Nach dem G-20-Gipfel: Wer ist Schuld an dem Debakel?

Knapp zwei Wochen nach den schweren G-20-Krawallen kommt Hamburg noch immer nicht nicht zur Ruhe. Politiker und Experten streiten über Verantwortlichkeiten und die Frage nach der Schuld.

Hätten wir die Wahl gehabt, hätten wir den Gipfel abgelehnt

Gerhard Kirsch

Polizeihauptkommissar und Landesvorsitzender, Gewerkschaft der Polizei

Gerhard Kirsch
  • Die Hamburger Polizei steht vor einem deutschlandweit beispiellosen Kraftakt
  • Angesichts der Terrorgefahr ist G 20 mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden
  • Als Gewerkschafter sind wir dabei stets für unsere Kollegen und ihre Sorgen da

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Hinweis der Redaktion: Diesen Beitrag schrieb Gerhard Kirsch unmittelbar vor dem G-20-Gipfel; er wurde am 6. Juli veröffentlicht. Angesichts der Ereignisse in Hamburg wird die Debatte jetzt um weitere, aktuelle Meinungen ergänzt.

Im Frühjahr 2016 wurde bekannt, dass das OSZE-Außenministertreffen im Dezember 2016 und der G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg stattfinden werden. Nun ist es so, dass sich die Polizei ihre Aufträge nicht aussuchen kann. Wenn sie es hätte tun können, dann hätte sie von so einem Unterfangen Abstand genommen. Denn ein Gipfel in einer Großstadt in Anbetracht der latenten Terrorgefahr, der Auswirkungen auf das öffentliche Leben und der autonomen Gewalttäter, die sich auf den Weg nach Hamburg machen, ist meines Erachtens mit einem kaum zu kalkulierenden Sicherheitsrisiko verbunden.

Seit dem Frühjahr 2016 hat sich in der politischen Landschaft einiges verändert. Wer hätte seinerzeit damit gerechnet, dass ein Donald Trump US-Präsident werden würde? Hätte jemand gedacht, dass sich die Türkei des Recep Tayyip Erdoğan so schnell in Richtung Diktatur entwickeln würde? Allein diese beiden Personen bringen erheblichen Konfliktstoff mit nach Hamburg, von Russlands Zarenpräsidenten mal ganz abgesehen. Jedenfalls war die Polizei Hamburg, der ich seit 37 Jahren angehöre, vor Herausforderungen gestellt, die man zuvor so noch nie in Hamburg oder anderswo in Deutschland hatte.

Uns steht eine extreme Klientel gegenüber

Der OSZE-Einsatz wurde vielfach als Generalprobe für den G-20-Einsatz angesehen. Dies stimmt nur zum Teil, weil das Treffen im Grunde genommen niemanden interessierte oder zu Demonstrationen herausforderte. Das ist der entscheidende Unterschied zum G-20-Gipfel – denn einige dieser Gipfelteilnehmer polarisieren und rufen Menschen zum friedlichen Protest auf den Plan. Und natürlich ist es selbstverständlich, dass solche Demonstrationen von der Polizei geschützt werden. Aber da gibt es ja noch die anderen, die sogenannten linksextremen und gewaltbereiten Kräfte, die von nah und fern in Hamburg erwartet werden und verhindern, dass die Polizei nur als schützender Zaungast anwesend ist. Genau diese gewalttätige Klientel ist es, die den größten jemals in Deutschland durchgeführten Polizeieinsatz notwendig macht.

Die politischen Arme dieser Gewalttäter lassen nicht nach, dauernd die Polizei für jede Eskalation verantwortlich zu machen. Dass ihre Klientel vermummt und bewaffnet zu einer Versammlung erscheint, betrachten sie zynisch und heuchlerisch als eine Art Prophylaxe gegen die Polizei. Und dann gibt es noch diejenigen, die dauernd dabei sind, ihre Grundrechte zu betonen. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit – insbesondere meiner Kolleginnen und Kollegen – steht aber darüber. Da sehen wir uns als Polizei einer extremen Klientel gegenüber, die deeskalierende Maßnahmen verhöhnt, sie gar nicht will oder akzeptiert. Und deshalb gibt es nur einen Weg, nämlich dem Gesetz Geltung zu verschaffen.

Der „Schwarze Block“ wird unsere volle Aufmerksamkeit fordern

Der Veranstaltungsort, die Fahrtwege der Staatsgäste, Hotels, Bahnhöfe, Flughäfen und vieles mehr müssen beschützt werden. Wenn, wie kolportiert wird, circa 8000 gewaltbereite Personen (die genaue Anzahl weiß ohnehin keiner) nach Hamburg kommen, muss die Polizei sich von der Kräftekonstellation her darauf einstellen. In Hamburg hatte das gravierende Auswirkungen: bei den exorbitanten dienstlichen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen angefangen bis hin zur Vernachlässigung anderer Aufgaben, wie der Verkehrssicherheitsarbeit oder der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Und dies über Monate.

Nun nähern wir uns dem tatsächlichen Ereignis. Es sind viele Demonstrationen angemeldet worden, die friedlich verlaufen werden. Allerdings wird es am 6. Juli eine „Demonstration“ geben, die die volle Aufmerksamkeit der Polizei genießt. An dieser Versammlung wird sich der sogenannte Schwarze Block der linksautonomen und gewalttätigen Szene beteiligen. Dabei wird seitens der Polizei ein niedrigschwelliges Einsatzkonzept gefahren, das heißt, wer das Versammlungsgesetz nicht respektiert, führt auch keine durch.

Im Einsatz für Bürger und Kollegen

Ich selbst begrüße dieses Einsatzkonzept ausdrücklich. Friedliche Demonstrationen werden geschützt, und apolitischen Gewalttätern wird sich entgegengestellt. Unter meiner Leitung versteht sich die Gewerkschaft der Polizei hier in Hamburg als ein unabhängiger, begleitender und konstruktiver „Einsatzabschnitt“. Als Gewerkschafter sind wir für unsere Kolleginnen und Kollegen da und unmittelbar bei ihnen vor Ort. Wir nehmen ihre Sorgen und Nöte auf und versuchen, ihre Probleme zu lösen. Seit Ende März 2017 fuhren wir zu 70 Einsatzbetreuungen hinaus und dies stets mit ehrenamtlich tätigen Kollegen, die sich neben ihrem Dienst in ihrer Freizeit um die Kolleginnen und Kollegen kümmerten.

Wenn der G-20-Gipfel einen Nutzen haben sollte, dann ist es für mich die überwältigende Solidarität innerhalb der Gewerkschaft der Polizei, die in diesen Tagen wieder sichtbar wird.

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Gerhard Kirsch
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Gerhard Kirsch

Polizeihauptkommissar und Landesvorsitzender, Gewerkschaft der Polizei

Gerhard Kirsch (Jg. 1964) ist Polizeihauptkommissar und Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hamburg. Nach seinem Realschulabschluss begann er seine polizeiliche Ausbildung und arbeitete im Anschluss als Bereitschaftspolizist, als Dienstgruppenleiter an der Davidwache und im Stab der Polizeidirektion Hamburg-Mitte. 2012 wurde er Landesvorsitzender der GdP Hamburg und damit Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft.

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