Nach dem G-20-Gipfel: Wer ist Schuld an dem Debakel?

Knapp zwei Wochen nach den schweren G-20-Krawallen kommt Hamburg noch immer nicht nicht zur Ruhe. Politiker und Experten streiten über Verantwortlichkeiten und die Frage nach der Schuld.

Warum G 20 ein Appell an unsere Zivilgesellschaft ist

Dr. Michael Otto

Aufsichtsratsvorsitzender, Otto Group, und Gründer der Stiftung 2°

Dr. Michael Otto
  • Ziel des Gipfels darf es nicht sein, lediglich den Status quo zu sichern
  • Politik und Zivilgesellschaft stehen vor globalen Herausforderungen
  • Jeder Einzelne von uns sollte für die Vorteile der Demokratie kämpfen

5.834 Reaktionen

„Manchmal ist auch das Erhalten des Erreichten bereits ein gutes Ergebnis“ – so sagte es Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen im Hinblick auf den näher rückenden G-20-Gipfel in Hamburg.

Angesichts der Skepsis, die nicht nur die neue amerikanische Regierung gegenüber offenen Märkten, sondern auch multilateralen Vereinbarungen wie dem Pariser Klimaschutzabkommen offenbart, ist diese Zielsetzung sicherlich nur allzu realistisch. Dabei könnten die Herausforderungen, denen sich die 20 größten Wirtschaftsnationen der Welt gemeinsam stellen müssen, globaler kaum sein. Denn der große Nachholbedarf der Schwellenländer, die digitale Revolution verbunden mit der Entstehung neuer Energietechnologien, die diversen Flüchtlingskrisen überall auf der Welt sowie die schwache Leistung der Weltwirtschaft stellen uns alle vor Fragen, deren Beantwortung keinen Aufschub duldet.

Nur gemeinsam können Erfolge erzielt werden

Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, unseren Status quo zu sichern. Mehr Mut zur konkreten Gestaltung der Globalisierung, wie es viele Wirtschaftsvertreter fordern, und eine globale Transformation zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise müssen unseren Anspruch an die Ergebnisse des G-20-Gipfels leiten. Wir tun gut daran, unsere Kräfte zu bündeln und dafür zu sorgen, dass sich die Staatengemeinschaft gemeinsam ambitionierte Ziele setzt. Denn unser aller Wohlstand, unser Wachstum und unsere Freiheit hängen von einer Lösung dieser globalen Herausforderungen ab. Hier sind Politik und Zivilgesellschaft gleichermaßen gefordert.

Zu den brennenden Themen dieses Gipfels gehören insbesondere die drei Themenkreise:

  1. Klimaschutz und Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens 2015
  2. Ein freier und fairer Welthandel
  3. Die Wahrung der Werte der Demokratie weltweit

Die Klimakonferenz von Paris war nicht nur eine wichtige Etappe im Kampf gegen die globale Erwärmung. Sie hat auch die Grundlage für mehr Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen geschaffen, die im Klimaschutz vorangehen wollen. Die Ankündigung der US-Regierung, sich aus der Pariser Vereinbarung zurückzuziehen, betrachte ich deshalb als großen Fehler. Aus diesem Grunde müssen die anderen Staaten nun näher zusammenrücken und sich noch intensiver dafür einsetzen, die in Paris beschlossenen Klimaziele zu erreichen.

Klimafreundliche Unternehmen werden Vorreiter sein

Unser Ziel muss die Abkehr von fossilen Energieträgern und die Hinwendung zu erneuerbaren Energiequellen sein. Wenn wir alle diesen Prozess zudem auch als eine wirtschaftliche Chance, als Treiber für Innovation und als ein Geschäftsmodell betrachten, müsste uns die Trendwende im Klimaschutz gelingen. Optimistisch stimmt mich deshalb auch die unmittelbare Reaktion vieler US-amerikanischer Unternehmen, Bundesstaaten und Städte, weiterhin an den Klimazielen festhalten und ihre Aktivitäten für den Klimaschutz sogar forcieren zu wollen. Ich persönlich glaube, die klimafreundlichsten Unternehmen werden zukünftig die erfolgreichsten sein – die mit den meisten Innovationen und Exportschlagern und die, welche die meisten Arbeitsplätze schaffen.

