch Saudi-Arabien und der Iran, die wahrlich nicht Erfinder der Menschenrechte sind. Und eben die Türkei. Will sie in Zukunft eine möglichst enge Partnerschaft mit der EU – auch jenseits einer Vollmitgliedschaft –, wird Ankara auch auf diesem Feld die Bereitschaft zur Kooperation mit Europa unter Beweis stellen müssen.

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Elmar Brok
© Elmar Brok
Elmar Brok

Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, Europäisches Parlament (CDU)

Elmar Brok (Jg. 1946) ist deutscher CDU-Politiker und seit 2012 Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Brok gehört seit 1980 ununterbrochen dem Europäischen Parlament an und ist damit dienstältestes Mitglied. Außerdem ist er seit November 2013 Präsident der Union der Europäischen Föderalisten (UEF) unf Vorsitzender des Europäischen Demokratiefonds (EED).

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