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2.4.2024

Jenseits von Steve Jobs und Jeff Bezos? Wie Gründerinnen im Start-up-Ökosystem ausgebremst werden

Der Anteil der Gründerinnen in Deutschland liegt bei 20 Prozent. Kapital wird neunmal so viel an Männer wie an Frauen vergeben. Was sich ändern müsste, um diese Zahlen zu verändern, darum dreht sich dieser Beitrag.

Ich bin Gründerin eines Unternehmens. Mein Unternehmen gibt es seit drei Jahren, es sitzt in Berlin, Geschäftsform ist eine GmbH. Bevor ich IN-VISIBLE gegründet habe, war ich bereits an drei GbRs beteiligt, bin also – wenn man so will – vierfache Gründerin. Ich würde das selbst eher nicht so einordnen, aber genau darin liegt vielleicht auch schon das größte Problem.

Der Female Founders Monitor markiert einen positiven Trend, allerdings bleiben die Zahlen unterirdisch: Auf zehn Gründer kommen zwei Gründerinnen.

Der Female Founders Monitor markiert einen „positiven Trend“ mit 20 Prozent Gründerinnen im Jahr 2023. Der Bericht stellt interessante Daten dar, die sowohl den Status quo als auch die Ursachen der geringen Gründungsvorhaben von Frauen beleuchten. Eine besonders große Herausforderung stellt beispielsweise die Hürde Vereinbarkeit dar, Gründung und Familienmanagement scheint für Frauen ein wesentlich größeres Problem zu sein als für Männer. Das dürfte nun die wenigsten überraschen, so offenbart sich das Thema Doppelbelastung auch in anderen Karrierewegen als größte Baustelle.

Gründungsgeschichten neu erzählen, Alternativen aufzeigen

Auf Basis dieser Zahlen wäre es nahelegend, bessere Vereinbarkeitsangebote zu schaffen. Das geht nicht von heute auf morgen, schon klar. Was muss man also noch tun? Ein weiterer Hebel wäre es, Förderungen auf die Bedarfe der Frauen anzupassen. Nicht jede kann es sich erlauben, ihren Brotjob an den Nagel zu hängen und voll und ganz ins Risiko zu gehen um dem Traum der Unternehmensgründung nachzugehen. Und das ist auch okay so, egal ob beim Start-up oder bei der Eröffnung des eigenen Cafés.

Der Mythos des Gründers: Welches Bild haben wir eigentlich im Kopf.

Das Einzige, was dem Gründen in Teilzeit widerspricht, ist ein sich hartnäckiger haltender Gründungsmythos um die Persona des Gründers. Wenn wir an den Gründer denken, dann schießen uns Bilder rund um die Steve Jobs und Jeff Bezos dieser Welt in den Kopf. Der Gründer ist nicht nur visionär, er ist überaus risikobereit und kann alles schaffen, wenn er nur richtig will. Dieser Mythos lässt äußere Einflüsse und die nicht-linearen Lebenswege und -umstände vieler Personen, die einen Gründungsmindset mitbringen, außen vor. Ihnen wird subtil vermittelt, das Gründen nichts für sie sei. Der zunehmende Fokus auf den Techbereich und skalierbare Ideen tun ihr Übriges, um Diversität in Sachen Gründer*innen zu unterminieren.

Der Mythos des Gründers ist extrem machtwirksam und prägt sowohl die bestehenden Förderangebote (wer ist förderwürdig und wie läuft diese Förderung ab) als auch die Beurteilung von Neugründungen (welche Gründungen bekommen wie viel Kapital und Aufmerksamkeit). Als ich neulich für ein Panel zu einer Veranstaltung zum Thema Inclusive Entrepreneurship anreiste und mir einen Vortrag zur Förderung weiblicher Gründungen anhörte, fasste eine Speakerin die Learnings der letzten Jahre in Sachen Female Entrepreneurship wie folgt zusammen:

Die Gründerinnen kriegen auch mal ’n doofen Spruch und wissen dann nicht, wie sie reagieren sollen. Also helfen wir ihnen, indem wir ihnen anbieten, Trainings in Sachen Schlagfertigkeit zu bekommen.

