20.3.2024

Lass uns miteinander sprechen – Warum wir Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen lösen sollten

Ob Berufsbeziehungen oder private Freundschaften – in jeder Beziehung entscheiden wir uns jeden Tag aufs Neue, uns aufeinander einzulassen. Dabei besteht die Kunst des Miteinanders darin, sich in Augenblicken der Uneinigkeit einander zuzuwenden statt voneinander abzuwenden. Von der Kraft der Empathie und einer guten Argumentation.

Als ich neulich im Buchhandel vor dem Regal mit Büchern aus den Bereichen Psychologie und Psychotherapie stand und den Bestseller „8 Gespräche, die jedes Paar führen sollte“ von John Gottman herauszog, musste ich direkt an meinen Klienten Christoph denken. Christoph ist 53 Jahre alt, Senior Manager in einer PR-Agentur und ein sehr kommunikativer und redegewandter Mann. Umso mehr überrascht es, dass er jedem klärenden Gespräch und jeder Diskussion aus dem Weg geht. Mit weitreichenden Konsequenzen. So hat Christoph in seinem Leben schon einige Beziehungen aufgegeben, weil er nicht in der Lage war, einen Konflikt zu klären. Dabei ging es meist lediglich um Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Vorstellungen. „Dieses Problem hatte ich in Berufsbeziehungen wie auch in engen Freundschaften“, erzählte er mir bei unserer letzten Sitzung. „An einem bestimmten Punkt habe ich einfach einen Abgang gemacht. Ich habe dann gedacht: Mach einen Strich drunter, dann ist da Ruhe an der Stelle.“

Der amerikanische Paartherapeut John Gottman, der das Buch mit seiner Frau Julie geschrieben hat, kommt in seinen zahlreichen Studien zum Schluss, dass jede Beziehung eine Reihe von Problemen mit sich bringt, die einander gleichen. „Immer wieder hören wir von Paaren, dass sie sich wegen ihrer Probleme haben scheiden lassen, dann andere Partner heirateten, um schließlich festzustellen, dass sie in der neuen Beziehung wieder ganz ähnliche Probleme haben“, schreiben die Gottmans. „Über Konflikte sollten Paare deshalb miteinander reden und besprechen, wie mit Streitigkeiten umgegangen werden soll.“

Das Gleiche gilt für Beziehungen, die wir im Job mit unseren Kolleginnen und Kollegen führen. Dabei ist gegenseitiges Verstehen von größter Bedeutung, um bei Meinungsverschiedenheiten einen Kompromiss finden zu können. Denn es geht nicht darum, dass einer Recht hat und seinen Standpunkt verteidigt, sondern vielmehr darum, dass wir den Standpunkt des anderen nachvollziehen können. Wenn wir nämlich eine Lösung für Konflikte suchen, müssen wir die Kernbedürfnisse des jeweils anderen in Bezug auf das strittige Thema begreifen.

Und das gelingt nur, wenn wir zuhören. Zuhören ist eine Art, dem anderen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, dass das, was er sagt, einen Wert hat, dass es von Interesse ist. Zuhören ist deshalb der wirksamste Weg, Konflikte zu lösen.

Wie wir uns Gehör verschaffen

Menschen, die sich in einer guten Balance zwischen Bindung und Autonomie befinden, verfügen über gute Anpassungsfähigkeiten. Wenn sie einen Kompromiss eingehen, haben sie nicht das Gefühl, sich zu verbiegen. Sie wissen um ihre innere Freiheit, Ja oder Nein sagen zu können. Ein Wissen, über das Christoph nicht verfügt. Er regelt die Dinge so, dass die Erwartungen aller möglichst erfüllt werden, um Enttäuschungen und damit einhergehende Konflikte zu vermeiden. Die Bedürfnisse anderer werden höher bewertet als die eigenen. „Ich habe nie gelernt, dass man schlechte Stimmung auch mal aushalten kann und habe aus dem Grund Angst, sie zu provozieren. Ein Debattierklub als Pflichtfach in der Schule hätte mir sicher sehr gutgetan“, meint Christoph, der auch deshalb jeder Diskussion aus dem Weg geht, weil er von sich annimmt, dass er sie ohnehin verlieren würde. Sobald ein Gegenargument kommt, denkt er entweder: „Na ja, haste auch wieder recht.“ Oder er sagt sich: „Komm, denk doch, was du willst. Es bringt sowieso nichts.“ Er spürt seinen eigenen Willen und Standpunkt in solchen Momenten nicht mehr.

Unser Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle gehört zu unseren vier Grundbedürfnissen, und wer seine autonomen Bedürfnisse behalten möchte, sollte bei Meinungsverschiedenheiten das Gespräch suchen und versuchen, den Konflikt mit Argumenten zu lösen. Doch gerade Personen wie Christoph, die aufgrund eines ausgeprägten Harmoniebedürfnisses zur Überanpassung neigen, sind im Argumentieren in der Regel wenig trainiert und treten oft gar nicht erst in den Ring. Mit dem Gedanken „Mir gehen doch sowieso bald die Worte aus“, legen sie ihre Motivation schon lahm, bevor es losgehen könnte. Durch dieses Verhalten negieren sie die Verantwortung für sich und ihre Wünsche und begeben sich in die Opferrolle. Was allerdings zu weiterer Frustration führt.