Auch der freie und faire Handel ist für die Weltwirtschaft und die gleichberechtigte Entwicklung und Teilhabe der Menschen in den Ländern der Dritten Welt von größter Bedeutung. Nationale Abschottung ist keine Lösung, um den Wohlstand der westlichen Nationen dauerhaft zu sichern. Im Gegenteil. Wir müssen Freihandelsabkommen mit anderen Ländern oder Regionen ermöglichen, faire Regeln für den internationalen Handel mitgestalten und internationale Standards etablieren. Wenn wir es schaffen, das globale Wirtschaftswachstum mit der Förderung von Menschenrechtsstandards, sozialer Gerechtigkeit und der Durchsetzung von Normen in den Bereichen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz zu verbinden, haben alle etwas davon.

Zur Wahrung des Bewährten muss heute auch gezählt werden, die Werte unserer westlichen Gesellschaft und unsere Demokratie aktiv zu schützen. Viele Menschen halten Freiheit und Demokratie für etwas Selbstverständliches. Das sind sie nicht. Denn Nationalismus und Populismus sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich setzen unsere freiheitlich-demokratischen Errungenschaften zunehmend unter Druck. Dabei ist unser Problem nicht ein Zuwenig an Rechten, sondern ein Zuwenig an Achtsamkeit und Verteidigung bestehender Rechte, an Durchsetzung sozialer Verantwortung und dem unbedingten Willen, die persönliche Freiheit zu schätzen und entsprechend zu schützen. Es ist auch nicht allein die Macht Einzelner, die uns bestimmt. Es ist die Trägheit der Masse, die nicht bereit ist, die Vorteile der Demokratie und Meinungsfreiheit zu nutzen, für ein faires Miteinander einzustehen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Auch hier sollte die Staatengemeinschaft, aber auch die Zivilgesellschaft und jeder Einzelne von uns aktiv werden.

F20 als Bekenntnis zur Zivilgesellschaft

Deshalb haben sich zahlreiche Stiftungen und philanthropische Einrichtungen im Vorfeld des G-20-Gipfels zur Foundations 20 (F20) zusammengefunden. Die F20 ist eine Stiftungsplattform, die sich auf die Umsetzung der Agenda 2030 – ein ehrgeiziger Katalog mit konkreten Zielen für nachhaltige Entwicklung – und des Pariser Weltklimaabkommens konzentriert. Die Plattform soll international etabliert werden und über die deutsche G-20-Präsidentschaft hinaus bestehen. Sie fordert angesichts der besorgniserregenden Marginalisierung der Zivilgesellschaft und deren „shrinking space“ in einigen G-20-Ländern sowie angesichts der zunehmenden Gefährdung der Demokratie und Meinungsfreiheit weltweit die G-20-Staaten und die Regierungen der Welt auf, die Zivilgesellschaft generell als unverzichtbaren und starken Partner im Transformationsprozess wahrzunehmen. Im eigenen Stiftungshandeln und in ihren Kapitalanlagen führen die Stiftungen und philanthropischen Einrichtungen, die sich zu F20 bekennen, entsprechend der Ziele der sogenannten F-20-Plattform die notwendigen Debatten. Die Stiftungen werden zudem mit entsprechenden Maßnahmen tätig.

Auch ich gehöre mit meinen Stiftungen dieser Initiative an und unterstütze sie nach Kräften. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir alle für das, was wir haben, und für unsere faire und gleichberechtigte Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb muss für uns alle gleichermaßen der alte Grundsatz gelten: „Die Wirtschaft ist für den Menschen da, nicht umgekehrt.“ Nur wer diesen Grundsatz mit all seinen Facetten beherrscht und zur Grundlage seines Handelns macht, kann etwas beitragen zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen.

Veröffentlicht:

Dr. Michael Otto
© Otto Group
Dr. Michael Otto

Aufsichtsratsvorsitzender, Otto Group, und Gründer der Stiftung 2°

Dr. Michael Otto (Jg. 1943) ist seit 2007 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Otto Group. Nach dem Abitur und einer Banklehre studierte er Volkswirtschaft, promovierte und wurde 1971 Vorstand im Unternehmen seines Vaters. Von 1981 bis Oktober 2007 leitete er die Otto Group als Vorstandsvorsitzender. 1993 gründete er die Michael Otto Stiftung für Umweltschutz. 2005 folgte die Gründung der Aid by Trade Foundation. Außerdem ist er Mitbegründer der Stiftung 2° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren