Le Pen oder Macron – Wer siegt in Frankreich?

Im ersten Wahlgang hat sich die Erwartung der Meinungsforscher über den Sieger bestätigt. Schon zuvor war klar: Das alte politische System taumelt.

Marine Le Pen wird für Frankreich zur ernsthaften Gefahr

Nathalie Licard
  • Nie hatte ich Angst, dass Le Pen an die Macht kommen könnte – bis jetzt
  • Kurz vor der Wahl zeigt sie sich weicher, spricht ein anderes Klientel an
  • Der Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit spielt ihr in die Hände

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Ich bin in Südfrankreich geboren und aufgewachsen. Mit 30 Jahren zog es mich nach Deutschland. Mein Heimatland habe ich jedoch nie aus den Augen verloren. Über Jahre konnte ich von hier aus beobachten, wie die Populisten immer stärker und wie europafeindliche Stimmen immer lauter wurden. Angst, dass sie an die Macht kommen, hatte ich nie. Doch erst kam der Brexit, dann wurde Donald Trump Präsident der USA. Und neulich sagte Marine Le Pen etwas, das mich wirklich beunruhigte: Würde sie die Wahl gewinnen, wäre sie bereit, als Premierminister jemanden von der konservativen Partei Les Républicains zu ernennen. In diesem Moment bekam ich Angst. Mit dieser Äußerung zeigte sie eine neue Marine Le Pen. Eine weiche Marine Le Pen, die den Eindruck macht, sie würde kooperieren. Für einige Franzosen wird sie somit wählbar. Insbesondere Sarkozy-Fans wandern zu Le Pen ab – das zeigen aktuelle Umfragen.

Le Pen betreibt mit Erfolg die Entdiabolisierung ihrer selbst

Marine Le Pen hat in den vergangenen Monaten ihren Kurs geändert: Ihre extremistischen Aussagen haben abgenommen. Um sie ist es auffallend still geworden. Äußert sie sich, wählt sie einen sanften Ton oder postet neuerdings Katzenvideos bei Facebook. Mittlerweile geben auch europafreundliche Wähler an, sie wählen zu wollen. Das ist paradox. In Frankreich sprechen wir immer von dem „plafond de verre“, einer Glasdecke, an der die Populisten bisher gescheitert sind. Doch inzwischen wird darüber spekuliert, ob diese unsichtbare Grenze nicht explodieren könnte. Die Franzosen sind generell europafreundlich, das weiß auch Marine Le Pen. Seit mehreren Monaten hält sie sich zu diesem Thema zurück. Und so betreibt sie mit Erfolg die Entdiabolisierung ihrer selbst und ihrer Partei.

Ein Faktor, der ihr zudem in die Hände spielt, ist die Ungewissheit, die sich derzeit in der französischen Bevölkerung ausdehnt. Nicht nur sozial schwache Gruppen, auch die Mittelschicht spürt die finanzielle Unsicherheit. Sie fühlen sich von Politikern sowie Medien vergessen und missachtet. Die Schere der Ungerechtigkeit wird immer größer. Während die Bevölkerung jeden Cent umdrehen muss, darf ein François Fillon trotz Veruntreuungsskandal Kandidat der konservativen Les Républicains bleiben. Zeichen wie diese sind es, die den Extremisten in die Hände spielen.

Meine Landsleute sind nicht europafeindlich, sie wollen ein besseres Europa

Ein weiteres Thema, das sich daraus ergibt, ist der Wunsch nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Arbeitslosigkeit, mangelndes Einkommen – statt diese Themen anzugehen, schieben die Politiker jegliche Verantwortung von sich und verweisen auf Europa. Dadurch denken viele, es sei die Schuld der Europäischen Union, dass es Frankreich nicht gut gehe. Doch als europafeindlich nehme ich die Stimmung in Frankreich dennoch nicht wahr. Viele Landsleute denken stattdessen, dass wir ein besseres Europa brauchen.

Auch wenn Marine Le Pen derzeit versucht, ihre Partei zu banalisieren, steht ihr mit dem überparteilichen Emmanuel Macron ein starker Gegner gegenüber. Hamon hat es zwar mit der Idee des Grundeinkommens zum Kandidaten der Sozialisten geschafft. Doch zeichnet sich inzwischen ab, dass die elitären Parteien keine Chance haben: Die Kandidaten der Konservativen und Sozialisten werden wahrscheinlich schon im ersten Wahlgang am 23. April rausfliegen. Macron scheint nach wie vor die besten Karten zu haben, um gegen Marine Le Pen zu bestehen. Bleibt zu hoffen, dass die Umfragen dieses Mal Recht behalten.

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Nathalie Licard
© Nathalie Licard
Nathalie Licard

Moderatorin

Die gebürtige Französin (Jg. 1964) zog mit 30 Jahren von Südfrankreich nach Deutschland. Der Job als Mädchen für alles bei der „Harald Schmidt Show“ war der Beginn ihrer Karriere. Sie fing dort als Telefonistin an und wurde durch ihren französischen Akzent als Ansagerin der Show bekannt. Sie berichtete zudem als Reporterin bei ARD und Arte, unter anderem von der Berlinale oder auch von der Tour de France 2006.

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