Le Pen oder Macron – Wer siegt in Frankreich?

Im ersten Wahlgang hat sich die Erwartung der Meinungsforscher über den Sieger bestätigt. Schon zuvor war klar: Das alte politische System taumelt.

Der Wahlkampf zeigt, wie gespalten Frankreich ist

Dr. Claire Demesmay

Leiterin, Programm für deutsch-französische Beziehungen, DGAP

Dr. Claire Demesmay
  • Das Misstrauen in die französische Politik liegt auf Rekordniveau
  • Die beiden etablierten Parteien des Landes sind marginalisiert
  • Die Diskussion um die offene Gesellschaft polarisiert Frankreich

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In Frankreich spielt sich gerade ein merkwürdiger Wahlkampf ab. Affären prägen die Diskussionen, Bündnisse zerfallen und entstehen – und das Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik liegt auf einem Rekordniveau. Das alles könnte als unterhaltsame Inszenierung gelten, wenn es dabei nicht um eine Schlüsselwahl ginge. Wer Anfang Mai die Wahl gewinnen wird, ist aber nicht nur für Frankreichs zukünftige Aufstellung entscheidend, sondern auch für die Zusammenarbeit in der EU und damit auch für Deutschland.

Merkwürdig ist dieser Wahlkampf auch insofern, als die üblichen Regeln der französischen Politik nicht mehr zu gelten scheinen. Es sieht im Moment so aus, als würde keine der beiden Volksparteien des Landes den nächsten Präsidenten stellen. Voraussichtlich wird sowohl der Kandidat der Sozialistischen Partei, Benoît Hamon, als auch sein konservativer Konkurrent, François Fillon, schon nach dem ersten Wahlgang ausscheiden. Eine Premiere in der Geschichte der Fünften Republik Frankreichs. Die zwei Kandidaten, die zurzeit in den Umfragen führen und in der Stichwahl gegeneinander antreten könnten, gehören nicht zu den etablierten Parteien. Beide fallen durch ihre Antisystem-Rhetorik auf: der sozialliberale Emmanuel Macron und die Nationalistin Marine Le Pen.

Macron und Le Pen haben zwar entgegengesetzte Vorstellungen von Frankreichs Zukunft – sei es in Bezug auf Industriepolitik, Migration oder Europa. Doch gleichzeitig haben sie etwas gemeinsam: Beide halten die Teilung der französischen Politik in zwei Lager für obsolet und wollen sich „weder links noch rechts“ positionieren. Zudem wirbt Macron mit seiner Bewegung „En Marche!“ Personal aus unterschiedlichen Parteien konsequent ab, ohne eine eigene Partei bilden zu wollen.

Es geht vor allem darum, wie weit sich Frankreich öffnen will

Aber selbst wenn sich diese Strategie als erfolgreich erweisen sollte – das zeigen zumindest aktuelle Umfragen –, besteht die Links-Rechts-Aufteilung nach wie vor. Davon zeugt die Polarisierung der Diskussionen bei Wirtschafts- und Sozialfragen: Während die Sozialisten die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die temporäre Verstaatlichung von Unternehmen und die Besteuerung der „Supergewinne“ der Banken fordern, sprechen sich die Konservativen für tiefe Einschnitte in den Staatsausgaben und die Streichung von 500.000 Beamtenstellen aus. Hier kann von verwischten Trennlinien keine Rede sein.

Neu ist allerdings, dass eine zweite Aufteilung hinzugekommen ist und nun auch die politische Diskussion prägt. Dabei geht es um folgende Frage: Wie offen soll Frankreich sein – gegenüber Europa, gegenüber der globalisierten Welt sowie gegenüber gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt? In diesem Punkt sind sowohl das linke als auch das konservative Lager gespalten. Die wiederkehrende Debatte um den Islam und die nationale Identität oder auch die heftigen Auseinandersetzungen um das Gesetz zur Homo-Ehe vor einigen Jahren zeigen die Sprengkraft dieser Frage auf.

Das politische Angebot Frankreichs ist komplexer geworden, aber eigentlich spiegelt es nur die aktuelle Verunsicherung und Zerrissenheit der französischen Gesellschaft wider. Es bleibt zu hoffen, dass die französischen Wählerinnen und Wähler sich für ein zukunftsorientiertes Projekt entscheiden werden, das bestehende Spannungen nicht weiter verschärft.

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Dr. Claire Demesmay
© DGAP
Dr. Claire Demesmay

Leiterin, Programm für deutsch-französische Beziehungen, DGAP

Die promovierte Philosophin leitet seit 2009 das Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) am Institut français des relations internationales (Ifri) in Paris und am Lehrstuhl für Frankreichstudien und Frankophonie der Technischen Universität Dresden tätig.

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