Das ehemalige Postbank-Areal nahe dem Münchener Hauptbahnhof: Unter dem Namen „The Verse“ entsteht eines der größten Bürogebäude im Stadtzentrum. Foto: Rendering von Accumulata
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Wie sich Bahnhofsviertel zu bevorzugten Standorten entwickeln

Zwischen Wettbüros und Spielhallen entstehen in München und anderswo schicke Büros. Warum sich das rentiert und was den Trend zum Arbeiten im Bahnhofsviertel verstärkt.

München. Wenn Stefan Schillinger an Stadtbilder denkt, sieht er, anders als Bundeskanzler Friedrich Merz, Chancen. Der Geschäftsführer des Münchener Projektentwicklers Accumulata ist dort hingegangen, wo es Bauherren von Büros in der Vergangenheit eher selten hingezogen hat: direkt ins Bahnhofsviertel.

Schillinger hat momentan zwei große Baustellen direkt im Süden des Münchener Hauptbahnhofs in der Goethestraße und der Paul-Heyse-Straße. Dort, wo momentan Wettbüros, Friseurketten, Dönerbuden und Gemüseläden das Straßenbild prägen, sieht er das Geschäftsviertel der Zukunft.

Mit dieser Prognose ist der Volkswirt und Wirtschaftsgeograf nicht allein. In „The Stack“, dem kleineren der beiden Projekte, die Accumulate entwickelt und das im Frühjahr 2026 fertig werden soll, hat der Schweizer Pharmakonzern Novartis bereits gut ein Drittel der Flächen gemietet. Je ein weiteres der insgesamt sechs Stockwerke haben sich zwei internationale Wirtschaftskanzleien gesichert.

Die Unternehmen verlassen dafür weitaus prestigeträchtigere Adressen in der Münchener Innenstadt. Novartis wollte ursprünglich Räume in der Alten Akademie, einem gescheiterten Projekt René Benkos in der Münchener Innenstadt, beziehen.

Der Pharmakonzern und die beiden Kanzleien werden am Bahnhof auf weitere Top-Adressen treffen. Der Tech-Konzern Apple hat zehn Fußminuten nördlich des Bahnhofs gebaut, ebenso wie Google. Auch Beratungshäuser wie McKinsey und die Boston Consulting Group sind dort ansässig.

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Auch in anderen Städten ziehen Unternehmen in die Nähe von Bahnhöfen. Das Handelsblatt hat analysiert, welche Metropolen als Vorbilder dienen und was das für die Wohnungs- und Büromärkte bedeutet.

Nicht nur in der bayerischen Landeshauptstadt werden die Straßen rund um den Hauptbahnhof immer attraktiver, sagt Rainer Knapek. „Zentrale Innenstadtlagen mit exzellenter Erreichbarkeit werden zu den bevorzugten Standorten für Unternehmen“, sagt der Leiter des Standorts München des Immobilienberatungshauses CBRE. So erschließe beispielsweise der Münchener Hauptbahnhof ein Einzugsgebiet von rund drei Millionen potenziellen Arbeitskräften in unter 60 Minuten Pendelzeit, rechnet er vor.

London gilt als Blaupause für viele Städte

Wie ein Bahnhofsviertel von einer eher schlechten in eine gute Gegend verwandelt werden kann, wurde in London bereits vor über einem Jahrzehnt vorgemacht. Der Bahnhof Kings Cross, in dem Züge aus dem Norden Englands ankommen, war über Jahrzehnte ein Ort, an dem Menschen so wenig Zeit wie möglich verbringen wollten. Nicht nur der Bahnhof verfiel im laufenden Betrieb nach und nach, auch das umliegende Viertel wurde gemieden.

Für die Olympischen Spiele 2012 wurden dann der Bahnhof und auch das umliegende Viertel aufgewertet. Es entstanden neue Büros, Flächen für Einzelhändler und Hotels.

Für Henrik Haeuszler ist Kings Cross eine Blaupause für viele Städte – nicht nur für München, wo der Architekt und Betriebswirt für die Immobiliensparte der US-Fondsgesellschaft Invesco arbeitet. Für ihn spielt die seit der Pandemie veränderte Arbeitswelt eine wichtige Rolle beim Aufstieg der Bahnhofsviertel.

„Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass das Homeoffice nicht verschwinden wird“, sagt Haeuszler. Vor allem hochqualifizierte Angestellte aus der Finanz- und Pharmabranche oder der Forschung könnten sich die Unternehmen, für die sie arbeiten, aussuchen: „Um die Beschäftigten tageweise ins Büro zu bekommen, machen die Unternehmen es ihnen so bequem wie möglich, da gehört ein gut angebundenes Büro einfach dazu“, sagt der Architekt.

Invesco gehört in München nördlich des Hauptbahnhofs mit der Hopfenpost ein ganzes Karree. Einer der Hauptmieter ist der deutsche Softwareanbieter Personio.

Geht es darum, die Hopfenpost weiterzuentwickeln, greift Haeuszler auf die Erfahrung seiner Kollegen aus Schweden zurück. In Stockholm hat der amerikanische Fondsanbieter in der Nähe von einem der großen Bahnhöfe ein Gebäude aus den 1980er-Jahren kernsaniert.

Im Erdgeschoss befinden sich Restaurants und Boutiquen, in den Stockwerken darüber Büros und auch Wohnungen. Diese sind nach Aussage von Haeuszler vergleichbar mit sogenannten Serviced Apartments und würden von Pendlern genutzt.

Bis auf die möblierten Wohnungen mit Dienstleistungen entspricht das Konzept dem, was Schillinger bei seinen beiden Projekten „The Stack“ und „The Verse“ plant. „Das Bürohaus, das nur von einem Unternehmen gemietet wird, gibt es immer weniger“, sagt er.

Das hängt seiner Einschätzung nach damit zusammen, dass die meisten Unternehmen deutlich kleinere Flächen brauchen, die sich zudem immer wieder neu gestalten lassen. „Bürohäuser werden immer mehrere Mieter und offene, multifunktionale Konzepte haben“, sagt Schillinger.

Auch stehen die meisten neuen oder sanierten Bürogebäude in sehr zentralen Lagen. Da lohnt es sich laut dem Projektentwickler, wenn im Erdgeschoss Einzelhändler beziehungsweise Restaurants einziehen.

Bahnhofsnähe gilt als Wettbewerbsvorteil

Etwas blumiger drückt sich Filipe de Sá Pessoa von der Immobiliensparte des Versicherers Axa aus, in dessen Auftrag „The Stack“ gebaut wird: „Bürogebäude liefern Erlebnisse für unsere Mieter und stärken sie im Wettbewerb um Talente.“ Zu diesen Erlebnissen gehören neben Gastronomie und Begegnungsflächen auch Dachterrassen und Fitnesseinrichtungen.

Das Bahnhofsviertel hat sich für die Mieter indes als strategischer Standort entwickelt. „Entscheidend für unsere Wahl waren das nachhaltige Baukonzept und die zentrale Lage“, sagt Nicole Struck, Personalleiterin von Novartis.

Die Entscheidung fürs Bahnhofsviertel in München falle allerdings vielen Unternehmen nicht schwer, sagt Marktkenner Knapek. Denn in der eigentlichen Innenstadt zwischen Stachus und Isartor gebe es kaum größere zusammenhängende Büroflächen. Die rund 230.000 Quadratmeter an modernen Büroflächen, die laut dem weltgrößten Immobiliendienstleistungs- und Investment-Unternehmen CBRE bis 2027 rund um den Münchener Hauptbahnhof in zehn verschiedenen Projekten entstehen sollen, werden nach seiner Prognose auf eine breite Nachfrage stoßen.

Bei den Entscheidungsträgern der Stadt München und dem Freistaat Bayern wird die Entwicklung begrüßt, schließlich wird der Hauptbahnhof selbst derzeit mit öffentlichen Mitteln in Höhe von Hunderten Millionen Euro umgebaut. Die angrenzenden Straßenzüge sollen nach dem Willen der Stadtverwaltung wieder eine Visitenkarte für München werden.

Noch rollen die Bagger, Kräne und Bauzäune sind allgegenwärtig. Ob das Münchener Bahnhofsviertel mit Londons Kings Cross mithalten kann, wird wohl erst in den frühen 2030er-Jahren zeigen.

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