Höher, schneller, weiter: Wie bilden wir uns in Zukunft fort?

Immer häufiger wird Weiterbildung zur Eigenverantwortung. Sich in der Freizeit fortzubilden, trifft jedoch bei Mitarbeitern auf Unverständnis. Bleibt die eigene Weiterbildung auf der Strecke?

Martin Spilker
  • Der digitale Fortschritt überfordert Mitarbeiter zunehmend
  • Die Personalentwicklung muss deshalb individueller werden
  • Und der Chef als Zampano hat ausgedient

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Zugegeben, die Überschrift hätte ich genauso gut mit einem Fragezeichen versehen können. Aber kann das mit dem lebenslangen Lernen einhergehende Heilsversprechen im Zeitalter der Digitalisierung noch eingelöst werden? Muss jeder nur genügend lernen und Wissen anhäufen, dann wird es auch weiterhin klappen mit der beruflichen und persönlichen Lebensplanung beziehungsweise der Karriere?

Oder führt nicht gerade so eine Botschaft in eine Sackgasse? Lebenslanges Lernen braucht eine umfassendere Einordnung in die Veränderungen der Arbeitswelt. Immer öfter stehen Führungskräfte vor der Situation, dass Mitarbeiter mit der technologischen Entwicklung in ihrem Arbeitsumfeld nicht mehr mithalten können – und manche gar nicht mehr wollen. Und es sind nicht nur die über 60-Jährigen. Zunehmend höre ich Klagen aus den Betrieben, dass auch jüngere Kollegen Probleme mit der Schnelligkeit des Wandels haben. Die Häufigkeit und Rasanz der Updates drohen ganze Generationen mit ihren Kompetenzen zu überspringen und in ihrem Lerntempo zu überfordern.

Überfordert vom digitalen Wandel und neuen Organisationsformen

Wir erleben in der Arbeitswelt eine zunehmende Heterogenität: mit unterschiedlichen Vertragsoptionen, Beschäftigungsverhältnissen, Arbeitseinstellungen, aber auch Vereinbarkeitswünschen, Lerntempi, Technikaffinitäten. Diese Entwicklung bietet die Chance, einen Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt einzuläuten, nämlich mit der Öffnung der Unternehmenskulturen für agile Organisationsformen in Verbindung mit einer individuelleren Personalentwicklung, die moderne Lebens- und Karriereplanung ermöglicht.

Viele Unternehmen reagieren allerdings kontraproduktiv, indem sie auf standardisierte Maßnahmen zur Personal- und Führungskräfteentwicklung setzen sowie manchmal auf ausufernde Weiterbildungsprogramme. Immer nach dem Glaubenssatz: Bildung und lebenslanges Lernen werden es schon richten. Verstehen Sie mich nicht falsch. Keinem Mitarbeiter wird eine Fortbildung schaden. Auch Erfahrenen kann eine Auffrischung von Excel und Powerpoint, Moderation und Rhetorik helfen. Aber das reicht nicht aus, um der Unbekümmertheit jüngerer Generationen in der Anwendung neuer Medien Paroli zu bieten.

Für den Abgleich zwischen den betrieblichen Anforderungen und den Wünschen der Mitarbeiter braucht es einen individuellen Draufblick zur Personalentwicklung und persönlichen Ansprache. Notwendig ist eine ganzheitliche Sicht auf moderne Lernformate und eine neue Verortung im Zusammengehen von Arbeit – Lernen – Privatleben in der Kultur einer Organisation. Und damit eine Neubewertung der beruflichen Entwicklung und Karrieremöglichkeiten.

Die Arbeitswelt der Zukunft braucht keine Zampanos

Viele Bewerber wünschen sich schon heute mehr Flexibilität und Freiraum bei der Lebensgestaltung. Hierauf haben Personalentwickler noch zu wenig Antworten. Standardprogramme können es auf jeden Fall nicht sein. Ganze Unternehmenskulturen müssen sich ändern, müssen sich offener zeigen gegenüber den Bedürfnissen ihrer Angestellten.

Zwei Voraussetzungen sind daher zu beachten: Nicht alles ist machbar! Denn es gilt auch die Anforderungen der Betriebe zu berücksichtigen. Und Mitarbeiter müssen sich im Klaren sein, dass es einer intensiveren Selbstorganisation und einer stärkeren Eigenverantwortung bedarf. Schließlich müssen sie in einer agilen, flexiblen, mobilen Arbeitswelt auch lernen, sich untereinander zu koordinieren, zu kooperieren und zu kommunizieren. Damit würde sich das Bild der Führung verändern – man ist Ermöglicher und gegebenenfalls einmal Schlichter, aber nicht mehr der Zampano mit Anweisungen und Vorgaben.

Den lebenslangen Wandel wagen

Es ist an der Zeit, die Herausforderungen der Arbeitswelt der Zukunft mit ihren Chancen zu verbinden. Und damit steht auch der Fortbildungsbereich an einem Wendepunkt – vom reinen Fachkompetenzerwerb über die Einbeziehung von Erfahrungswissen hin zu mehr Persönlichkeitsentwicklung durch Selbstreflexion.

Dem lebenslangen Lernen entkommt niemand, aber wie wir diesen Prozess im Zeitalter der Digitalisierung in den Unternehmen gestalten, das ist entscheidend. Wir sollten uns deshalb nicht mehr so sehr auf das Lippenbekenntnis des lebenslangen Lernens reduzieren, sondern uns auf die Digitalisierung und Agilität einlassen und den lebenslangen Wandel wagen.


Martin Spilker ist neuer XING Insider für das Thema „Führung und Management“. Lesen Sie hier seinen neuesten Insider-Beitrag: Boxenstopp für Führungskräfte: Läuft bei Ihnen noch alles wie geschmiert?

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Veröffentlicht:

Martin Spilker
© Bertelsmann Stiftung
Martin Spilker

Director, „Führung und Unternehmenskultur“, Bertelsmann Stiftung

Der Volks- und Betriebswirt (Jg. 1959) ist Mitglied des Führungskreises der Bertelsmann Stiftung und seit 1996 persönlicher Referent von Liz Mohn. Martin Spilker arbeitete über Jahre eng mit Bertelsmann-Nachkriegsgründer Reinhard Mohn zu Fragen der Führung, Organisationskultur und Tarifpolitik zusammen. 2004 übernahm er die Leitung des Kompetenzzentrums „Führung und Unternehmenskultur“ der Bertelsmann Stiftung. 2016 erschien sein Buch „Am Puls des Erfolgs – 10 Gebote für eine wertvolle Unternehmenskultur“ (Haufe).

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