Der Gründer ist neutral, die Gründerin ist weiblich

Frauen fortbilden, anstatt Diskriminierung abzubauen? Neben all den guten Beiträgen und Diskussionen, die ich erleben durfte, blieb am Ende des Tages bei mir der Eindruck zurück, Gründerinnen seien einfach etwas bedürftiger und kämen nicht so gut klar wie Männer. Dieses Narrativ muss sich ändern. Frauen dürfen nicht als die anderen Gründer, die Female Entrepreneurs skizziert werden. Durch dieses Narrativ bleibt das vermeintlich neutrale Bild des Gründers männlich, unsere Assoziationen bleiben unverrückt. Frauen können in diesem Narrativ bloß das weibliche Pendant zu einem sehr limitierten Sozialtyp sein.

Gender Bias im Entrepreneurship-Ökosystem hält sich hartnäckig

Dass wir darüber hinaus Frauen härter bewerten, das zeigen zahlreiche Studien, wie z.B. zur schlechteren Beurteilung von Gründerinnen beim exakt selben Pitch oder zu genderbezogenen Fragen vom VC Geber*innen an die Teams. Hier bedarf es mehr Bewusstsein für unbewusste Voreingenommenheiten, ins Besondere den Affinity Bias, Gender Bias und Halo Effekt. Auf der Hand liegt: Menschen aller Geschlechtsidentitäten können tolle Ideen haben, Probleme lösen und innovative Konzepte entwickeln. Um das kreative Potenzial zu entfachen, das sie mitbringen, bedarf es ein Ökosystem, das sie sieht. Und fördert und fordert.

Es bedarf bedarfsorientierte Angebote für Gründerinnen und ein faires Spielfeld

Es gibt bereits tolle Angebote und es werden mehr. Wichtig dabei ist allerdings nicht nur die Quantität. Programme müssen sich an unterschiedlichen Lebensrealitäten orientieren. Eine dieser Lebensrealitäten ist das Gründen in Vollzeit mit vollem Risiko, 60 Stunden- Wochen und dem Privileg, Sorgearbeit (Angehörige, Kinder, Freund*innen) zu pausieren oder die anfallenden Aufgaben auszusourcen. Ein inklusives Entrepreneurship Ökosystem erkennt allerdings an, dass es viele Menschen gibt, die anders leben und gründen. Und auch sie sind förderwürdig.

61 Prozent der Gründerinnen identifizieren sich mit dem Bereich Social Entrepreneruship. Damit ist soziale Nachhaltigkeit für Frauen statistisch ein großer Antreiber in der Unternehmensstrategie. Solche Studien müssen in den bestehenden Diskursen abgebildet werden. Gründerin sein, das heißt Projekte zu initiieren und aufzubauen. In meinem Fall haben diese nie in das klassische Bild einer Gründung im Sinne eines Start-ups mit Verwertungslogik gepasst. Sie hatten keinen Tech-Bezug. Ich habe nie Fremdkapital bezogen. Meine Firma ist aus der Selbstständigkeit entstanden, sie ist organisch gewachsen. Mein Antrieb: Purpose und Impact. Diese Einblicke sind wichtig, denn damit bin ich nicht allein.

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Im April erscheint ein neues Buch mit dem Titel Minds, Brains, and Doxa for Inclusive Entrepreneurship im Rahmen der Serie International Studies in Entrepreneurship bei Springer. In meinem Buchkapitel mit dem Namen „Deconstruct the entrepreneur! No inclusion without diverse narratives of entrepreneurship" beleuchte ich mögliche Antworten auf die hier aufgeworfene Frage mit mehr Tiefgang und analysiere den Sozialtyp des „Gründers“ und den der „Gründerin“.

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Rea Eldem schreibt über Gendergerechtigkeit, Arbeitskultur, Wirtschaft & Management, Personalwesen

Rea Eldem ist die Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, Berliner Agentur für gendergerechte Arbeitskultur. Rea wuchs in Deutschland, Japan und Hongkong auf und studierte Kulturwissenschaften am Bodensee und Gender Studies an der University of Cambridge.