Sinnvoller ist es deshalb, sich im Argumentieren zu üben. Mithilfe von Argumenten können wir im ersten Schritt selbst Standpunktsicherheit gewinnen und im zweiten Schritt andere überzeugen. Das gelingt am ehesten, wenn wir unsere Vorstellungen klar definieren und ehrlich sagen, was wir uns wünschen, ohne unsere Argumente jemandem aufzuzwingen. Nur wer andere behutsam auf die eigenen Gedanken einstimmt, kann sich Gehör verschaffen. Ebenso wichtig ist es, sich in eine andere Person hineinversetzen zu können – Empathie ist die Brücke vom Ich zum Du.

Eine Entscheidung für das Wir

Wenn wir wissen, wie wir bei der Arbeit zielführend und gelungen miteinander sprechen, können wir Missverständnisse vermeiden, die Zufriedenheit des Teams erhöhen und die Zusammenarbeit wie auch das Vertrauen stärken. Teams, die wissen, wie man sich wirkungsvoll über die Arbeit und die damit verbundenen Vorstellungen und Wünsche austauscht, sind besser auf schwierige Situationen vorbereitet.

Auch Christoph erzählte mir, dass er die Menschen wertschätzt, die immer klare Ansagen machen. Bei denen wisse er, woran er sei: „Bei mir ist das vielen vermutlich nicht so klar. Ich behalte immer eine Art Tarnkappe auf und nehme also meinem Gegenüber die Chance, etwas mit mir zu klären. Das ist eigentlich eine Haltung, die meinem Verständnis von Miteinander und Freundschaft nicht entspricht.“

Weil unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Bindung überlebenswichtig ist, tun wir viel, um Anerkennung von anderen Menschen zu erhalten und uns vor Zurückweisung zu schützen. Dass unsere Überlebenswahrscheinlichkeit am größten ist, wenn wir nicht ausgegrenzt werden, ist ein der Evolution zugrunde liegendes Denkmuster. So gut wie jedes Tier ist, wenn es auf sich allein gestellt ist, angreifbarer als in der Gruppe. Also müssen wir möglichst beliebt sein und ducken uns häufig reflexartig weg, um Konflikte zu vermeiden. Wenn wir uns aber dafür entscheiden, unseren vermeintlichen Selbstschutz aufzugeben, dann ist das eine Entscheidung, die Auswirkungen auf die Gemeinschaft – im Sinne eines Wir – mit sich bringt.

Ertappt sich Christoph beispielsweise mal wieder dabei, dass er aus Ich-Angst Ja sagt, obwohl er Nein meint, dann sollte er sich die Frage stellen, ob das gerade fair ist, was er da tut. Fairness als höherer Wert kann ihm den Mut geben, sein Gegenüber offen über seine Wünsche und Bedürfnisse zu unterrichten. Nur so gibt er ihm die Chance, sich ihm gegenüber richtig zu verhalten. Jetzt kann er oder sie nämlich sagen: Okay, so können wir das auch machen. Oder: Lass uns einen Kompromiss finden. Macht Christoph hingegen zähneknirschend, was der andere will, dann wird er das dem anderen verübeln.

Idealerweise befinden sich unsere Interessen mit denen unserer Mitmenschen im Einklang, dann gibt es keinen Konflikt. Falls nicht, müssen wir eine Entscheidung treffen. Viele unserer Entscheidungen sind fester Bestandteil unserer Tagesroutinen und Verhaltensgewohnheiten und erfolgen sozusagen automatisch. So wie sich Christoph bislang gewohnheitsgemäß dafür entschieden hat, konfliktbeladene Gespräche zu vermeiden, was nicht selten zum Ende einer Beziehung führte.

An dieser Stelle kann ein bewusstes Abwägen der Vor- und Nachteile entscheidend zu unserer Lebenszufriedenheit beitragen. Und wer dann zum Schluss kommt, dass ein klärendes Gespräch mit der Kollegin oder dem Kollegen mehr Vorteile bringt, sollte wissen, dass keine Information verloren geht, wenn man etwas freundlich sagt. Konfliktscheue warten oft so lang bis ihnen der Kragen platzt, was übrigens auch nicht fair ist. Lieber Einwände früh ansprechen und das in einem freundlichen Tonfall.

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Stefanie Stahl schreibt über Gesundheit & Soziales, Job & Karriere

Stefanie Stahl ist Deutschlands bekannteste Psychotherapeutin. Ihr Ratgeber „Das Kind in dir muss Heimat finden“ steht seit 2016 auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Stahl ist eine gefragte Keynote Speakerin. Sie gilt als DIE Expertin, wenn es um Liebe, Bindungsangst und Selbstwertgefühl geht.